Löwenzahnwiese
Die neue Landlust - die Corona-Pandemie hat ihr noch einen Schub verpasst.
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Aktuelle Studie

Trendwende: Die Menschen zieht es aufs Land

Jetzt ist die gefühlte Wahrheit statistisch belegt und ausgewertet: Die Großstadt ist nicht mehr so beliebt. Eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerungsentwicklung belegt, dass dagegen vor allem kleine Kommunen an Attraktivität gewonnen haben. Deutschlandweit zogen zuletzt mehr Menschen in Landgemeinden und Kleinstädte als ihnen den Rücken kehrten. Was die Experten ländlichen Gemeinden raten!

Das Wanderungsverhalten der Menschen in Deutschland hat sich stark verändert Der ländliche Raum zählt fast überall zu den Gewinnern. Das ist die Haupt-Nachricht der Studie "Landlust neu vermessen", die das Berlin-Instituts für Bevölkerungsentwicklung jetzt zusammen mit der Wüstenrot Stiftung veröffentlicht hat. Die meisten innerdeutschen Umzüge gehen inzwischen aufs Land. Die neue Landlust macht nicht an der Grenze zur Peripherie halt, so die Experten. "Während 2008 noch die Zentralität die Beliebtheit einer Landgemeinde bestimmte, spielte diese 2019 praktisch keine Rolle mehr. Im Coronajahr 2020 lagen erstmals die sehr peripheren Landgemeinden in ihrer Beliebtheit vorn." Es gewinnen also nicht mehr nur die Speckgürtelgemeinden um die großen Städte neue Bewohner hinzu. „Die neue Landlust begann nicht erst mit der Pandemie. Die Entwicklung deutet sich schon länger an und hat seit 2017 Fahrt aufgenommen. Corona hat diesen Trend noch einmal verstärkt“, sagt Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts. Die Hauptgründe für die Trendwende: Das Leben in der Stadt werde immer  teurer. Die Digitalisierung ermöglicht immer mehr Homeoffice. „Und die Erfahrung der Corona-Lockdowns führte schließlich dazu, dass bei weiteren Menschen in der Großstadt der Wunsch nach mehr Freiraum und Nähe zur Natur reifte“,  so Hinz.

Kleine Gemeinden gewinnen hinzu

Gegen Ende der 2000-er Jahre zog es die Menschen vor allem in die Großstädte ab 100.000 Einwohner. Ganz anders im damit verglichenen Zeitraum von 2018 bis 2020. Die Großstädte verzeichnen einen geringeren jährlichen Wanderungsgewinn von im Schnitt noch 2,5 je tausend Bewohner. Die Landgemeinden haben laut Studie dagegen zugelegt: Von ihnen gewannen nun 63 Prozent, also knapp zwei Drittel, Einwohner durch Umzüge hinzu. Durchschnittlich verbuchten sie jährliche Wanderungsgewinne von 4,2 je tausend Einwohner.  Besonders hoch ist der Zuwachs bei den kleineren Gemeindetypen. Landgemeinden und Kleinstädte verzeichnen inzwischen insgesamt Wanderungsgewinne – anders als zehn Jahre zuvor. Spannend:  Auch viele abgelegene Regionen gewinnen heute Bewohner durch Umzüge hinzu. Vor allem junge Familien zieht es aufs Land.

Ländlicher Raum im Osten holt auf

 Die neue Landlust hat laut Studie die gesamte Republik erfasst. Überall ziehen in den ländlichen Gemeinden mehr Menschen zu als fort. Viele Landgemeinden in den  westdeutschen, aber auch ostdeutschen Bundesländern verzeichnenn Wanderungsgewinne .Allerdings gilt das nicht für alle Kommunen: Die Bevölkerungszahl vieler Ortschaften schrumpt weiter, teilweise deutlich. Die Zuzüge reichen dort nicht aus, um die Differenz aus Geburten und Sterbefällen  auszugleichen. Davon betroffenen sind Gemeinden in den ostdeutschen Bundesländern, aber auch etwa im nördlichen Bayern, im Saarland, im östlichen Nordrhein-Westfalen, in Nordhessen oder Südniedersachsen.

Wer zieht aufs Land, wer in die Stadt?

  • Menschen, die innerhalb Deutschlands umziehen, verlassen mehrheitlich die Städte und ziehen aufs Land.
  • Ohne Zuwanderung aus dem Ausland würden die Großstädte im Schnitt Wanderungsverluste einfahren
  • Familien zieht es (zurück) aufs Land und ältere Menschen wissen die kurzen Wege sowie das Angebot an sozialer und kultureller, aber auch gesundheitlicher Infrastruktur in eher kleineren Städten zu schätzen.Die Familienwanderer sorgen für die Belebung entlegener Regionen in ganz Deutschland. So werden die 30- bis 49-Jährigen mit ihren minderjährigen Kindern bezeichnet. Viele von ihnen wünschen sich nun statt einer engen Stadtwohnung ein Häuschen mit Garten. Manche wollen, dass die Kleinen behütet auf dem Dorf statt in der Großstadt aufwachsen. Andere können sich den Umzug in eine geräumige Wohnung im Zentrum nicht leisten.
  •  Die  mobilste Altersgruppe sind die 25- bis 29-Jährigen. Anders als vor zehn Jahren ziehen heute mehr sogenannte Berufswanderer aufs Land als wegziehen.
  • 18 bis 24-Jährige werden auch als Bildungswanderer bezeichnet, denn viele von ihnen ziehen nach ihrem Schulabschluss an Orte mit Universitäten oder andere Ausbildungsmöglichkeiten. Sie verlassen weiterhin in großer Zahl die ländlichen Regionen und strömen in die Großstädte. Je ländlicher ein Kreis, desto höher der durchschnittliche Wanderungsverlust bei diesen jungen Menschen.
  • Junge Menschen treibt es weiterhin in die Großstädte, um dort etwas zu erleben,
  • Von den über 50-Jährigen ziehen nur noch vergleichsweise wenige in andere Städte oder Gemeinden.
  • Zuwanderer  entscheiden sich häufig für Orte, an denen Jobangebote locken und bereits Menschen gleicher Herkunft leben.
  •  Menschen aus dem Ausland zieht es stärker in die kreisfreien Großstädte. Aber auch die übrigen Regionen profitieren von der Zuwanderung aus dem Ausland. Dünn besiedelte ländliche Regionen verzeichnen ebenso wie solche mit Verdichtungsansätzen und städtische Kreise Außenwanderungsgewinne von über drei Personen je tausend Einwohnern.
  •  Geflüchtete Menschen - mit Ausnahme der kriegsvertriebenen Ukrainern - können ihren Wohnort häufig zunächst nicht frei wählen, sondern werden über das ganze Land verteilt, auch in abgelegene, strukturschwache Regionen. Sobald sie weiterziehen dürfen, entscheidet sich der Großteil von ihnen für ein Leben in der Stadt.

Landgemeinde oder Großstadt - welche Rolle spielen Größe und Lage?

  • Landgemeinden und Kleinstädte sind bei Umziehenden inzwischen beliebter als Großstädte
  •  Abgelegene Landgemeinden (und Kleinstädte) verzeichneten zuletzt durchschnittlich höhere Wanderungsgewinne als Speckgürtelgemeinden.
  • Die neue Landlust zeigt sich nicht nur in der Flucht aus den Städten, sondern auch im Dableiben der Landbewohnern. Tendenziell ziehen weniger Menschen aus kleinen Gemeinden fort oder entscheiden sich für ein Leben in der Großstadt.

Tipps für ländliche Gemeinden

Für ländliche Regionen eröffnet die Entwicklung eine Chance, die es zu nutzen gilt. Die Experten raten: Bund und Länder sollten dafür sorgen, dass der Glasfaseranschluss so selbstverständlich wird wie jener ans Strom- und Wassernetz. Junge Familien brauchen Kitas, Schulen, aber auch Nachmittagsangebote für ihre Kinder. Zudem sollten fußläufig erreichbare Angebote und soziale Treffpunkte geschaffen werden, wie etwa ein Dorfladen, ein flexibler Rufbus oder E-BikeSharing, ein Jugendzentrum oder Räume für kulturelle Veranstaltungen. Ein weiterer Tipp: Die Verantwortlichen in den Gemeinden sollten offen sein für innovative Ideen und gemeinsam mit eingesessenen und neuen Bewohnern Lösungen entwickeln. Ein Coworking Space könnte neuen Wind ins Gemeindeleben bringen und bestenfalls dazu führen, dass in ihrem Umfeld weitere Ideen entstehen. Gemeinden sollten den Leerstand vor Ort aktiv vermarkten und Interessierte nach Kräften unterstützen.

Demografischer Schrumpfkurs

Die Experten raten, die demografische Entwicklung im Blick behalten und die Situation realistisch bewerten. Trotz aktueller Wanderungsgewinne bleiben viele ländliche Gemeinden auf demografischem Schrumpfkurs. Und obwohl vielerorts mehr junge Leute zu- als fortziehen, wird die Bevölkerung älter. Sie braucht dann barrierearme Wohnungen und barrierefreie Zugänge und Möglichkeiten zur Teilhabe.

Die Gemeinden sollten alles daransetzen, die Ortskerne zu stärken und Zuziehende dafür zu gewinnen, freien Wohnraum im Zentrum zu beziehen, anstatt auf der grünen Wiese neu zu bauen. Das  Zusammenleben wird dann ein Erfolg, wenn Zugezogene und Eingesessene Gelegenheiten zusammenzukommen, bei Festen oder anderen Veranstaltungen.

Hier finden Sie die Studie  zum Download als PDF! Sie beinhaltet auch Beispiele aus den Kommunen.

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