Dominik Gieler ist Ortsbürgermeister von Rech/Ahr und gewählter Bürgermeister der Verbandsgemeinde Altenahr.
Arbeitet am Wiederaufbau der von der Flut zerstörten Gemeinden im Ahrtal: Dominik Gieler aus Rech, neugewählter Bürgermeister der stark betroffenen Verbandsgemeinde Altenahr.
© Carmen Molitor

Nach der Flutkatastrophe

Ortsbürgermeister stemmen Wiederaufbau

Seit zehn Monaten erleben die Ortsbürgermeister der Dörfer im Ahrtal den Ausnahmezustand. Durch die Flutkatastrophe im Sommer 2021 ist ihr Ehrenamt über Nacht zu einem fordernden Fulltimejob geworden. Sie organisieren den Wiederaufbau ihrer zerstörten Gemeinden, sind Ansprechpartner, Mutmacher, entscheiden über Millioneninvestitionen - und erfahren Solidarität aus der kommunalen Familie. Ein Ortsbesuch.

Natürlich hat er die Nachrichten über die Flutkatastrophe im Ahrtal verfolgt und die Bilder der Zerstörung gesehen. Aber als Stefan Rößle, Landrat des Donau-Ries-Kreises, kürzlich zum ersten Mal persönlich im Landkreis Ahrweiler zu Besuch war, zeigte er sich dennoch sehr beeindruckt. Er habe nicht damit gerechnet, mit welchen großen Schwierigkeiten die Menschen und ihre Kommunen zehn Monate nach dem extremen Hochwasser immer noch zu kämpfen haben, sagt er.

Rößle kam als Schirmherr einer Spendenaktion, die Bürger aus dem Donau-Ries-Kreis – ehemalige Soforthelfer im Katastrophengebiet - für ein neues Gemeinschaftshaus auf dem zerstörten Dorfplatz des Dorfes Marienthal an der Ahr gestartet haben. Wie unzählige andere Kommunen aus dem ganzen Bundesgebiet wollen auch die Bayern durch diese Hilfsaktion Solidarität beim Wiederaufbau zeigen. 50.000 Euro haben sie bereits zusammen. Das Geld geht an den Hilfsfonds eines eingetragenen Unterstützungsvereins der Gemeinde.

Kommunen nach der Flutkatastrophe extrem gefordert

„Zum einen war der Besuch beeindruckend, zum anderen aber auch bedrückend“, kommentiert Stefan Rößle. „Ich war beeindruckt von dem Elan der Menschen beim Aufbau. Aber es wird möglicherweise noch Jahre dauern, bis die Leute da hoffentlich wieder ein geregeltes Leben führen können.“

Die kleinen Weinorte jonglieren mit bisher unvorstellbaren Budgets: 1,4 Milliarden Euro braucht beispielsweise allein die am stärksten betroffene Verbandsgemeinde Altenahr mit ihren 11.000 Einwohnern für die Wiederaufbaumaßnahmen. „Wenn ich da nur an unseren Landkreis denke!“, sagt Rößle. „Wir haben 135.000 Einwohner und verbauen im Jahr 14 Millionen. Damit haben wir anständig zu tun. Aber an der Ahr muss eine wesentlich kleinere Einheit das Hundertfache bewerkstelligen. Es ist ein Wahnsinn, was die Kommunen da leisten müssen!“

Ortsbürgermeister in vielen neuen Rollen

Einer dieser kommunalen Leistungsträger ist Dominik Gieler, seit 2019 Ortsbürgermeister des Weinortes Rech, vier Kilometer von Marienthal und dem geplanten „Freundschaftshaus“ entfernt. Der Polizeibeamte wechselte seit der Flutnacht gleich mehrfach die Rollen: Vom ehrenamtlichen Bürgermeister seines 590-Seelen-Heimatdorfes zum tatkräftigen Katastrophenmanager im Schlamm bis hin zum Organisator des Wiederaufbaus, der Ansprechpartner für Behörden aller Art, die Presse und die Bürger ist. Monatelang hat ihn sein Arbeitgeber dafür freigestellt, aber oft reichten die 24 Stunden des Tages nicht, um die immer wieder vollen täglichen To-Do-Listen abzuarbeiten. Die Flutwelle zerstörte Rechs Wahrzeichen, die historische Nepomuk-Brücke, 21 Häuser und die komplette Infrastruktur im Ortskern – Strom, Wasser, Abwasser, Telefon. Gieler muss seinen Heimatort nicht nur verwalten, sondern wieder neu aufbauen.

Planungsstillstand befürchtet

Der 36-jährige Familienvater beschreibt sich selbst als ungeduldigen Menschen. Ihm erscheint so manches im Wiederaufbau zu langwierig. Grade ärgert er sich besonders darüber, dass die Landesregierung keine Entscheidung darüber treffe, wie sie Eigentümer von Grundstücken und Weinbergsflächen direkt an der Ahr entschädigt, deren Besitz durch die Flut enorm an Wert verloren hat. Deshalb verkaufen viele eben nicht – und damit fehle es der Kommune an nötigen Flächen für den Wiederaufbau. „Wir kommen da in einen Planungsstillstand!“, warnt Gieler.

Stillstand kann er angesichts der 74 nötigen Baumaßnahmen zum Wiederaufbau der Infrastruktur grade gar nicht brauchen. Geschätzte 42 Millionen Euro werden die Vorhaben kosten. Für ein Dorf, dessen Jahreshaushalt sonst um die 100.000 Euro liegt.

Pfiffige Ideen zum Wiederaufbau

Zu langsam ging es ihm und den Amtskollegen der Nachbarorte auch mit der Entscheidung über die künftige Wärmeversorgung im Ahrtal. „Rech, Mayschoss und Dernau haben eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) gegründet, um ein Nahwärmenetz zu installieren“, berichtet Gieler. Ein Projektteam entwickelt jetzt die Nahwärmesysteme für die beteiligten Dörfer. Jeder der drei Orte stellt einen Vorstand in der AöR, im Verwaltungsrat sitzen ebenfalls drei Bürger der jeweiligen Orte. Schulden darf dieser Zusammenschluss nicht machen. Das ist ein Knackpunkt, weiß Gieler. Er sei aber optimistisch, dass die AöR mittelfristig auch Einnahmen haben wird – generiert zum Beispiel durch touristische Projekte, die der Verbund ebenfalls plant. Auch eine gemeinschaftliche, moderne Sportstätte und Bolzplätze für die Kinder will man aufbauen. Die Flut hatte an der Ahr alle Sportplätze weggerissen.

Punktesystem half bei gerechter Verteilung von Spenden 

Eine gute Idee brauchte auch die gerechte Verteilung der bisher knapp eine Million Euro Spenden, die die Gemeinde erhielt: „Wir haben einen Fluthilfeverein für Rech gegründet“, erzählt Gieler. Der Vorstand besteht aus vier Recher Bürgern, die nicht von der Flut betroffen sind – zwei gehören zum Gemeinderat, die beiden anderen nicht. Außerdem gibt es einen Beirat, in dem ein örtlicher Wirtschaftsprüfer und ein Arzt sich probono engagieren.

Um böses Blut bei der Spendenverteilung zu vermeiden, entwickelten Vorstand und Beirat mit Unterstützung des Städte- und Gemeindebundes ein Punktesystem, um die Bedürftigkeit gerecht zu bewerten. Wie viele Menschen leben im betroffenen Haushalt, welche Schäden sind in welcher Etage entstanden? Der Fluthilfeverein schätzte anhand solcher Fragen die Situation jedes Betroffenen individuell ein und vergab die im Punktesystem festlegte Punktzahl. „Den Spendenbetrag haben wir durch die Gesamtpunktzahl geteilt und damit stand unser Punktwert fest. So hat jeder seinen Betrag bekommen“, berichtet Bürgermeister Gieler. „Alle konnten damit leben.“

Weitere Ideen wie diese kann Gieler nun eine Verwaltungsebene höher durchsetzen, denn die nächste Rolle wartet ab Juni auf ihn: Er wurde - als einziger Kandidat - zum neuen Bürgermeister der Verbandsgemeinde Altenahr gewählt und tritt im Juni sein Amt an. Er habe nun viel Erfahrung gesammelt und der Job mache ihm einfach Spaß, erklärt er seine Bewerbung.

Kommunen brauchen einen langen Atem

Den Respekt von Landrat Stefan Rößle aus dem Donau-Ries-Kreis hat er jedenfalls. Rößle verspricht, sich weiter für das „Freundschaftshaus“ im Ahrtal stark zu machen. Es wird von angehenden Schreinern und Zimmerleuten aus einer Berufsschule und einer Zimmerei seines Landkreises gebaut. Wann das Haus aufgestellt wird, hänge davon ab, wann die Gemeinde für das Setzen einer Bodenplatte ein paar der nicht nur im Ahrtal heiß begehrten Handwerker bekommen könne. Das kann noch dauern.

Dominik Gieler und seine Bürgermeisterkollegen werden einen langen Atem brauchen, da ist sich Rößle sicher. „Man kommt schon auch mit viel Demut aus dem Ahrtal zurück“, sagt er nachdenklich. „Wir klagen hier viel, was wir für Aufgaben haben. Aber eigentlich ist das nichts im Vergleich damit, was die Menschen dort noch alles vor sich haben.“

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