In ländlichen Regionen gibt es Methoden, um Leerstand zu verhindern
In ländlichen Regionen gibt es Methoden, um Leerstand zu verhindern
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Projekt gegen Leerstand: Jung kauft Alt

17. Dezember 2018
Jung kauft Alt - Mit diesem Slogan unterstützt die westfälische Kleinstadt Hiddenhausen junge Familien darin, Eigenheimbesitzer zu werden. Eine wirksame Strategie gegen Leerstand und zunehmende Flächenversiegelung auf dem Land.

Text: Annette Lübbers 

Vor Betim Shala liegen noch viele Wochen harter Arbeit. Im Frühjahr 2019 möchte der gebürtige Kosovo-Albaner mit seiner Frau Shpresa und dem anderthalbjährigen Töchterchen Luana in sein neues Haus im westfälischen Hiddenhausen ziehen. Die 20.000-Einwohner-Stadt ist keine gewachsene Gemeinde, sondern ein Zusammenschluss von sechs kleinen Ortschaften. Noch wohnt die kleine Familie auf 80 Quadratmetern im nahegelegenen Herford zur Miete. Jede freie Minute verbringt der frischgebackene Familienvater in Hiddenhausen, denn die 160 Quadratmeter Wohnfläche in Randlage sind derzeit noch eine einzige Baustelle: Säcke mit Baumaterialien, Maschinen und Dämmstoffe stehen dort, wo später einmal das Wohnzimmer der Familie sein soll. Staub liegt in der kalten Luft. Shpresa Shala lacht: „Mein Mann ist Zimmermann und Monteur. Für die nächsten Monate ist das hier sein ganz persönliches Spielzimmer.“ Zum neuen Domizil gehören außerdem fast 1.000 Quadratmeter Garten. Ein guter Ort, um Kinder großzuziehen. Und ein guter Ort für jemanden wie Betim Shala. „Mein Mann hat lange in Fairfax im USA-Bundesstaat Virginia gelebt. Daher ist er es gewöhnt, viel Platz um sich zu haben. Und deshalb war es für uns auch undenkbar, auf Dauer mitten in der Innenstadt in einer kleinen Mietwohnung zu leben“, erzählt die Mutter von Luana, die selbst schon als Fünfjährige nach Deutschland kam. „Das Haupthaus ist von 1956, der Anbau von 1980. Für uns war das ein prima Angebot, weil ein Neubau einfach zu teuer gewesen wäre. Das Alter des Hauses war für uns nicht so wichtig, weil mein Mann – bis auf den Estrich – alles selber renovieren kann.“

So kommt es gar nicht erst zum Leerstand - ein Projekt macht Schule 

Erleichtert wurde der jungen Familie der Hauskauf durch ein besonderes Programm, das die Stadt Hiddenhausen bereits 2007 aufgelegt hat: „Jung kauft Alt“ heißt das städtische Projekt, mit dem junge Familien angeregt werden sollen, alte Häuser zu kaufen. Maximal 1.500 Euro gibt die Stadt beim Kauf eines mindestens 25 Jahre alten Hauses jährlich dazu: 600 Euro Grundbetrag plus 300 Euro für jedes Kind. Über sechs Jahre kommt so ein hübsches Sümmchen zusammen. Den gleichen Betrag bezahlt die Stadt, wenn der neue Eigentümer anstelle des Altbaus einen Neubau errichtet. Familie Shala freut sich jedenfalls über das Engagement der Stadt und die finanzielle Entlastung. 

Wenn derzeit über den Wohnungsmarkt in Deutschland gesprochen und geschrieben wird, ist der Tenor immer derselbe: Bezahlbarer Wohnraum ist in Deutschland knapp. Das gilt aber längst nicht für alle Regionen, nicht einmal für alle Großstädte. Bei der letzten Erhebung im Jahr 2011 betrug die Leerstandsquote in Hamburg gerade einmal 15,8 von 1.000, in Dresden allerdings 115,5 von 1.000. In eher ländlichen, sozialökonomischen weniger guten Lagen liegt die Leerstandsquote sogar noch höher – etwa im Erzgebirgskreis mit 136,3 von 1.000. Gerade in ländlichen Regionen versuchen viele Gemeinden dennoch, mit der Ausweisung von neuem Baugrund Familien mit Kindern anzuziehen. Eine verfehlte Politik, meint jedenfalls Ulrich Rolfsmeyer, Bürgermeister von Hiddenhausen. „2007 ergab eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass die Einwohnerzahl unseres Städtchens dauerhaft von etwa 20.000 Einwohnern auf etwa 17.600 im Jahr 2030 sinken könnte. Eine Prognose, die uns zum Nachdenken angeregt hat. Wie können wir als Stadt dem demografischen Wandel entgegenwirken, Leerstand und eine weitere Flächenversiegelung verhindern?“ 

Auch Fördergelder können gegen Verödung helfen 

Also begann Andreas Homburg, Wirtschaftsförderer und Dezernent für Zentrale Dienste, Gemeindeentwicklung und Ordnung, Zahlen zusammenzutragen: Vor elf Jahren gab es in Hiddenhausen 431 Häuser, in denen Singles oder Paare lebten, die 70 Jahre und älter waren. Ein wichtiger Indikator für den zukünftigen Leerstand. Gleichzeitig standen bereits 91 Häuser leer. Ulrich Rolfsmeyer: „Zu-Verkaufen-Schilder, wie wir sie aus amerikanischen Filmen kennen, gab es in unseren Gärten noch nicht sehr häufig. Aber es war abzusehen, dass das nicht so bleiben würde.“ Die aktuellen Zahlen bestätigen die vorhergesehene Entwicklung. Aktuell leben in 766 Häusern der Kleinstadt ein oder zwei Personen im Alter über 70 und 158 Häuser stehen zum Verkauf. Der Leerstand zieht sich durch alle Baujahre. Ulrich Rolfsmeyer freut sich besonders, wenn die älteren Häuser neue Bewohner finden: „Altbauten haben ja oft einen großen Charme und stehen zudem häufig in einem großen Garten mit altem Baubestand“, erklärt der Bürgermeister die Vorzüge der alten Häuser – gerade für Familien mit kleinen Kindern. Für die Gemeinde Hiddenhausen hat sich das Programm auf jeden Fall ausgezahlt: Im Juli 2018 hatten bereits 505 Familien die Gelder aus dem Programm „Jung kauft Alt“ abgerufen. 940 Erwachsene und 588 Kinder – davon 120 Neugeborene – fanden so ein neues Zuhause. 

Leerstand vermeiden ist nicht der einzige positive Effekt - Jung Kauft Alt hilft auch gegen zu viel Flächenversiedlung. Unseren kompletten Bericht über die Aktion "Jung kauft Alt" finden Sie in der aktuellen Printausgabe der KOMMUNAL - HIER GEHTS ZUM KOSTENFREIEN PROBEABO! 

UNSER ABO - JETZT DABEI SEIN!
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