Tourismus
Rüdesheim - mehr als Asbach Uralt
Wenn Rüdesheims Bürgermeister Klaus Zapp mit seinem Wohnmobil durch Europa fährt, muss er nicht groß beschreiben, wo er herkommt: Sein Heimatort ist weltbekannt. „Asbach Uralt und die Drosselgasse - das kennt man überall”, sagt Zapp. „Und wir haben noch mehr zu bieten.“ Gut zwei Millionen Tagesgäste besuchen den 10.000 Einwohner-Weinort am Rhein im Jahr. Rund 330.000 Menschen übernachten dort. Auf Mallorca oder den Kanarischen Inseln haben solche Größenverhältnisse in diesem Jahr zu Demonstrationen gegen den Massentourismus geführt. Im hessischen Rüdesheim ist die Stimmung derzeit noch positiver: „Es kommen ja nicht alle Besucher an einem Tag”, sagt Zapp. „Und die Besucherströme konzentrieren sich doch sehr auf die Altstadt.”
Rüdesheim: 2 Millionen Tagesgäste im Jahr, 10.000 Einwohner
Zudem profitierten auch Einheimische vom Tourismus: „Die gastronomische Vielfalt, die wir hier haben, hätten wir ohne die Touristen nicht”, sagt Zapp. „Und auch das Weinfest oder den Weihnachtsmarkt der Nationen gäbe es in dieser Form ohne auswärtige Besucher nicht: Ohne sie wäre es schwer, diese Veranstaltungen am Leben zu erhalten, so der Bürgermeister. Allerdings gibt es auch in Rüdesheim Kritiker. „Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass es hier nicht auch Menschen gibt, die meinen, dass wir zu viel Tourismus haben”, sagt Zapp. „Aber sie sind hier in Rüdesheim in der Minderheit.”
Damit es so bleibt, legt der Bürgermeister Wert darauf, dass der Tourismus keinen Wildwuchs erlebt. „Wir haben einen Wirtschafts- und Tourismusförderverein, der hier vieles organisiert“, erläutert Zapp. „Und dann sprechen wir uns ab: Es gibt in Rüdesheim eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kommune dem Förderverein und auch unserem Ordnungsamt.“
Und deswegen gehe es Rüdersheim auch besser als anderen Tourismusorten am Rhein: Leerstand und nicht genutzte Hotels sieht man nur selten. Die Stadt wirkt gepflegt und ist in einem guten Zustand. „Wir haben Alleinstellungsmerkmale: Das Niederwalddenkmal mit der Germania, die Drosselgasse und die Seilbahn“, sagt Zapp. „Und wir haben am Rhein so viele Anlegestellen für Flusskreuzfahrtschiffe wie kein anderer Ort.“ Vor allem aber gebe es in Rüdesheim Akteure, die mit der Zeit gehen. Die Hoteliers versuchten, ihren Gästen auch den benachbarten Rheingau schmackhaft zu machen und Rad- und Wandertouren zu verkaufen. “Wir werben damit, dass Rüdesheim das Tor zum UNESCO-Weltkulturerbe Mittelrheintal ist”, sagt der Bürgermeister.
Klaus Zapp: Erste Wahlveranstaltung zu Hause
Selbst ist Klaus Zapp dabei niemals im Tourismus tätig gewesen: Von Hause aus ist er Postbeamter. 1977 fing er als Briefzusteller an, arbeitete sich nach oben, war zum Schluss Abteilungsleiter in der Niederlassung Wiesbaden und für die Verteilzentren in Kassel und Darmstadt zuständig. Rund 600 Mitarbeiter unterstanden ihm. Wieso er dann in die Kommunalpolitik ging? „Wir haben uns im Freundeskreis oft über Politik unterhalten”, sagt Zapp. Oft habe er dabei gesagt, dass man Dinge besser machen könnte. “Und als dann im Jahr 2020 wieder einmal Wahlen anstanden, hieß es: Nun mach es aber auch.” Er besprach sich lange mit seiner Frau, trat dann aber tatsächlich zur Wahl an. Die erste Wahlveranstaltung fand bei ihm zu Hause statt, später stand er mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen vor den Supermärkten. Mit vier Stimmen Vorsprung kam er in die Stichwahl gegen den Amtsinhaber, gewann schließlich mit 60 Prozent der Stimmen.
Der Einzug ins Rathaus bedeutete auch das Kennenlernen einer ganz neuen Welt. „Was für mich heute immer noch erschreckend ist, ist die Schwerfälligkeit, bis wir zu Entscheidungen kommen”, sagt Zapp. „Bei der Post hatte ich ein Budget, das war vorgegeben, aber in dessen Rahmen konnte ich entscheiden.” Anders ist es in der Kommune: Jede Beschaffung über 10.000 Euro muss europaweit ausgeschrieben werden. „Das kostet unglaubliche Ressourcen. Und in den fast fünf Jahren, in denen ich nun im Amt bin, habe ich niemals erlebt, dass sich überhaupt jemand aus einem anderen europäischen Land auf eine europaweite Ausschreibung beworben hat – es sind vielmehr immer dieselben Betriebe aus der Nachbarschaft.” Es sei durchaus ein ehrenwerter Gedanke, Kungelei und Klüngelwirtschaft verhindern zu wollen. „Aber so wie es jetzt ist, ist der Verwaltungsaufwand einfach deutlich größer als der Nutzen”, stellt er fest.
Grundlegend verärgert ist der Bürgermeister über ein konkretes Projekt: den Bahnübergang am Rüdesheimer Bahnhof. Hier kreuzt die Bundesstraße 42 eine viel befahrene Hauptstrecke der Deutschen Bahn – und ständig ist die Schranke unten. Mehrmals am Tag für bis zu 20 Minuten am Stück. „Seit vielen Jahren schon wollen wir als Stadt dort einen Tunnel haben“, sagt Zapp. Der Kreistag habe zugestimmt. Die um das Rheintal besorgte UNESCO fordere den Tunnel. Das Land unterstütze die Pläne. Nur der Bund stehe auf der Bremse, wolle erst die Wirtschaftlichkeit prüfen. „So ist das, seit ich denken kann: Jahrzehntelang wird über den Tunnel diskutiert, in regelmäßigen Abständen eine neue Sau durchs Dorf getrieben – und am Ende passiert dann doch wieder nichts“, kritisiert er.
Kommunen kaum Geld für freiwillige Leistungen
Als Bürgermeister fühlt sich Zapp an solchen Stellen alleingelassen. „Es wird viel von oben herunter entschieden und gesagt: Das müssen wir machen“, sagt er. „Aber im Endeffekt heißt ‚wir‘ dann nicht, dass die oberen Ebenen etwas machen – es sind "wir“ hier unten, die Kommunen, die das dann stemmen müssen.” Für Rüdesheim hat das oft bittere Folgen: „Uns fehlen dann die finanziellen Mittel“, sagt Zapp. Das mache ihm Sorge, gerade auch im Angesicht des erstarkenden Rechtsextremismus. Er gibt zu bedenken: „Wir müssen doch von unten auch Antworten auf die Fragen und Sorgen der Menschen geben können, die adäquat und vernünftig sind.“ Nur so könne man Extremisten etwas entgegensetzen. „Dafür muss ich aber auch von oben die Rahmenbedingungen bekommen, damit ich vernünftig arbeiten kann.“ Schon heute habe die Kommune Probleme, ihre Pflichtaufgaben zu finanzieren, von den freiwilligen Leistungen ganz zu schweigen. „Und wenn ich immer nur an Kultur und solchen Sachen spare, ist das für die Gesellschaft nicht gesund.“
Brief an Bund und Land mit Forderungen
In einer gemeinsamen Resolution haben sich Zapp und die anderen 16 Bürgermeister der kreisangehörigen Gemeinden des Rheingau-Taunus-Kreises sowie der Landrat deswegen an Bund und Land gewandt. Ihre Forderung: Die Unterfinanzierung der kommunalen Ebene müsse endlich aufhören. Doch die Antworten waren bescheiden. „Ich habe da auf mehr gehofft”, sagt er. Aber am Ende hätten Bund und Land doch wieder nur Verantwortungs-Pingpong gespielt. Wirkliche Reformen ließen weiter auf sich warten. Immerhin: Die Zusammenarbeit unter den Bürgermeistern der Region hat sich weiter verbessert. „Und das ist auch wichtig”, so der Bürgermeister. Denn bei allem Ärger über Land und Bund geht es ihm doch darum, dass vor Ort in Rüdesheim die Dinge vorangebracht werden. „Schließlich leben wir hier gern in einer Stadt, in der andere Leute Urlaub machen“, sagt Zapp. „Und das soll bitte auch so bleiben.“