Parteien schaffen es immer seltener, ihre Wähler zu mobilisieren - was das für die Kommunalpolitik bedeutet - Ergebnisse einer Forsa-Analyse
Parteien schaffen es immer seltener, ihre Wähler zu mobilisieren - was das für die Kommunalpolitik bedeutet - Ergebnisse einer Forsa-Analyse
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Forsa Aktuell

Wahlen: Parteien fehlt Mobilisierungsgrad

Die jüngsten Kommunalwahlen in Sachsen hatten wieder einmal eine sehr schlechte Wahlbeteiligung. Auch bei den Bürgermeisterwahlen in Thüringen blieben mehr Menschen daheim, als an die Urnen gingen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den drei zurückliegenden Landtagswahlen: Viele Parteien schaffen es nicht mehr, ihre Wähler zu mobilisieren, meint Forsa-Geschäftsführer Peter Matuschek.

Am Wahlabend wurde wie immer ausführlich über Gewinne und Verluste der einzelnen Parteien, mögliche Mehrheiten und Koalitionsoptionen berichtet, allerdings wie so häufig nur am Rande über eine große Gewinnerin bei allen drei Landtagswahlen: die „Partei der Nichtwähler“. Dabei überstieg bereits bei der Landtagswahl im Saarland der Anteil der Nichtwähler einschließlich der ungültigen Stimmen mit 39 Prozent den Wähleranteil der als Wahlsiegerin gefeierten SPD mit 26 Prozent, bezogen auf alle Wahlberechtigten. In Schleswig-Holstein wiederum war die „Partei der Nichtwähler“ mit 40 Prozent ebenfalls deutlich größer als die siegreiche CDU und viermal größer als die SPD. Am stärksten war hingegen die „Partei der Nichtwähler“ bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, wo sich 45 Prozent nicht an der Wahl beteiligten oder eine ungültige Stimme abgaben.

Mobilisierungsgrad ist das eigentliche Problem auch der Parteien in der Kommunalpolitik 

Während in den Analysen nach einer Wahl in der Regel auf die Gewinne und Verluste der Parteien auf Basis der abgegebenen Stimmen und mögliche Wählerwanderungen geblickt wird, ist ein Blick auf die Mobilisierungsfähigkeit der einzelnen Parteien im Vergleich zur vorangegangenen Bundestagswahl, die zudem erst wenige Monate zurückliegt, viel erhellender. Zunächst gibt ein Blick auf die Anteile der einzelnen Parteien auf Basis aller Wahlberechtigten und nicht nur auf die Parteienanteile auf Basis der abgegebenen Stimmen Aufschluss darüber, wie gering die Verankerung der Parteien – und mittlerweile auch der ehemals großen Volksparteien – in der Gesellschaft mittlerweile ist. So konnten selbst die Wahlsieger bei allen drei jeweils nur eine Minderheit von einem Fünftel bis einem Viertel der Wahlberechtigten an sich binden.

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Zugleich zeigt sich, dass der Wahlerfolg insbesondere der CDU in Schleswig-Holstein und NRW darauf beruhte, dass sie in der Lage waren, ihre Anhänger der vergangenen Bundestagswahl noch am besten zu mobilisieren und zur Stimmabgabe auch bei der Landtagswahl zu bewegen. So war in Nordrhein-Westfalen die CDU die einzige Partei, der es gelang, bei der Landtagwahl im Mai alle ihrer Wähler bei der vergangenen Bundestagswahl vom September zu mobilisieren, während alle anderen Parteien weniger Stimmen erhielten als bei der Bundestagswahl. So erhielten selbst die Grünen rund 300.000 Stimmen weniger als noch bei der Bundestagswahl im September. Das entspricht einem Wählerschwund von 18 Prozent. Noch größer waren die Stimmenrückgänge bei SPD, FDP, Linkspartei und AfD. Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein gelang es der siegreichen CDU unter Daniel Günther sogar, mehr Stimmen zu gewinnen als bei der vorangegangenen Bundestagswahl und den eigenen Anteil unter allen Wahlberechtigten um 52 Prozent gegenüber der Bundestagswahl zu steigern. Neben der CDU konnte Schleswig-Holstein nur der SSW mehr Stimmen erreichen als bei der Bundestagswahl im September. Alle anderen Parteien konnten hingegen auch in Schleswig-Holstein nur einen Teil ihrer Wähler, die ihnen bei der Bundestagswahl noch die Stimme gegeben hatten, wieder mobilisieren: Der Wähleranteil der Linke sank um 64, der der AfD um 51 und der Anteil der SPD um fast 56 Prozent. Im Saarland schließlich konnte auch der Wahlsieger SPD mit ihrer Spitzenkandidatin Anke Rehlinger nicht alle Wähler vom September letzten Jahres wieder dazu bewegen, bei der Landtagswahl der SPD ihre Stimme zu geben. Allerdings fielen die Verluste aller anderen Parteien im Saarland gegenüber der Bundestagswahl deutlich höher aus als bei SPD und CDU so dass die vergleichsweise stärkere Mobilisierung der SPD zu einem deutlichen Vorsprung bei den abgegebenen Stimmen und einer absoluten Mehrheit der Mandate reichte.

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Wann es Parteien gelingt, die Menschen zur Stimmabgabe zu bewegen 

Die drei Landtagswahlen haben somit erneut gezeigt, wie stark der Erfolg oder Misserfolg einer Partei bei Wahlen davon abhängt, inwieweit es ihr gelingt, die ihr geneigten Wählerinnen und Wähler auch tatsächlich zur Stimmabgabe zu bewegen. Die unterschiedliche Mobilisierungsfähigkeit der Parteien in den einzelnen drei Bundesländern sowie im Vergleich zur Bundestagswahl zeigt im Übrigen auch, wie unsinnig eine Interpretation von Landtagswahlen als „Stimmungstest“ für andere Bundesländer oder gar für die Bundesebene ist, wie sie von vielen Journalisten und politischen Beobachtern immer wieder vorgenommen wird. Dass Landtagswahlen – auch in NRW – keine „kleine Bundestagswahl“ sind, verdeutlicht auch der Blick auf die unterschiedlichen Parteipräferenzen bei einer Landtags- und einer Bundestagswahl. So hätte etwa die CDU in Nordrhein-Westfalen bei einer Bundestagswahl unmittelbar nach der Landtagswahl in NRW in diesem Bundesland mit 30 Prozent ein um sechs Prozentpunkte schlechteres Wahlergebnis erzielt als bei der Landtagswahl, während die Grünen bei einer Bundestagswahl mit 25 Prozent um vier Prozentpunkte besser abgeschnitten hätten als bei der Landtagswahl.

Auch in Schleswig-Holstein hätte die CDU bei einer Bundestagswahl Anfang Mai ein um 18 Prozentpunkte schlechteres Ergebnis erzielt als bei der Landtagswahl. Diese Unterschiede belegen einmal mehr, dass die Wähler nach wie vor sehr genau zwischen den einzelnen Politikebenen unterscheiden und sich bei ihrer Wahlentscheidung am Zustand der Parteien und ihrem personellen Angebot auf der jeweiligen politischen Ebene orientieren. Schließlich gaben etwa in NRW nur wenige Wochen vor der Landtagswahl in einer forsa-Umfrage auch deutlich mehr Wahlberechtigte an, dass für ihre eigene Wahlentscheidung die Landespolitik wichtiger sei als die Bundespolitik, die nur für 16 Prozent wichtiger war als die Landespolitik.

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Das Märchen vom Stimmungstest - warum Kommunalpolitik nicht parteipolitisch sein sollte

Die politischen Parteien wären daher gut beraten, nicht den Fehlinterpretationen vieler Medien und politischer Beobachter zu folgen, die Landtagswahlen zu bundespolitischen „Stimmungstests“ umdeuten, sondern sie als Wahlen ernstzunehmen, in denen die Wähler ein Urteil über den Zustand der Landesparteien und die zukünftige Richtung ihres Bundeslandes mit seinen spezifischen Gegebenheiten fällen.