Rücktritt
"Die Zecke im Rathaus" - Neubrandenburgs Oberbürgermeister reicht es
KOMMUNAL: Herr Witt, Ihre Rücktrittsankündigung hat bundesweit Wellen geschlagen. Warum wollen Sie Ihr Amt vorzeitig niederlegen?
Silvio Witt: Dafür gibt es viele Gründe. Ich habe mein Amt zehn Jahre ausgeübt und in dieser Zeit viele Grabenkämpfe mit den Stadtvertretern durchfechten müssen. Viele davon waren von sachlicher Natur, einige aber auch von unsachlicher Natur. Irgendwann ist die Grenze erreicht, an der man dafür nicht mehr die nötige Energie aufbringen kann. Hinzu kamen Herabsetzungen in sozialen Medien.
Wie blicken Sie zurück?
Ich trete im Mai 2025 auch deshalb vier Jahre früher zurück, weil ich mit dem guten Gefühl gehen möchte: Dann liegen zwar harte Kämpfe hinter mir, die Stadt hat sich aber dank der gemeinsamen Arbeit mit vielen Beteiligten auch im nichtpolitischen Raum positiv weiterentwickelt – sowohl baulich, infrastrukturell, finanziell als auch sozial und kulturell. Wir haben viel erreicht, ich bin zufrieden.
Was waren die schmerzhaftesten Erfahrungen?
Am schmerzhaftesten war, dass man mir in der Ratssitzung meiner Amtseinführung Mobbing vorgeworfen hat - und meinen Amtsantritt im April 2022 so würdelos gestaltet hat. Ich war mit 87 Prozent wiedergewählt worden, Gratulation sieht anders aus. Auch bei anderen Gelegenheiten haben Stadtvertreter mir nicht den angebrachten Respekt entgegengebracht und damit das Amt des Oberbürgermeisters beschädigt.
Was war da passiert?
Die stellvertretende Stadtpräsidentin hat ausgerechnet meine Amtseinführung dazu genutzt, mir in ihrer Rede vorzuwerfen, die Stadtverwaltungsspitze hätte Mitarbeiter gemobbt. Der Stadtpräsident, der bei der Sitzung nicht dabei war, ist daraufhin zurückgetreten. Der Eklat bei dieser Sitzung war nur einer von vielen unfairen Angriffen gegen mich, aufgeklärt wurde er nie.
Die Stadtvertreter haben auch mehrheitlich beschlossen, die Regenbogenflagge am Bahnhof nicht mehr zu hissen.
Das war der letzte Anstoß für mich, das Amt vorzeitig niederlegen zu wollen. In der Stadtgesellschaft hat es nie eine Rolle gespielt, dass ich homosexuell bin und mit einem Mann verheiratet bin. Die Regenbogenflagge hing seit 2018. Doch zuletzt wurde das Narrativ bedient: Da kümmert sich einer nur um seine Klientel, da zieht einer seine eigene Agenda durch. Dabei steht die Flagge nicht nur für Homosexualität, sondern für Vielfalt, Toleranz und Freiheit. Und das alles braucht jede Kommune, damit sie funktioniert.
Die Regenbogenfahne soll nun doch wieder aufgehängt werden. Wie kam es zu der Rolle rückwärts in der Stadtvertretung?
Der Beschluss, die Fahne abzunehmen, sorgte bundesweit für Reaktionen. Die Stadtvertreter haben mit dem zweiten Beschluss wohl einen Fehler korrigiert. Sie hatten die Außenwirkung gar nicht bedacht und einige gaben auch in diesem Fall mir die Schuld. Ich hätte Neubrandenburg in Verruf gebracht, weil ich daraufhin den Rücktritt erklärt hatte. Nur deshalb sei die Stadt in die Negativ-Schlagzeilen geraten. Ziemlich kurz gesprungen.
Wie reagieren die Bürgerinnen und Bürger auf Ihren Abschied?
Viele haben mich gebeten, doch weiterzumachen. In der Bürgersprechstunde waren manche sogar sehr emotional.
Viele Bürgerinnen und Bürger haben mich gebeten, doch weiterzumachen."
Sie haben auch in den sozialen Medien einiges einstecken müssen. Halten Sie es für richtig, dass Robert Habeck einen Rentner angezeigt hat, der ein "Schwachkopf"-Meme über ihn geteilt hat?
Ja, ich finde das richtig, auch wenn er dafür vielfach kritisiert wird, weil es danach eine Hausdurchsuchung gab. Das würde ich auch meinen Bürgermeisterkollegen raten: Lassen Sie sich Beleidigungen nicht gefallen. Ich habe in meiner Amtszeit mehr als 20 Anzeigen erstattet. Gerade erst ging ein Prozess zu Ende. Eine Frau hat mich in den sozialen Medien als „Zecke, die im Rathaus sitzt“ bezeichnet.
Und wie ging es aus?
Das Verfahren soll eingestellt werden – gegen Geldbuße. Die Frau soll 300 Euro bezahlen.
Wie erklären Sie sich, dass die AfD gerade in Ostdeutschland so stark wurde?
Die AfD hat in Neubrandenburg knapp 22 Prozent geholt, das ist nicht wenig, liegt aber zehn Prozent unter dem Landesdurchschnitt. Gerade in Ostdeutschland gibt es Themen, die negativ besetzt sind – und da springen Rechtspopulisten drauf. Wir dürfen aber nicht immer nur dem Volk aufs Maul schauen, sondern müssen den Dialog auch bei strittigen Themen führen. Das gilt auch für das Thema Migration. Ich sage aber auch: Der reine Fokus auf die AfD ist falsch. Sie kann nur so stark werden, wenn die politische Mitte mit ihr kooperiert und hinter den Kulissen Absprachen trifft. Ich halte das für grundfalsch. Denn die Rechtspopulisten werden sich Schritt für Schritt Positionen in Gremien erarbeiten und diese Macht werden sie dann ausnutzen.
Hatten Sie einen Augenblick erwogen, doch Oberbürgermeister zu bleiben?
Nein. Ich muss jetzt meine Gesundheit schützen und meine Familie. Ich bin mir sicher, das Richtige zu tun. Ich weiß noch nicht, wo ich meinen Platz danach finden werde. Ich will mich aber weiterhin politisch engagieren und meinen Beitrag in dieser Stadt weiter leisten, vielleicht in einer Stiftung. Ich war vorher selbständig mit einer Kommunikationsagentur, vielleicht knüpfe ich daran an.
Was geben Sie anderen Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen auf den Weg?
Die Themen offen zu diskutieren, auch über einen rauen demokratischen Diskurs offen zu sprechen. Rechtzeitig den Finger in die Wunde legen und rechtzeitig sich wehren. Sobald es eine Stufe erreicht, wo Menschen diskreditiert werden und man selbst diskreditiert wird, muss man die Anfeindungen öffentlich machen. Auch wenn man denkt, dann gelte ich vielleicht als weich und nicht als der harte Macher oder die harte Macherin.
Raten Sie trotz allem jungen Menschen, sich um das Amt des Bürgermeisters zu bewerben?
Ja klar! Wenn die Demokraten der Mitte sich nicht mehr zur Wahl stellen, weiß man, wer übrigbleibt