Vom Landleben lernen heißt Zukunft gestalten - Beobachtungen aus den USA und was wir in Deutschland davon lernen können
Vom Landleben lernen heißt Zukunft gestalten - Beobachtungen aus den USA und was wir in Deutschland davon lernen können
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Landleben

Beobachtungen im Ausland: Wenn einer eine Reise tut...

In ländlichen Regionen fehlen Deutschland besonders viele Fachkräfte. „Ein Grund ist, dass wir zu selten auf die sehr unterschiedlichen Stärken einer jeder Kommune achten“, stellt Christian Erhardt nach Beobachtungen in seinem Urlaub fest.

Entschuldigen Sie bitte, wenn ich in diesem Artikel möglicherweise mitten im tristen Winter ihr Fernweh wecke. Es soll eigentlich kein Reisebericht werden. Aber ich komme nicht ganz umhin, sie auf meine Rundreise durch die USA im Oktober mitzunehmen. Es heißt ja immer: „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben“. Und einige Entdeckungen fand ich schon berichtenswert. Denn bei aller Amerika-Skepsis, die in Deutschland oft vorherrscht, macht dieses sehr föderale Land eben auch einiges richtig, wenn es um die Stärkung des Landlebens geht.

Thema Landleben - trotzdem beginnen wir in New York

Das gilt nicht unbedingt für die großen Megazentren wie New York, wo meine Reise begann. Obwohl das U-Bahn System dort als besonders eng verzweigt gilt, obwohl die Preise für ein Bahnticket deutlich niedriger sind als in vielen deutschen Städten, ein solcher täglicher Wahnsinn auf den Straßen sucht seinesgleichen. Vom Hafen bis in die Innenstadt sind es keine 15 Kilometer, der Bus braucht aber knappe drei Stunden durch die hupende, von Abgasen versmogte Blechlawine mitten im ganz normalen Wahnsinn des täglichen Feierabendverkehrs. Auffallend: Der Anteil der Elektroautos liegt im Promillebereich. Kurzum: In den Musicals am Broadway die heile Welt besingen, auf den Straßen den Katzenjammer der Realität erleben. Zeit für mich, nach vier Tagen der Stadt „in der man niemals ruhig schlafen kann“ Lebewohl zu sagen, um nach Boston weiterzureisen. Mein erster erstaunter Blick fällt direkt am Hafen auf einen großen Ladepark für Elektroautos. Sie werden schon ahnen, dass der Anteil der E-Autos in der Stadt entsprechend deutlich größer war. Was einen unweigerlich zur „Henne-Ei-Diskussion“ führt. Hatte ich in New York keine einzige Ladesäule entdeckt, gehörten sie hier ganz normal zum Straßenbild.

Eine Universität stärkt das Landleben in den USA

Nun war ich ohne Auto in den USA und so setzte ich mich in den Bus, um einmal die legendäre Harvard-Universität zumindest von außen zu sehen. 20.000 Studenten lernen dort, Top-Geschäftsführer von Facebook und Goldman Sachs studierten hier ebenso wie mehrere US-Präsidenten. Die wenigsten der Absolventen brauchten übrigens 20 Semester, um dann ohne jeden Abschluss in den Bundestag zu wechseln…aber ich schweife ab…



Also, jedenfalls stieg ich in den Bus und war dann doch erstaunt, dass ich rund 30 Minuten Fahrtzeit hatte. Denn die Elite-Universität befindet sich nicht in Boston, sondern in Cambridge, einer Stadt im Speckgürtel. Genau das wünsche ich mir seit Jahren in Deutschland. Die Universitäten konzentrieren sich bis auf wenige Ausnahmen auf die Großstädte. Wer als junger Mensch in diese Universitätsstädte zieht, lernt hier nicht selten den oder die Partnerin kennen, zieht in eine gemeinsame Wohnung, gründet eine Familie und bleibt dann hier. Von einem „Klebe-Effekt“ sprechen die Experten. Einmal in einer Region ansässig, wollen viele auch nicht mehr weg. Wie sinnvoll wäre es da, diese Universitäten stärker in ländliche Räume zu verlegen. Deutschland macht das Gegenteil, so findet die gesamte Ärzteausbildung für Brandenburg, mitfinanziert vom Land, zentral an der Charité in Berlin statt. Um sich dann zu wundern, dass in der Uckermark die Landärzte fehlen.



Die Mär vom Fachkräftemangel auf dem Land

Und Studien, wie etwa vom Leibnitz-Institut erklären uns zudem, Firmen würden sich nicht in ländlichen Gebieten ansiedeln, weil dort die Arbeitskräfte fehlen. Was übrigens nicht stimmt, weil nahezu alle sogenannten „Hidden Champions“ also die geheimen Weltmarktführer in ihrem Bereich, in kleinen Orten sitzen. ACO Severin stellt in der 10.000-Einwohner-Stadt Bübelsdorf die erfolgreichsten Entwässerungssysteme der Welt mit einem Umsatz von über 700 Millionen Euro im Jahr her, der Weltmarktführer in Sachen Fruchtgummis, Amapharm hat seinen Sitz in einer Kleinstadt im Saarland und beschäftigt 170 Mitarbeiter, auch Adidas mit Sitz in Herzogenaurach zeugt davon. Kurzum: Wir dürfen mit unseren Wirtschaftsförderprogrammen nicht alle Kommunen über einen Kamm scheren. Jede Gemeinde hat ihre ganz eigenen Stärken und Eigenschaften. So wie New York für Musicals steht, ist es in Los Angeles mit dem Ortsteil Hollywood die Filmindustrie, Orlando mit seinen Freizeit-Parks steht für Urlaub und Abenteuer. Deshalb lassen sich auch Förderprogramme nicht „von oben herab“ verordnen, sondern müssen individuell entschieden werden. Mehr Entscheidungskompetenz für die Städte und Gemeinden würde hier weiterhelfen.

Dezentrale Strukturen sind der Hebel

Und noch ein Problem würden wir mit mehr dezentralen Strukturen lösen. Erinnern Sie sich im letzten Sommer an die Diskussion um Städte, die wegen des Klimas immer mehr aufheizen? In vielen Städten ist es zu heiß, weil nicht die Städte heiß sind, sondern weil dort zu viele Menschen sind, die die Stadt heiß machen. Ziehen – am Beispiel der Studenten – immer mehr Menschen dorthin, muss in Städten eben enger gebaut werden. Macht man das nicht, steigen zwangsläufig die Preise. Also wird nachverdichtet, um mehr Platz für Menschen zu schaffen, die Energie verbrauchen und dafür sorgen, dass es in den versiegelten Städten noch heißer wird. Ein teuflischer Kreislauf. Wie diese Versiegelung verhindert werden kann, hat mir übrigens meine letzte Station der Reise, Miami, gezeigt. Sie wissen schon, Strand von Miami Beach und so. Was man in den Serien neben viel Sand und gut gebauten Menschen selten sieht, sind die Häuser für die mehr als 400.000 Einwohner. Und so gibt es eben auch barocke Gebäude, auf die einfach ein moderner Glasbau gesetzt wurde. Ich weiß, Denkmalpfleger und Architekten werden jetzt schreien, aber es heißt halt: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Und davon wollte ich Ihnen einfach mal erzählen…