Ortsbürgermeisterin

Mehr als ein halbes Leben Ortsbürgermeisterin

Sie ist bereits 77 Jahre alt, aber noch immer Ortsbürgermeisterin mit vollem Herzen: Und das seit den 70er Jahren. Bärbel Weist. In Fallersleben, einem Ortsteil von Wolfsburg, ist die dienstälteste Ortsbürgermeisterin von Niedersachsen zu Hause.

Wer sich in Fallersleben umschaut, findet alte Fachwerkhäuser. Einen gepflegten Ortskern und ein Schloss. Dort erinnert ein kleines Museum an den berühmtesten Einwohner des Ortes: Hoffmann von Fallersleben, der Dichter der deutschen Nationalhymne, wurde hier geboren. „Das Geburtshaus von Hoffmann existiert heute noch“, sagt Weist. Doch als sie Ortsbürgermeisterin wurde, stand das Gebäude leer. Mehr noch: Es war ein Schandfleck. Es zu retten, war eine der ersten größeren Aktionen der ehrenamtlichen Kommunalpolitikerin: „Wir haben Steine gekauft, mit Goldbronze angemalt und auf dem Wochenmarkt verkauft – als Aktion Rettet das Hoffmann-Haus“, erinnert sich Weist. Mit Erfolg: Im Ort sprach man wieder über das Gebäude. Es gab eine Bürgerversammlung. Schließlich entschied sich die Kommune, das Haus zu erhalten. Heute ist es ein Restaurant mit Hotel – und zugleich ein wichtiges Veranstaltungszentrum für die Region.

Die Kommunalpolitik wurde ihr in die Wiege gelegt

Doch das Kommunalpolitische lag bei Bärbel Weist schon in der Familie: Ihr Vater saß im Rat der damals noch selbständigen Stadt, die 1972 nach Wolfsburg eingemeindet wurde. Schließlich trat auch die Tochter in die CDU ein, kandidierte für den Ortsrat. 1976 wurde sie gewählt. Zwei Jahre später musste der Ortsbürgermeister wegen privater Probleme sein Amt niederlegen. Er schlug Weist als Nachfolgerin vor. Eine Frau als Ortsbürgermeisterin? In Fallersleben war das damals unerhört. Auf den Straßen des Ortes machte ein Spruch die Runde: „Gibt es denn keinen Mann, der so etwas kann?“ Doch mit der Stimmenmehrheit ihrer Fraktion wurde Weist gewählt – und zwei Jahre später gewann sie ihre Kommunalwahl.

Ortsbürgermeisterin Weist

Wegen dem Streit um ein Gefängnis ist die Ortsbürgermeisterin aus der CDU ausgetreten

Dass sie bis heute im Amt ist, ist dennoch bemerkenswert. Denn ein Streit um ein Gefängnis führte dazu, dass Weist die Partei verließ. Als die Stadtväter von Wolfsburg Behörden in ihrer Stadt ansiedeln wollten, sollte auch ein Gefängnis entstehen. In Fallersleben, neben einem Neubaugebiet. Doch auf dem Bebauungsplan, den die frisch gebackenen Grundstückseigentümer von der Stadt erhalten hatten, stand für diese Stelle etwas anderes: „Kinderspielplatz“, erinnerte sich Weist. „Das hat mich auf die Palme gebracht - das fand ich den Leuten gegenüber unverschämt.“ Weist unterstützte eine örtliche Bürgerinitiative mit Informationen, geriet mehr und mehr in Konflikt mit der CDU. „Im Stadtrat habe ich mich weit aus dem Fenster gelehnt“, sagt Ortsbürgermeisterin Weist. „Daraufhin verbot mir die CDU, öffentlich Stellung zu beziehen.“ Der „Maulkorb“ war zuviel: Weist und fast alle Fallerslebener CDU-Ortsräte traten 1984 aus der CDU aus.

Die Ausgetretenen gründeten eine Wählergemeinschaft

Für andere wäre das das politische Todesurteil gewesen – nicht in Fallersleben. Dort gründeten die Ausgetretenen eine Wählergemeinschaft. Ihr erstes Ziel: Die Abschaffung des Fraktionszwangs. „Das ist mir bis heute wichtig geblieben“, sagt Weist. „Egal, was ich mache, ich muss es mit meinem Gewissen vertreten können.“ Die Gründung war erfolgreich: In der Wolfsburger Kommunalpolitik ist die Wählergemeinschaft heute eine feste Größe. Acht Mitglieder hat sie im Stadtrat, dazu ist sie in fast allen Ortsräten. Und in Fallersleben hat sie bis heute die absolute Mehrheit – weswegen Bärbel Weist auch bis heute Ortsbürgermeisterin ist.

Die Themen, mit denen sie sich beschäftigt, sind vielseitig

Was ihre aktuellen Themen sind? Zum Beispiel, dass Fallersleben ans Glasfasernetz angeschlossen wurde. „Aber eigentlich bin ich irgendwie für alles zuständig“, sagt Weist. Wenn jemand im Fahrstuhl am Bahnhof stecken geblieben ist, ruft sie die Nothotline an. Wenn nach Bauarbeiten das Straßenpflaster beschädigt ist, setzt sie sich für die Reparatur ein. Sie kümmert sich um den Einzelhandel: „Wenn ein Geschäft leer steht, muss man sofort und intensiv daran arbeiten, dass da wieder jemand einzieht.“ Und dann fehlt es im Ort an Parkplätzen. Weil Wolfsburg eine Autostadt ist? „Wir arbeiten daran, dass der ÖPNV ausgebaut wird“, sagt Weist. „Aber wenn Sie sich anschauen, wieviel Geld in den ÖPNV investiert wurde und dann zählen, wie viele Menschen in den Bussen sitzen – dann ist die Antwort klar: Wer ein Auto hat, der fährt es auch.“

Die fraktionsübergreifende Arbeit war früher unvorstellbar

Worin sich Kommunalpolitik vor 40 Jahren von jener heute unterscheidet? „Heute redet man nicht mehr über Gott und die Welt, sondern fokussiert sich auf die kommunalen Dinge.“ Zuweilen werde sogar fraktionsübergreifend gearbeitet. „Das war früher unvorstellbar“, sagt Weist. Wichtig war der Kommunalpolitikerin auch stets die Vereinbarung von Beruf und Ehrenamt: Als sie anfing, saßen im Rat vor allem Lehrer und Funktionäre. Denn die Sitzungen der Ausschüsse begannen um 14 Uhr. Berufstätige hatten dafür oftmals keine Zeit. „Wenn ich um halb zwei deswegen aus meinem Büro verschwand, war das ein einziger Spießrutenlauf“, sagte Weist. Sie habe durchsetzen können, dass die Ausschüsse heute zwei, teilweise sogar drei Stunden später beginnen. „Und die Ortsratssitzungen sind jetzt immer um 19 Uhr, damit auch arbeitende Bürger daran teilnehmen können.“

Was muss eine gute Bürgermeisterin können? „Man braucht eine gute Kondition“, sagt Weist. „Und man darf nicht das eigene Wohl im Auge haben, sondern muss der Bürgerschaft verpflichtet sein.“ Und sie müsse zuhören können: Denn die Mehrheit der Bürger wolle sich politisch artikulieren – und mit ihren Anliegen ernst genommen werden.