Ladensterben
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Ladensterben - Die Stadt neu erfinden

25. Juni 2019
Rasant verändern sich in vielen Städten die Strukturen des Einzelhandels. Um erfolgreich gegen das Internet zu bestehen, haben Kommunen genau ein Alleinstellungsmerkmal, das keine Internetseite der Welt bieten kann, meint Gastautor Jürgen M. Boedecker

Text: Jürgen M. Boedecker

Ladensterben, Leerstände: Mit großer Wucht macht sich der Strukturwandel im Einzelhandel derzeit insbesondere in Klein- und Mittelstädten bemerkbar. In der Mehrheit der deutschen Landkreise lässt sich die Kaufkraft der Bewohner nicht mehr vollständig in Einzelhandelsumsätze ummünzen. Alle Verantwortlichen sind darum gleichermaßen gefordert. Denn es leidet nicht nur die Attraktivität der Zentren. Auch im Wettbewerb um Einwohner und Gäste, Fachkräfte, Unternehmen und Investoren büßen Städte und Regionen an Strahlkraft ein.

Konsumenten suchen den größten relativen Nutzen

Mit Analysen dieser Entwicklung lassen sich bequem viele Seiten füllen. Am Ende steht immer das Ergebnis: Die Menschen verändern ihre Lebenseinstellungen und Konsumerwartungen. Und allen Beteuerungen zum Trotz kaufen sie dort ein, wo sie den größten relativen Nutzen erwarten. In diesem Wettbewerb haben aktuell die großflächigen Märkte außerhalb des Stadtkerns, attraktive Metropolen und der stetig wachsende Online-Handel aus unterschiedlichen Gründen scheinbar die Nase vorn. Dorthin fließt – trotz der berühmten Ausnahmen von der Regel und einem beginnenden Paradigmenwechsel – immer mehr Kaufkraft ab. Einzelbetrieblich und auf kommunaler Ebene werden so kritische Größen unterschritten.

Anreize durch innovative Konzepte schaffen

Dieser Prozess ist mit üblichen Instrumenten wie Raumordnung, Einzelhandelskonzepten und ­Citymanagement allein nicht zu stoppen. Auch scheint ein verstärkter Einstieg von stationären Händlern in das Online-Geschäft nicht zwingend wegweisend, zumal insbesondere inhabergeführten Betrieben dafür die personellen und finanziellen Voraussetzungen fehlen. Vielmehr stellt sich die Frage, inwieweit sich Handel und Städte vor dem Hintergrund von veränderten Bedürfnissen ihrer Anspruchsgruppen und auf Basis ihrer ursprünglichen Stärken neu erfinden können. Auf diese Weise wird sicherlich keine Kleinstadt zur Metropole aufsteigen. Aber auch in schrumpfenden Märkten lassen sich mit innovativen Konzepten Anreize bieten und lukrative Nischen besetzen. Dabei handelt es sich um einen offensiven Ansatz. Er beruht in den meisten Fällen darauf, sich durch einen für die Zielgruppe faszinierenden Mix aus Kern- und Zusatzleistung, Leistungsumfeld, Beziehungen und Marke vom Wettbewerb zu unterscheiden. Täglich ist zu erkennen, dass dies funktioniert. Denn theoretisch braucht den stationären Handel bei vielen Warengruppen aufgrund zahlreicher Online-Anbieter schon heute kein Mensch. Dennoch werden sogar im Nonfood-Bereich noch rund drei Viertel der Umsätze im Laden gemacht. Ganz offensichtlich bietet der dortige Einkauf vielen Menschen mehr Nutzen.

Alleinstellungsmerkmal: Erlebnisdichte

Wesentlicher Grund für den Einkauf im stationä­ren Handel dürfte die Möglichkeit sein, anderen Menschen zu begegnen, mit ihnen zu kommunizieren oder sie auch nur zu beobachten. Gleichzeitig bieten Städte durch ihre Funktionsvielfalt, mit Gastronomie, Dienstleistungen, Kultur und Entertainment potenziell eine Erlebnisdichte, die kein noch so gut gemachter Webshop erreicht. Im Idealfall ist der Einkauf für die Kunden dadurch ein Beitrag zur Lebensqualität. Diesen Vorsprung gilt es zu erhalten. Darum scheint das integrierte Angebot von „Lebensqualität“ herausragend zu sein, wenn Bürger und Unternehmen, Politik und Verwaltung die Zukunft ihrer Innenstädte optimieren. Dabei sollten sich insbesondere kleinere Städte auf ausgewählte Anspruchsgruppen fokussieren. Beispielsweise können dies gutsituierte Senioren oder beruflich aktive Millennials mit Kindern sein. Aber auch Touristen, Fachkräfte und Investoren kommen in Frage. Ebenso eignen sich allgemeine Trends oder Zukunftsthemen, um überregional bisher für die jeweilige Stadt relativ unbedeutende Anspruchsgruppen zu gewinnen. Insgesamt sollten Städte versuchen, Bekanntheitsgrad und Image innovativ zu stärken, wollen sie ihre Einzelhandelszentralität zukünftig halbwegs erhalten.

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Organisatorisch bietet es sich an, derartige Projekte mit einem überschaubaren, heterogen zusammengesetzten Team pragmatisch zu starten, auf Oberziele auszurichten und über Kooperationen und Allianzen zu vernetzen. Relativ schnell sollten dabei die Phasen Analyse, Planung, Realisation und Erfolgskontrolle wiederholt durchlaufen werden. Jedes Projekt erhält seine systematische Struktur durch die fortlaufende Visualisierung der Logik des Erfolgs. Diese stellt die Zusammenhänge zwischen Zielkunden, geplantem Nutzenangebot, Leistungserstellung sowie den daraus resultierenden Finanzströmen dar. Weiterer wesentlicher Aspekt der Projekte ist ihre Kommunikation und das Denken in Marken als verhaltensrelevanten Vorstellungsbildern. Hier sind Synergien beispielsweise auch über Markenallianzen zwischen Kommune, Händlern und anderen Akteuren möglich. Nicht zu unterschätzen ist die Rolle der Bewohner der Städte. Denn sie müssen nicht nur die „Lebensqualität“ mit erstellen und oftmals auch selbst nachfragen. Als Multiplikatoren und Markenbotschafter tragen sie wesentlich dazu bei, das Profil der Stadt zu schärfen. Und nicht zuletzt sind sie maßgebliche Quelle für weitere Innovationen, wenn es darum geht, die Stadt neu zu erfinden.

Sie erreichen Jürgen Boedecker zum Thema auch per Mail unter: kommunal@boedeckercolleagues.de