Kleine Kommunen kämpfen für die Reaktivierung der Bahn in ihrer Region - nur teilweise erfolgreich
Kleine Kommunen kämpfen für die Reaktivierung der Bahn in ihrer Region - nur teilweise erfolgreich
© lassiwe

9-Euro-Ticket

Reaktivierung der Bahn: Langsam müht sich der Triebwagen...

Das Neun-Euro-Ticket ist in aller Munde. Doch im ländlichen Raum hilft das wenig, hier geht es meist darum, dass überhaupt eine Bahn fährt. Eine Kommune in Bayern hat die Reaktivierung praktisch in der Tasche – die Zusagen betreffen aber das Jahr 2034. Drei ländliche Kommunen – und immer das gleiche Problem. Eine Reportage aus Brandenburg, Bayern und NRW.

Die Bahnhöfe heißen Rosenwinkel oder Kuhbier, Joachimsthal oder Milmersdorf. Noch rumpeln hier die Dieseltriebwagen der „Hanseatischen Eisenbahn“ und der „Niederbarnimer Eisenbahn“ durchs ländliche Brandenburg. Mancherorts im Zwei-Stunden-Takt, mancherorts nur wenige Male am Tag verkehren sie in den Landkreisen Ostprignitz-Ruppin, Prignitz und Uckermark, also in Gegenden, die zu den am Dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands zählen. Doch geht es nach Brandenburgs Verkehrsminister Guido Beermann, ist bald Schluss mit den Nebenstrecken im ländlichen Raum: Weil zu wenig Fahrgäste in den Triebwagen sitzen, sollen die Linien stillgelegt werden.

Reaktivierung der Bahn - zwischen Hoffnung und Frustration...

Ein Beispiel ist die Linie RB 63, die zwischen der Barnimer Kreisstadt Eberswalde und dem Ferien- und Erholungsort Templin verkehrt. Sie wurde erst 2018 im Rahmen eines Modellversuchs wiederbelebt. Doch die Bedingung damals war: Mindestens 300 Fahrgäste am Tag müssen die im Zwei-Stunden-Takt verkehrenden Triebwagen nutzen. Diese Zahl wurde – auch durch Corona – nie erreicht. Erst unter dem Einfluss des Neun-Euro-Tickets kommen die Fahrgastzahlen zumindest an manchen Wochenenden in die Nähe der geforderten Marke. Und dennoch setzen sich die Anliegerkommunen, aber auch der Kreistag des Landkreises Uckermark für den Erhalt der Strecke ein. „Eine gerade wieder neu eröffnete Bahnlinie, die eine Ahnung davon gibt, dass nun wirklich verstanden wurde, dass in den ÖPNV investiert werden muss, kann nicht sofort wieder zugemacht werden, wenn wir die Verkehrswende wollen“, sagt die Landtagsabgeordnete Carla Kniestedt. „Alle wissen, dass bei einem guten Angebot auch die Nachfrage kommt – aber das braucht Zeit.“

Im Moment indes lässt sich aus den Triebwagen der RB 63 noch der berühmte Blumenstrauß während der Fahrt pflücken. Wer aus Berlin nach Templin fahren will, und mit dem Regionalexpress in Eberswalde ankommt, muss teilweise 45 Minuten Umsteigezeit einplanen, um nach Templin weiterfahren zu können. Und dennoch: „Für unsere Region und für die Nachbarkommunen wäre es ein entscheidender Wegfall an Lebensqualität, wenn die Strecke wegfallen würde“, sagt der Templiner Bürgermeister Detlef Tabbert. „Für Pendler verschlechtern sich die Möglichkeiten des Anschlusses, für den Tourismus wäre es ein ernster Schlag.“ Um die Strecke zu erhalten, wären auch die Anliegerkommunen bereit, sich weiter finanziell zu beteiligen: Immerhin 200.000 Euro pro Jahr bringen sie derzeit dafür auf. „Die kommunalen Vertreter glauben an den Erfolg“, sagt Tabbert. Doch von den höheren Ebenen fühlt sich der Bürgermeister mit seinem Anliegen nicht ernst genommen: Ein Schreiben an das Landesverkehrsministerium wurde auch nach Monaten nicht beantwortet. „Wir hatten als Kommune vor der Wiedereröffnung sechs oder sieben Jahre für den Probebetrieb gekämpft“, erinnert sich Tabbert. „Es ist sehr mühselig, hier einen Erfolg zu erzielen.“ Doch aus Sicht des Bürgermeisters führt an einem Nahverkehr, dessen Pläne sich nicht an Nutzerzahlen, sondern an Angeboten orientieren, kein Weg vorbei. „Wir haben in Templin seit 25 Jahren einen fahrscheinlosen Busverkehr“, so Tabbert. In der 16.000 Einwohner-Stadt nutzten 200.000 Menschen pro Jahr die Stadtbusse – in vergleichbaren Orten anderswo seien es nur 20.000.

Die Reaktivierung der Bahn ist fast überall Thema - und ein Kampf gegen Windmühlen...

Den mühsamen Kampf um den Erhalt von Bahnstrecken gibt es überall im ländlichen Raum. Zum Beispiel in Burglengenfeld in Bayern. Hier gibt es noch eine Güterzugstrecke, die am Bahnhof in Maxhütte-Haidhof abzweigt, und vor allem ein Zementwerk in der Stadt bedient. Regelmäßiger Personenverkehr dagegen findet schon seit 1967 nicht mehr auf der Bahn nach Burglengenfeld statt. „Wir brauchen diese Strecke für den Personenverkehr“, sagt Bürgermeister Thomas Gesche. Rund 18.000 Menschen lebten entlang der knapp sieben Kilometer langen Strecke. „Wir könnten da einfach viel Verkehr von der Straße wegbringen.“ Doch die Wiedereröffnung einer Bahnlinie ist in Deutschland kein einfaches Unterfangen. „Je länger ich dieses Projekt verfolge, desto mehr frage ich mich, wieso Deutschland bei allem, was mit der Bahn und der Bahninfrastruktur zusammenhängt, so unglaublich bürokratisch aufgebaut ist“, seufzt Gesche. Die Kommune habe mehrere Gutachten eingeholt. Beratungsgremien hätten sich damit beschäftigt. Mittlerweile seien alle beteiligten Instanzen der Meinung, dass die Reaktivierung sehr wahrscheinlich kommen werde. Doch der Zeithorizont für eine Inbetriebnahme hört sich auf den ersten Blick wie Realsatire an: „Wir planen mit dem dritten Quartal 2034“, sagt Gesche. „Das ist eigentlich viel zu lange.“ Natürlich müsse man für die Wiederinbetriebnahme der Bahnlinie Verhandlungen mit den Eigentümern mancher Grundstücke führen, etwa dort, wo eines Tages ein Haltepunkt entstehen soll. Natürlich müsse man auf Lärmschutz und Emissionen oder auf Überschwemmungsgebiete achten. „Aber von der höheren Politik fehlt mir ein Bekenntnis dazu, schnell und preiswert mehr Schienenverkehr zu wollen“, so Gesche. „Wenn hier deutlichere Zeichen kommen würden, hätten wir wahrscheinlich auch schon wesentlich mehr erreicht.“

Wenn sich Hartnäckigkeit auszahlt - hier hat die Reaktivierung der Bahn geklappt...

Erfolgreich dagegen war ein Bahn-Kampf am Niederrhein: Die Hochschulstadt Kamp-Lintfort, die mit 37.700 Einwohnern in der Liste der größten deutschen Städte ohne Bahnanschluss bislang ganz vorn dabei war, soll vermutlich ab dem Jahr 2026 wieder regelmäßig an das Bahnnetz angeschlossen werden. „Wieder regelmäßig“, denn zur Landesgartenschau 2020 verkehrten bereits probeweise Züge von Kamp-Lintfort nach Moers und Duisburg. Eine alte Zechenbahn wurde zu diesem Zweck reaktiviert, ein Haltepunkt in der Nähe von Gartenschaugelände und Fachhochschule errichtet. „Aber die Bahn ist eben nicht die Schnellste“, sagt Bürgermeister Christoph Landscheidt. Schon seit 1998 gab es Pläne, die alte Zechenbahn für den Personenverkehr zu entwickeln. Wenn es in den kommenden Jahren soweit sein wird, wird mehr als ein Vierteljahrhundert darüber vergangen sein. Eines der Probleme in Kamp-Lintfort ist angeblich ein Stellwerk: Die Strecke muss in den Bereich der DB AG eingefädelt werden. Zudem setzt man auf eine moderne Technologie: Zum Einsatz kommen sollen batteriebetriebene Triebwagen, die ihre Batterien während der Fahrt über elektrifizierte Streckenabschnitte aus den Oberleitungen wieder aufladen. 

„Ich frage mich, wieso Deutschland bei allem, was mit der Bahn zusammenhängt, so unglaublich bürokratisch aufgebaut ist“.

Thomas Gesche, Bürgermeister von Burglengenfeld

Die Kommune hat dafür viel investiert, sagt Landscheidt. „Wir haben mehrere Gutachten in Auftrag gegeben, und sogar eine eigene Infrastrukturgesellschaft, die Niederrheinbahn GmbH, gegründet.“ Dieses Unternehmen soll künftig die Bewirtschaftung der Strecke übernehmen, und sich aus den Trassennutzungsgebühren der auf der Strecke verkehrenden Züge refinanzieren. Für die zunächst nötigen Investitionen von rund 20 Millionen Euro gab es bereits eine Landesförderung von 17,7 Millionen. Den Rest müssen die anliegenden Kommunen finanzieren. Doch der Aufwand könnte sich lohnen. „Wir rechnen mit mehreren tausend Fahrgästen am Tag“, sagt Landscheidt. Für ihr Engagement hat die Kommune bereits den „Großen Fahrgastpreis“ des Fahrgastverbands „Pro Bahn“ erhalten. „Wenn wir über das Mobilitätswende reden, ist das, was wir hier machen, ein Meilenstein“, ist Landscheidt überzeugt. „Und der Fahrgastpreis zeigt, dass auch öffentlich wahrgenommen wird, wie wichtig unser Engagement hier ist.“