Planspiel Kommunalpolitik Ratssitzung
Diesmal sitzen statt den Stattabgeordneten die Jugendlichen auf den Sitzen des Ratssaals

Jugendbeteiligung

Junge Leute lernen eine Ratssitzung kennen

In Gelsenkirchen machen Berufsschüler gemeinsam mit dem Bürgermeister und der Verwaltung eine simulierte Ratssitzung. Was bringt das der Verwaltung und warum lädt das Projekt zum Nachmachen ein?

Im Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen schlägt das Herz der Stadtverwaltung. Mich erwartet eine Ratssitzung, die etwas anders ist als sonst. Als wir den Saal betreten, sind die Reihen der Stadtabgeordneten schon gut gefüllt. Heute sitzen dort jedoch die Berufsschüler des Berufskollegs Königstraße. Das Podium gegenüber ist noch nicht besetzt. Oberbürgermeister Frank Baranowski lässt aber nicht lange auf sich warten. Zu seiner Linken und Rechten sitzen etwas tiefer die Vertreter aus der Verwaltung.

Manche der Jugendlichen nehmen zum ersten Mal an einer Ratssitzung teil

Dass die Jugend politisch ist, hat sie in jüngster Zeit mehr als deutlich bewiesen. Das Planspiel Kommunalpolitik knüpft daran an. Auf insgesamt drei Projekttagen lernen junge Menschen die politischen Strukturen und die Arbeitsweise ihrer Kommune kennen. Das bundesweite kostenlose Angebot der Friedrich-Ebert-Stiftung  möchte Kenntnisse aus der Kommunalpolitik vermitteln, das Verständnis zwischen Kommune und Jugend fördern und bei jungen Menschen das Interesse wecken, sich aktiv vor Ort einzubringen. Begleitet wird das Planspiel von Trainern der Friedrich-Ebert-Stiftung, die zwischen den Beteiligten vermitteln.  „Das ist soweit das erste Mal, dass ich mich mit Kommunalpolitik beschäftige und ich hatte davor eigentlich auch keine Berührungspunkte damit“, sagt eine junge Frau noch vor Beginn der Sitzung. Davon, dass es an diesem Tag vielen der beteiligten Jugendlichen so ergehen wird, davon ist während der Sitzung wenig zu spüren.

Die Ratssitzung beweist: Die Jugendlichen sind mit ihrer Umwelt bestens vertraut

Oberbürgermeister Baranowski begrüßt die Jugendlichen, erklärt die Saaltechnik und die wichtigsten Formalien. Der erste Antrag kommt von der Fraktion „Double Trouble“. Als der Oberbürgermeister die Fraktionsnamen laut abliest, geht hier und da ein Schmunzeln durch die Reihen. Die Fraktion fordert mehr Geld zur Erhöhung des Reinigungsintervalls auf Spielplätzen, damit Kinder wieder auf diesen spielen können. Auch im Folgeantrag der Fraktionen „Zwinkergruppe“ spielt die Pflege von Parks und öffentlichen Plätzen eine wichtige Rolle. Sie diskutieren engagiert über Aschenbecher und Mülleimer und wollen ihre Mitmenschen mehr für die gemeinsame Umwelt sensibilisieren. Dabei zeigt sich mehrmals die Expertise der Jugendlichen: Sie sind mit ihrer unmittelbaren Umwelt bestens vertraut. Sie können die sie betreffenden Probleme ortsgenau benennen. Eine Expertise, von der die Stadt als Ganzes profitieren kann.

Die simulierte Ratssitzung ermöglicht ein gegenseitiges Kennenlernen

Während die Verwaltung an den Formalien wie Anreden und Verordnungen festhält, wenden sich die Jugendlichen ohne Umschweife an ihr Gegenüber. Es prallen zwei Kulturen aufeinander: Hier die der Jugend, dort die der Verwaltung. Letztere hat sich ein System geschaffen, das nach außen manchmal etwas steif wirkt. Ein Beispiel: In einer Anfrage steht, dass die Nachtbusverbindung in Bezug auf die „Fahrtzeiten“ unzureichend ist. Ein Umstand, den die Verwaltung anfangs verneint und sogleich auf ein Missverständnis hinweist: Schließlich handele es sich bei der Anfrage nicht um die „Fahrtzeit“ im Sinne von Fahrtdauer, sondern um eine „Bedienungslücke“. Ein Missverständnis, das viel Diskussionsraum einnimmt. Dabei macht die Verwaltung den Jugendlichen nichts vor: So funktioniert das hier nun mal. In diesem Fall ist die Begrifflichkeit aber selbst für Oberbürgermeister Baranowski neu, der das bemerkt und die Sitzung wieder etwas auflockert.

Im Vorlauf zum heutigen Planspielfinale hatten die Jugendlichen zwei Projekttage mit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Am ersten Tag gab es eine Einführung in die Kommunalpolitik und sie entwickelten ihre Themen. Am zweiten Tag wurden die Themen - begleitet durch verschiedene Ratsmitglieder der Stadt Gelsenkirchen -  in Anträge und Anfragen für das Planspielfinale formalisiert. Die Verwaltung hatte zwei Wochen Zeit, darauf zu reagieren.

Die Jugendlichen loben den Oberbürgermeister für sein Interesse

Nach der Sitzung frage ich eine Gruppe von Berufsschülern, ob sie sich vorstellen könnte, einmal in der Kommunalpolitik aktiv zu sein. Eine antwortet: „Kommunalpolitik ist nichts für mich, aber einige aus meinem Jahrgang werden das schon so sehen.“ - Eine andere lobt den Oberbürgermeister für seine Performance: „Er sah sehr interessiert aus und hat sich auch sehr viel Zeit für jedes Thema genommen.“ Der Oberbürgermeister selbst macht im Gespräch nochmal deutlich, warum solche Tage wichtig für ihn sind: Er möchte jungen Menschen zeigen, wie Kommunalpolitik funktioniert und diese dabei hautnah erfahrbar machen. Er interessiert sich für ihre Anliegen und verweist auf die besonderen Lebensgewohnheiten der Jugendlichen. Von den Mängeln im ÖPNV hätte er zum Beispiel nichts mitbekommen, weil er diesen schlicht nicht nutzt.

Themen wie Umwelpolitik und ÖPNV sind Jugendlichen wichtig

Auch heute haben die Jugendlichen ihre Themen gesetzt. Rebecca Demars von der Ebert Stiftung bestätigt, dass der Schwerpunkt auf umweltpolitische Themen in den letzten Jahren zugenommen hat: „Das findet sich wirklich im Kleinen wieder, von mehr Biodiversität auf Friedhofsanlagen zu Müllbeseitigung in den Städten oder besseren ÖPNV, um den Straßenverkehr zu entlasten.“ Ein weiterer Schwerpunkt, den sie bei jungen Menschen beobachtet, ist das Thema Schule und Bildung oder genauer „wie renovierungsbedürftig so eine Schule ist, wie die Schule digital aufgestellt ist. Also wirklich die Zukunftsthemen, die wir in der echten Politik auch diskutieren.“

Ratssitzung letzte Reihe

Jugendliche sollen Entscheidungsprozesse verstehen lernen

„Demokratie ist ein Aushandlungsprozess“, sagt der städtische Jugendförderer Udo Reinmuth „und es ist wichtig, dass Jugendliche verstehen, dass es manchmal dauert bis es zu einer politischen Entscheidung und zur Umsetzung der politischen Entscheidung kommt.“ Er erzählt, dass er damals auf der Suche nach einem Format war, mit dem er jungen Menschen Kommunalpolitik näherbringen konnte. Er habe alle Stiftungen angeschrieben und die Ebert Stfiftung war diejenige, die ihm das Planspiel mit dem Titel „Ohne Jugend ist kein Staat zu machen“ angeboten hat. Dass die Veranstaltung des Planspiels für Kommunen kostenfrei ist, war ein weiterer Pluspunkt für die Kommune. Mittlerweile habe das Planspiel bereits zum fünften Mal in der Stadt stattgefunden. Dafür wähle Reinmuth immer eine weiterführende Schule aus.

Im Jugendrat haben junge Menschen direkte Einflussmöglichkeiten

Seit einigen Jahren gibt es in Gelsenkirchen auch einen Jugendrat, die ständige Vertretung für junge Menschen in der Stadt. Anders als beim Planspiel haben Jugendliche dort direkte Einflussmöglichkeiten. Zum Beispiel bei der Stadtbauplanung oder bei der Gestaltung von öffentlichen Plätzen. Aufgrund der unterschiedlichen Schwerpunkte schließt das eine Format das andere aber nicht aus. Im Gegenteil: Sie ergänzen sich, so Jugendhelfer Reinmuth.

Fotocredits: Silvan Heinze