
Kriegsgefahr
Eine völllig veränderte Sicherheitslage in Deutschland
KOMMUNAL Wo steht Deutschland beim Bevölkerungs- und Zivilschutz?
Ralph Tiesler: Deutschland verfügt über ein gut ausgestattetes und funktionierendes Hilfeleistungssystem auf Kommunal- und Landesebene, um Katastrophen, Unfälle und andere Gefahrenlagen zu bewältigen. Hierauf baut der Schutz unserer Bevölkerung vor kriegsbedingten Gefahren auf, also der Zivilschutz. Gleichzeitig haben sowohl die Extremwettereignisse und die Pandemie als auch die völlig veränderte Sicherheitslage in Europa gezeigt, dass wir den Zivil- und Katastrophenschutz weiter verbessern und uns gemeinsam gegen vielfältige Bedrohungen stärker wappnen müssen.
Was muss sich verbessern?
Für die alltäglichen Ereignisse und Lagen sind wir bereits gut gerüstet. Worin wir noch besser werden müssen, ist die Bewältigung von länderübergreifenden Lagen. Dafür streben Bund und Länder eine Harmonisierung in der Ausbildung im Krisenmanagement an. Bereits 2018 hat das BBK eine Ausstattungsoffensive gestartet, um Spezialtechnik für den Zivilschutz in den Bereichen Brandschutz, CBRN-Gefahren, Sanität und Betreuung zu konzipieren und zu beschaffen. Konzeptionell sind wir schon sehr weit. Jetzt müssen die Geräte beschafft werden.
Worin wir noch besser werden müssen, ist die Bewältigung von länderübergreifenden Lagen.“
Muss für den Bevölkerungsschutz nicht weitaus mehr Geld bereitgestellt werden?
Die Bundesinnenministerin setzt sich aktuell intensiv für mehr Mittel für die Zivile Verteidigung ein. Wir müssen in einen gesellschaftlichen Dialog darüber kommen, welche Herausforderungen und Auswirkungen mit einem Bündnis-, Spannungs- oder Verteidigungsfall verbunden wären. Das gilt für die staatlichen Ebenen, aber vor allem auch für den Austausch zwischen Staat und Bürgern. Denn ohne die Bevölkerung ist Zivile Verteidigung nicht denkbar.
Ist geplant, dass Bunker ertüchtigt werden und neue Bunker gebaut werden?
Aktuell arbeiten Bundesinnenministerium und BBK mit anderen Institutionen an einem neuen Schutzraum-Konzept. Es geht darum, dass Menschen sehr schnell überall Schutz finden können. Wir bauen auch hier auf dem Vorhandenen auf. Vielerorts existieren U-Bahnhöfe, Tiefgaragen und öffentlich zugängliche Kellerräume. Sie könnten so hergerichtet werden, dass sie den Menschen Splitter- und Trümmerschutz bieten. Auch in Privathäusern - in Kellern oder anderen geeigneten Räumen - ist eine Minimalschutzvorkehr möglich. Der flächendeckende Bau von Bunkeranlagen ist teuer, zeitaufwändig und nicht zielführend.
Auch die Sirenen sind vielerorts abgebaut. Werden sie weiterhin gebraucht oder können neue digitale Techniken sie ersetzen?
Sirenen sind für viele in der Bevölkerung das Sinnbild für Warnung. Das haben uns die Reaktionen nach den bundesweiten Warntagen gezeigt. Wo keine Sirenen zu hören waren, wurden sie vermisst. Deshalb unterstützt der Bund den Aufbau von Sirenen in den Ländern und Kommunen durch Förderprogramme. Diese werden gut angenommen und laufen auch noch weiter. Sirenen haben einen sehr guten Weckeffekt, um auf Gefahren aufmerksam zu machen. Über digitale Warnmeldungen per Handy, über Warn-Apps oder Cell Broadcast kann man zusätzliche Informationen zum Ereignis und Handlungsempfehlungen versenden. Die Techniken im Warnmittelmix ergänzen sich also.
Ein kompletter Blackout der Stromnetze gehört zu den größten Gefahren, die drohen. Wie können Kommunen sich darauf vorbereiten?
Die Kommunen sind hier auf zweierlei Weise gefragt. Auf der einen Seite steht die Betroffenheit der Verwaltung und der kommunalen Gefahrenabwehreinheiten wie etwa der Feuerwehr. Sie müssen vorbereitet sein. Auf der anderen Seite die unmittelbare Unterstützung und Kommunikation mit der Bevölkerung. In vielen Kommunen gibt es Anlaufstellen, bei denen bei einem flächendeckenden Stromausfall Informationen und andere Leistungen bereitgestellt werden. Außerdem ist es wichtig, sich eng mit den örtlichen Betreibern kritischer Infrastrukturen abzustimmen. Alle lokalen Akteure müssen frühzeitig an einen Tisch. So können Abhängigkeiten, Bedürfnisse und Notfall-Konzepte aufeinander abgestimmt werden, damit im Notfall alles ineinandergreift. Das BBK stellt hier verschiedene Arbeitshilfen und Leitfäden zur Verfügung.
Der erste bundesweite Warntag im September 2020 hatte gezeigt, dass das Warnsystem deutlich verbessert werden muss. Was ist seither passiert?
Seit 2020 sind die Systeme technisch grundlegend verbessert worden. Wir haben uns außerdem personell verstärkt und können nun mehr Schulungen anbieten für alle, die mit unserem Modularen Warnsystem arbeiten. Das gibt Handlungssicherheit für die warnenden Stellen im Hinblick auf die Entscheidung, wann, zu welchem Zeitpunkt, über welche Kanäle und mit welchem Text gewarnt wird. Der Bund hat zudem Sirenenförderprogramme aufgelegt und Cell Broadcast eingeführt. Die Technologie ist heute schon fester.Bestandteil des Warnmittelmixes. Beim letzten Warntag haben wir nach einer Umfrage etwa 97 Prozent der Bevölkerung mit unserer Probewarnung erreicht. Das ist schon ein sehr guter Wert.
Was erwarten Sie von den Kommunen angesichts der sicherheitspolitischen Lage?
Eine Gesellschaft, die mit Extremsituationen umgehen kann, erreichen wir nur in enger Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die Kommunen spielen dabei wegen ihres unmittelbaren Kontaktes zur Bevölkerung eine bedeutende Rolle. Deshalb müssen Kommunen ihre eigene Funktionsfähigkeit sichern und härten, um in Krisen handlungsfähig zu bleiben. Zur Resilienz gehören auch Vorkehrungen und Notfallplanungen mit den lokalen Betreibern kritischer Infrastrukturen. Im Kontext der Zivilen Verteidigung müssen die Kommunen die Bevölkerung unterstützen, selbsthilfefähig zu sein. Für etliche dieser Aufgaben haben wir im BBK Handlungsempfehlungen zur Weitergabe an die Bevölkerung entwickelt. Sie können auf unserer Webseite abgerufen, aber auch als Papierversion bestellt werden.
Mitarbeiterinnen
hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz.
Welche Rolle spielen die Kommunen im Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz?
Bund und Länder haben das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz im Juni 2022 gegründet. Es ist in der Liegenschaft des BBK zu Gast. Die Vertretungen aus Bundesressorts und Ländern geben ihr Wissen weiter und tauschen sich regelmäßig in Lagebesprechungen aus. Auf dieser Grundlage erstellt das GeKoB wöchentlich das Gemeinsame Lagebild Bevölkerungsschutz. Zur aktuellen fachlichen Arbeit gehören die Konzeption und Befüllung eines Registers für Spezialressourcen im Bevölkerungsschutz und Vorarbeiten für ein Fachverfahren Digitales Lagebild. Damit sollen künftig die auf den verschiedenen Verwaltungsebenen vorhandenen Daten und Informationen besser miteinander verknüpft werden. Im November 2023 haben neben den Hilfsorganisationen und dem Deutschen Feuerwehrverband auch der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag den Rahmen für eine intensivere Zusammenarbeit und Mitwirkung im GeKoB vereinbart. Die Kommunen sind damit ein wichtiger Kooperationspartner und bringen sich gezielt in die Arbeiten ein.
Menschen arbeiten ehrenamtlich für
den Zivil- und
Katastrophenschutz.