Kunst auf der Bühne, trotz des Lockdowns Kultur möglich machen.
Kunst auf der Bühne, trotz des Lockdowns Kultur möglich machen.
© Isabel Lippitz, privat

Konzert trotz Lockdown

Kultur in Corona-Zeiten - Was Kommunen tun können

In der Corona-Krise bangen viele Kulturschaffende um ihre Existenz. Vor und hinter den Kulissen stehen fast alle Räder still. Nicht so im Kreis Siegen-Wittgenstein. Landrat Andreas Müller berichtet im Interview mit KOMMUNAL wie es gelang, regionale Kulturangebote auch im Lockdown möglich zu machen.

Ihm liegt die Kultur schon immer am Herzen - sein Studium finanzierte er als Chorleiter, als an Theaterproduktionen hat er schon mitgewirkt. Seit dem Jahr 2014 ist der gerade mal 38-jährige Andreas Müller nun schon Landrat in Siegen-Wittgenstein. 277.00 Einwohner hat der Landkreis im Regierungsbezirk Arnsberg, 11 Kommunen gehören zum Kreis. Der gelernte Reisekaufmann war vor seiner Tätigkeit als Landrat immer in der Kultur engagiert und nebenher sieben Jahre lang Gemeinderat in Burbach. Im KOMMUNAL-Interview stellt er vor, wie er im Lockdown die Kultur in seiner Region versucht, am Leben zu halten. 

Ein Kultur-Förderfond, der 100.000 Euro gekostet hat 

KOMMUNAL Herr Müller, seit sieben Jahren sind Sie Landrat im Kreis Siegen-Wittgenstein. Wie sehr bestimmt die Corona-Krise Ihren kommunalen Alltag?

Andreas Müller: Das Thema ist natürlich sehr dominant. Die von mir sehr geschätzte Themenbreite, die normalerweise meine Arbeit als Landrat bestimmt, ist seit März 2020 leider sehr eingeschränkt.

Wie nah sind Sie – als Bürger und als Kommunalpolitiker – der aktuellen Lebensrealität der Kulturschaffenden in Ihrer Region?

Bei mir gibt es viele persönliche Anknüpfungspunkte. Ich habe mein Studium als Chorleiter mitfinanziert und damals auch bei Theaterproduktionen mitgewirkt. Schon während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 haben wir uns  Gedanken darüber gemacht, wie wir die kulturelle Vielfalt in der Region am Leben erhalten können. Unseren zahlreichen Chören, den Sportvereinen, den Kulturschaffenden und den Kulturveranstaltern sind ja praktisch über Nacht die Grundlagen ihrer Arbeit weggebrochen. Gleichzeitig lechzen die Kulturschaffenden nach kreativer Beschäftigung und das Publikum nach Abwechslung vom tristen Corona-Alltag. Als Kreis haben wir mit unserem Kultur Büro einen Förderfonds für kulturelle Projekte in Höhe von 100.000 Euro aufgelegt.

Kultur-Fördergelder wurden an anderer Stelle eingespart 

Aus welcher Quelle kamen die Fördergelder?   

Im Veranstaltungskalender für 2020 stand wie jedes Jahr zu Pfingsten unser internationales Musik- und Theaterfestival KulturPur. Eine Ausrichtung des Festivals war in der Pandemie natürlich nicht möglich und normalerweise wäre das dafür eingeplante Budget am Ende des Haushaltsjahres verfallen. Stattdessen waren wir uns auch im Kreistag sehr schnell einig, mit dem Geld solche Kulturprojekte zu unterstützen, die aufgrund der äußeren Umstände – unter Hygieneauflagen und mit eingeschränkter Zuschauerzahl – nicht mehr kostendeckend stattfinden konnten. Wir wollten einfach verhindern, dass in der Krise die Kultur an Sichtbarkeit verliert. Und das war – für eine Behörde erstaunlich flexibel – möglich.

Welche Kriterien wurden für die Antragstellung festgelegt?

Natürlich wollten wir den Eindruck vermeiden, dass der Landrat in der Krise Almosen an Kulturschaffende verteilt. Es ging nicht darum, Menschen fürs Nichtstun zu bezahlen, sondern jene zu unterstützen, die trotz aller Einschränkungen Kulturangebote möglich machen. Manche Anträge mussten wir allerdings auch ablehnen. Etwa den einer Malerin, die einen neuen Fotoapparat finanziert haben wollte.

Wie wurde das Angebot unter den Kulturschaffenden und in der Bevölkerung angenommen?

Großartig. Unter den Kreativen hat sich dieses Angebot in Windeseile herumgesprochen. Bis jetzt wurden 126 Anträge positiv beschieden und 88.000 Euro in die Kultur investiert. Die restlichen 12.000 Euro haben wir in das Haushaltsjahr 2021 übernommen. Auch das war haushaltstechnisch gesehen kein ganz einfaches Unterfangen.

Welche Kultur-Projekte mit dem Geld konkret möglich wurden - trotz Lockdown 

Wie groß war die Bandbreite der möglich gemachten Veranstaltungen?

Sehr groß. Pop-Rock-Konzerte, Theaterabende, Lesungen, Workshops, Ausstellungen. Sogar ein Symphoniekonzert und ein Weihnachtskonzert konnten mit dieser finanziellen Unterstützung stattfinden. Aber auch die Entwicklung neuer Theaterstücke und interaktive Websites wurden gefördert. Manches wurde gestreamt, anderes fand mit Hygienekonzepten und eingeschränkten Zuschauerzahlen auch live statt. Besonders froh bin ich darüber, dass 30 Prozent der Mittel in Jugendkulturprojekte geflossen sind.

Wie groß war der Aufwand für den Kreis?

Zum Nulltarif war das Projekt natürlich nicht zu haben. Etwa 500 Arbeitsstunden haben wir als Kreis in das Fondsmanagement investiert und dafür sogar eine kleine „Kultur-Jury“ gebildet. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Wir haben erlebt, wie groß und divers unsere freie kulturelle Szene tatsächlich ist. Und wir haben gelernt, mit wie wenig finanzieller Unterstützung sich kreative Menschen an die Arbeit machen. Zwischen Tun und Lassen liegen tatsächlich oft nicht mehr als 700 Euro.

Die finanzielle Lage der Kommunen und Kreise wird in der Nach-Corona-Zeit nicht einfacher werden. Welche Erkenntnisse nehmen Sie mit in die zukünftige Kulturarbeit des Kreises?

Natürlich kann die Kultur in den schwierigen Zeiten, die vor uns liegen, nicht an erster Stelle stehen. Große Sprünge werden auf längere Sicht nicht machbar sein. Trotzdem könnte ein solcher Förderfonds, ausgestattet mit ähnlich überschaubaren Mitteln, geeignet sein, mehr Kultur in die Fläche zu bringen. Grundsätzlich denke ich, dass Kultur zu oft in Räumen gedacht wird. Zukünftig wollen wir in Siegen-Wittgenstein mehr Förderfreiräume schaffen, mit deren Hilfe sich die Kultur selbst ihre Räume schaffen kann. Tatsächlich muss es nicht immer gleich eine Elbphilharmonie sein. Kreative Menschen brauchen oft nur wenig Unterstützung, um Großartiges auf die Beine zu stellen.