Kommunale Trauerarbeit
Lebendige Friedhofskultur gestalten
Die Grabmalauswahl, die Friedhofspflege, das kommunale Krematorium und die Bestattungen – all das sind Stationen, die ich auf dem Südfriedhof Leipzig besuchen will. Der amtierende Abteilungsleiter Volker Mewes bei der Friedhofsverwaltung, der für die sieben städtischen Friedhöfe Leipzigs zuständig ist, hat ein ambitioniertes Programm vorgelegt. Er möchte, dass ich erfahre, wie facettenreich die Friedhofsarbeit wirklich ist.
Wir sind im Verwaltungsgebäude am Friedhofseingang. An der Wand hängen Stadtpläne und Karten von Friedhöfen. Der Leipziger Südfriedhof unterscheidet sich von den anderen durch seine Wegführung in Form eines Lindenblatts. Mittendrin ein riesiger Gebäudekomplex, um 1910 der größte geschlossene Bau nördlich der Alpen. Dort sind die Trauerhallen, Krematorium und das Kolumbarium untergebracht.
Friedhofskultur in Deutschland ist immaterielles Kulturerbe
Der Friedhof ist über 134 Jahre alt und im ständigen Wandel. Die Friedhofskultur in Deutschland steht seit März dieses Jahres auf der Liste der Deutschen UNESCO-Kommission als immaterielles Kulturerbe. „Dabei geht es nicht nur darum, etwas zu konservieren“, sagt Mewes. „Nur eine lebendige Friedhofskultur kann auf die vielfältigen Bedürfnisse der Menschen eingehen.“
Auf dem Südfriedhof in Leipzig liegen sie alle nebeneinander: Alt, Jung, Arm, Reich, Gläubige und Nichtgläubige. Haustierfans sollen vielleicht bald ihr eigenes Areal bekommen. „Aus uns selbst heraus können wir gar nicht immer erkennen, welche Vorstellungen und Ideen die Menschen haben“, erklärt Mewes. Dabei geht es um die Grabgestaltung, die Trauerfeier, Rituale und wie ein Mensch beerdigt werden will. Für die Verwaltung sei es daher wichtig, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren.
Friedhofskultur ist vielfältig
Aktuell ist zum Beispiel ein interkultureller Gedenkort geplant. „Auch um Menschen, die jetzt zum Beispiel kein Grab besuchen können, einen Raum zu geben, an dem sie innehalten können“, sagt Mewes. Ein Angebot, das sich speziell auch an Flüchtlinge richten könnte.
Den Rahmen für die Friedhofsgestaltung bildet die Friedhofssatzung. „Sie darf weder zu streng noch zu nachsichtig ausgelegt werden“, erklärt mir Mewes. Es ist eine Gratwanderung zwischen dem individuellen persönlichen Bezug zum Grab und dem Grab als Bestandteil des Friedhofs, in dem es sich auch einzuordnen hat. „Eine gewisse Kontinuität ist wichtig für den Ort Friedhof“, führt Mewes aus, der neben seiner Leitungsfunktion auch für Grundsatzfragen und Friedhofsrecht zuständig ist.
Manche merken zu spät, dass sie das falsche Grabmal gewählt haben
Meine nächste Station mache ich eine Etage tiefer bei Yvonne Jolas. Ob sie auch mal skurrile Anfragen bekommt, frage ich sie. „Eigentlich nicht“, sagt die Verwaltungsmitarbeiterin. Sie hilft den Angehörigen und den Menschen, die sich schon zu Lebzeiten ihre Ruhestätte aussuchen wollen, bei der Wahl der passenden Grabstätte. Dafür braucht sie besonders viel Feingefühl. Es kommt häufiger vor, dass sie empfiehlt, sich mehr Zeit zu nehmen. Sie achtet darauf, ob sich Angehörige unsicher bei der Wahl eines Grabs sind. Spätestens nachdem sie sich für eine anonyme Feuerbestattung entschieden haben, kann dies zum Problem werden. Die Urne darf dann schon per Gesetz nicht mehr ausgehoben werden. Dieser Ort zum Trauern ist dann verloren.
Von Grabmalpatenschaften profitieren beide Seiten
Ein besonderes Angebot, das die Friedhofverwaltung bietet, sind die sogenannten Grabmalpatenschaften. Die Paten sind verantwortlich für die Instandhaltung der historischen Grabstätte. Dafür können sie das Nutzungsrecht erwerben. Auf dem Weg zu meiner nächsten Station passiere ich viele dieser beeindruckenden Gräber, die hinter Sträuchern und Büschen hervorlugen.
Friedhöfe bilden wertvolle Grünflächen
„Ich kümmere mich um das Grüne“, sagt Friedhofspflegerin und Gartenmeisterin Andrea Hein, die ich am Forsthaus treffe. Mit ihrem Team aus 21 Friedhofsgärtnern und 11 Azubis haucht sie der Grünfläche ihre Seele ein. Dabei ist ihr wichtig, das „Flair“ des Friedhofs zu bewahren, wie sie sagt.
Bei einem Rundgang kontrollieren wir Gräber. Angehörige können entscheiden, ob sie sich selbst um das Grab kümmern, oder ob sie dafür ein Unternehmen beauftragen wollen. Ist das Grab nicht gepflegt, gibt es bis zu drei Mahnungen. Danach kann es eingeebnet werden. Die Grabstelle an sich bleibt erhalten.
„Am Tag laufe ich zwischen 10 und 15 Kilometer“, erzählt mir die ehemalige Handballerin, die mit mir im Schlepptau über das Gelände eilt. Wir halten an - die Friedhofspflegerin ist nicht erfreut. Das Grab wirkt ungepflegt. Sie zückt einen Kugelschreiber und vermerkt, dass wieder eine Mahnung rausgehen muss. Ein anderes Grab sieht inzwischen besser aus – dort scheint die Kontaktaufnahme gewirkt zu haben. Jetzt ist ein privater Friedhofsgärtner mit der Grabpflege beauftragt. Ein Schild deutet darauf hin.
Das Friedhofsgelände bietet vielen Tieren ein zuhause
Nüsse für das Eichhörnchen, das vertrauensvoll auf uns zuhüpft, hat sie heute leider keine dabei. In dem Abschnitt tummeln sich einige der Nager mit dem roten Schweif. Auch Dachse, Hasen, Füchse und sogar Rehe leben hier, erzählt die Gartenmeisterin. Inmitten der Großstadt bietet das Grün auch ihnen einen Rückzugsort. Ich müsse wiederkommen, wenn im Frühjahr die Rhododendronbüsche blühen. „Der Friedhof wechselt sein Kleid mit den Jahreszeiten“, sagt Gärtnermeisterin Hein.
Leipzig hat ein kommunales Krematorium
Die Schornsteine sind schon von weitem zu erkennen. Als nächstes besuche ich das Krematorium. Pro Jahr gibt es in Leipzig rund 6.000 Sterbefälle. 93 Prozent der Verstorbenen werden kremiert, über 60 Prozent davon im Krematorium der Stadt Leipzig. Die Sachbearbeiterin Mandy Baumgärtel führt mich die Treppe hinunter auf die untere Etage. Dort stehen die Öfen.
„Ein Körper brennt im Schnitt drei Stunden und die Asche wiegt im Schnitt drei Kilo“, klärt mich die Friedhofsmitarbeiterin auf. Den Öfen gegenüber ist eine Tür, links und rechts davon sind in die Wand eingelassene Bänke. Sie sind für die Angehörigen, die der Einäscherung beiwohnen wollen. Gleich hinter der Tür hängt ein Schild an der Decke.
So bleibt die Asche der Toten identifizierbar
Der Schriftzug in der Mitte „Haupt“ leuchtet. „In der Haupthalle findet gerade eine Trauerfeier statt“, erklärt mir Baumgärtel. „Wir müssen leiser reden.“ Es ist hellhörig und die Trauerhallen sind über die Fahrstuhlschächte für die Särge mit dem Krematorium verbunden.
Auf der einen Seite erstreckt sich ein langer Gang, in dem die Särge stehen. Auf ihnen liegen die robusten Schamottesteine mit eingravierter Identifikationsnummer, die später mit der Asche in die Aschekapsel gegeben werden. Damit bleibt die Asche „identifizierbar“. Häufig wird Baumgärtel gefragt, ob die Särge mitverbrannt werden. „Ja, das werden sie“, sagt sie dann. „Das ist wichtig für den Verbrennungsprozess.“
Die Mitarbeiter der Stadt begleiten auch die Trauerfeiern
Auf den Weg zu den Trauerhallen begegnet mir eine Familie. Die Trauerfeier ist gerade zu Ende. „Die Familie hat sich für eine weltliche Trauerfeier entschieden“, erzählt mir Katrin Michel, deren Büro bei den Trauerhallen liegt. Trauerfeiern und Verabschiedungen gehören zu ihrem Arbeitsbereich. Dies als Mitarbeiterin der Stadt machen zu können, versteht sie als Privileg. Die gelernte Bestattungsfachkraft hat 2014 in der Leipziger Friedhofsverwaltung ausgelernt. Danach hat sie vier Jahre für ein Bestattungsunternehmen gearbeitet.
Friedhofsalltag ist nicht immer nur traurig
Jetzt ist sie zu ihrem Ausbildungsbetrieb zurückgekehrt. Für sie ist die Kommune eine attraktive Arbeitgeberin. Hier gebe es Entwicklungsmöglichkeiten – auch abseits des Friedhofs. „Aber eigentlich will ich im Bereich Bestattungen bleiben“, sagt sie. „Es ist halt kein Beruf wie jeder andere.“ Und es ist nicht alles immer nur traurig. „Es gibt auch sehr viele heitere Momente“, erzählt mir die Friedhofsmitarbeiterin. „Auch mit den Angehörigen“, betont sie. So hat sich ein Mann am Grab bei dem Verstorbenen für den Spitznamen bedankt, den dieser ihm zu Lebzeiten verpasst hat. „Was hat der wohl für einen Spitznamen gehabt?“, fragt sich Katrin Michel.
Trotz aller professioneller Distanz - die Trauerfeiern und Begräbnisse im Friedhofsalltag berühren auch die Mitarbeiter. Vor allem, wenn ein Kind bestattet wird. Auch mir führt der Kinderfriedhof nochmal besonders vor Augen, wie zerbrechlich das Leben ist. Die Gräber sind farbenfroh geschmückt und ich höre nur die bunten Windmühlen im Wind surren. Ich muss kurz innehalten. Der Friedhof schärft nicht nur den Blick auf den Tod, sondern auch auf das Leben.