Alternativlos? Gab es nie, wird es nie geben! Christian Erhardt mit einem Plädoyer für weniger Parteipolitik
Alternativlos? Gab es nie, wird es nie geben! Christian Erhardt mit einem Plädoyer für weniger Parteipolitik
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Leitartikel

Nach den Landtagswahlen: Alternativlos? Gab es nie, wird es nie geben!

Was gerade noch alternativlos war, wo Wissenschaft und Gesetze angeblich nichts anderes erlaubten, geht es auf einmal doch. „Gut, dass nicht der Staat seine Bürger, sondern die Bürger ihren Staat formen,“, meint Christian Erhardt mit Blick auf jüngste Wahlergebnisse und die Flüchtlingspolitik.

Was war in den vergangenen Jahren nicht alles alternativlos? Der Ausstieg aus der Atomkraft, die FFP2-Maske, das Heizungsgesetz gegen den Klimakollaps. Durchgesetzt mit Vorschriften und Verboten. Die Bezahlkarte für Flüchtlinge war im vergangenen Jahr rechtlich auch unmöglich. Bis erste Landräte sie einfach vor Ort einführten. Mit Erfolg. Und nun, im September 2024, nach einem erneuten islamistischen Terroranschlag in Solingen?  Die rechtlich bis vor wenigen Tagen noch völlig unmögliche Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan hat funktioniert. Wenn auch mit 1000,- Euro als eine Art Begrüßungsgeld in der alten Heimat.

Oder die Abschiebung von offensichtlich über Drittstaaten eingereiste Asylbewerber direkt an den Grenzen der Bundesrepublik – undenkbar und absolut verboten. Bis zu diesem schrecklichen Anschlag und den kurz danach stattfindenden Landtagswahlen. Haben Politiker auf einmal mehr Angst vor einem Messer im Hals als vor europäischen Gerichten?

Extreme Populisten statt radikale Sachlichkeit? Wie Politik auf die Landtagswahlen reagieren sollte...

„Angst fressen Seele auf“ sagt ein altes Sprichwort. Viele Bürgermeister und Landräte dürften sich fragen, warum die Angst von Bundes- und Landespolitikern nicht ähnlich groß war, als sie immer wieder Brandbriefe formuliert haben. Sei es zur katastrophalen finanziellen Ausstattung der Kommunen oder weil vor Ort dringend eine Atempause in der Flüchtlingspolitik benötigt wird. Sind die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die vielen Ehrenamtlichen in den Kommunen etwa nicht so wichtig? Erfordern ihre Brandbriefe, sachlich und ruhig formuliert, kein Umdenken? Braucht es brachiale Gewalt und populistische Wahlerfolge statt mehr Sachlichkeit? Vordergründig drängt sich beim Wähler gerade der Eindruck auf, „sie knicken ein, wenn es um die Macht geht“. Aber ganz so einfach ist es glaube ich nicht.

Mit den Landtagswahlen hat sich noch einmal deutlich gezeigt, dass es die Menschen im ländlichen Raum sind, die aufgrund einer massiven Angst vor Gewalt und Anschlägen eine immer größere Grundaggressivität in sich tragen. Und irgendwann kein besseres Ventil mehr finden als entweder die Rosa Luxemburg der letzten Tage oder den selbsternannten AfD-Führer aus Thüringen zu wählen. Sarah Wagenknecht und Björn Höcke unterscheidet übrigens inhaltlich gar nicht so viel. Beide würden, wenn sie könnten wie sie wollen, vermutlich alle Flüchtlinge des Landes verweisen. Einziger Unterschied: Bei Sarah Wagenknecht müssten die Reicheren gleich mit auswandern. Also indirekt, weil sie so geschröpft würden, dass ihnen kaum etwas anderes übrig bleibt. Seriöse Politik ist das nicht.

Es geht um Menschen, nicht um Parteien - warum das parteitaktische Denken Vergangenheit sein sollte...

Aber zurück zum Thema: Nach den Wahlen wollen Landespolitiker in Sachsen und Thüringen wieder „alternativlose“ Gründe gefunden haben, warum sie mit einzelnen Parteien nicht zusammenarbeiten wollen. Obwohl es anders kaum denkbare Mehrheiten gibt. Ob das zur Befriedung der Situation beiträgt, darf bezweifelt werden. Denn aus der Kommunalpolitik wissen wir, dass es die Menschen eher wenig interessiert, mit wessen Stimmen die Senkung der Grundsteuer beschlossen wurde.

Ja, ich höre schon den Shitstorm, jetzt fordert der Erhardt-Maciejewski wieder das Fallenlassen der Brandmauer. NEIN! Was ich von Landespolitikern fordere ist, dass sie sich mal genauer in der Kommunalpolitik umschauen. In den meisten Gemeinderäten gibt es keinen Pakt mit Menschen, die mutmaßlich die demokratische Grundordnung mit Füssen treten. Aber es gibt sehr wohl sehr bunte Fraktionsgemeinschaften. Bündnisse von CDU und Linken oder von FDP und BSW, alles denkbar. Weil hier Menschen zusammenarbeiten und nicht Parteien.

Kommunalpolitik macht vor, wie es gehen kann: Inhalte statt Koalitionen

Und die Mehrheiten? Wechseln in den meisten Gemeindeparlamenten! Je nach Thema, je nach Antrag. Es braucht jedes Mal aufs Neue gute Argumente, um Mehrheiten für einen Antrag zu gewinnen. Klassische Koalitionen gibt es auf Gemeindeebene in den seltensten Fällen. Einzig in Großstädten versuchen Kommunalpolitiker allzu häufig, es sich durch Koalitionen einfacher zu machen. Einfacher heißt aber nicht bürgernäher. Im Gegenteil. Vielleicht wäre es mal an der Zeit, auf Landesebene Minderheitsregierungen mit wechselnden Mehrheiten auszuprobieren. Das würde auch medial die Inhalte und die Positionen der Parteien zu einzelnen Themen viel stärker in den Mittelpunkt rücken. Statt Koalitionsvertrag fünf Jahre versuchen, für jedes einzelne Thema zu werben. Das geht nur mit Argumenten. Das beste Argument, es mal auszurobieren sind die Kommunen: Da funktioniert das hervorragend. Und nicht umsonst zeigen alle Umfragen, dass das Vertrauen in Bürgermeister, Rathaus und Kommunalpolitik erheblich höher ist als das in Landes- oder Bundespolitiker. Also auf, wagen wir das angeblich Alternativlose!