Bevölkerungsschutz
Wie sich Kommunen auf einen möglichen Krieg vorbereiten
In Oranienburg ist der Krieg noch gegenwärtig. Wie kaum eine andere hat die Kleinstadt noch immer mit Hinterlassenschaften aus dem 2. Weltkrieg zu kämpfen. Erst kürzlich mussten wieder Tausende von Menschen ihre Wohnungen verlassen, damit eine 500 Kilogramm schwere Bombe mit chemischem Langzeitzünder aus fünfeinhalb Metern Tiefe auf einem Privatgrundstück gefahrlos entschärft werden konnte. In der brandenburgischen Kommune waren einst chemische Industrie und Rüstungsbetriebe angesiedelt, das machte die Stadt zu einem beliebten Luftangriffsziel der Alliierten. Dass irgendwann erneut ein Bombenhagel auf Oranienburg niedergeht, gilt seit dem Russland-Ukraine-Krieg als nicht mehr ausgeschlossen. Die Kommunen in Deutschland rüsten sich gegen eine mögliche Kriegsgefahr.
"Bedrohung wird ernst genommen"
„Die Bedrohung durch einen russischen Angriffskrieg auch auf das NATO-Gebiet wird ernst genommen“, sagt eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums auf Anfrage von KOMMUNAL. Es bestehe die grundsätzliche Gefahr von Sabotageakten durch fremde Staaten oder von extremistischer Seite, vor allem auf kritische Infrastrukturen und KRITIS-nahe Unternehmen, die für ein funktionierendes Gemeinwesen essenziell sind. Neben terroristischen Anschlägen nehmen vor allem die Gefahren aus dem Cyber-Raum auf kritische Infrastrukturen zu.
Länder fordern mehr Geld für Katastrophenschutz
Auf Bundesebene wird nun die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Die Länder fordern über eine Bundesratsinitiative, dass der Bund den Bevölkerungsschutz massiv verstärkt. Die Zeitenwende dürfe sich nicht nur auf die Finanzierung von militärischer Verteidigung beziehen. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz, hält die Forderung der Innenminister aller Bundesländer, in den nächsten Jahren mindestens 10 Milliarden Euro in den Zivil- und Katastrophenschutz zu investieren, für mehr als berechtigt. „Daneben muss neben einer militärischen Reserve auch eine zivile Reserve von Helfern aufgebaut werden“, verlangt die Innenexpertin. „Dazu braucht es den Aufbau eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres." Sie kritisiert: „Die Ampel spart an der falschen Stelle."
Operationsplan Deutschland - Entwurf übergeben
Die Vorbereitungen auf einen möglichen Kriegsfall laufen auf vielen Ebenen. Ende März wurde die erste Fassung des sogenannten Operationsplans Deutschland (OPLAN)an den Generalinspekteur der Bundeswehr übergeben, wie eine Sprecherin des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr KOMMUNAL auf Anfrage bestätigte. Der Plan beinhaltet Maßnahmen für den Heimatschutz, den Schutz verteidigungswichtiger kritischer Infrastruktur bis hin zur Nationalen Territorialen Verteidigung. Es handelt sich um ein geheimes Dokument, das Experten aus der Bundeswehr in einer gemeinsamen Planungsgruppe aus Bund, Ländern und Kommunen, den sogenannten Blaulichtorganisationen wie der Polizei, und der Wirtschaft erarbeitet haben. Der Plan wird ständig angepasst und überarbeitet, so die Sprecherin.
Kreis Oberhavel mit Technik- und Ausbildungszentrum
Wie gut Kommunen sich auf einen möglichen Angriffskrieg vorbereiten, hängt von der finanziellen Unterstützung ab, aber auch vom eigenen Engagement. Im Landkreis Oberhavel wird dem Katastrophenschutz eine hohe Priorität eingeräumt. Er baut in Oranienburg für die Feuerwehren in den acht Städten, sechs Gemeinden und in einer Amtsgemeinde ein neues Technik- und Ausbildungszentrum. Voraussichtlich im Juli soll das zweistöckige Gebäude eröffnet werden. „Auf 3.300 Quadratmetern können Feuerwehrmitglieder nicht nur theoretisch ausgebildet werden, sondern alle Ernstfälle übungsweise bewältigen“, erläutert Kreisbrandmeister Gerd Ritter bei einem Rundgang gemeinsam mit der Dezernentin für Service, Mobilität und Sicherheit, Katja Hermann.
Feuerwehren proben im Gebäude und auf dem Gelände Ernstfall
Es gibt Käfige, in denen sich die Feuerwehrleute kriechend mit Atemschutzmasken bei schwerem Rauch im Dunkeln zurechtfinden müssen, Übungsleitern, die wie ein Laufband nie enden und Werkstätten, in denen Feuerlöschkreiselpumpen repariert werden, Chemikalien-Schutzanzüge getestet und Schläuche gewaschen werden. Draußen auf der weitläufigen Anlage lassen sich auf einer 30 Meter langen Gleisanlage und einer Mini-Autobahn-Strecke Einsätze üben: nach einem Anschlag auf eine S-Bahn etwa oder nach einem Unfall mit entzündlichen Stoffen auf der Autobahn.
Rettungseinsätze können an einem 26 Meter hohen, sechsstöckigen Turm aus Beton geübt werden. Im Erdgeschoss ist die Sanitätszentrale des Katastrophenschutzes. Im rund 40 Quadratmeter großen Arbeitsraum für den Führungsstab im 1. Stock wird im Ernstfall die operativ-taktische Führung einquartiert. Die Dezernentin betont: „Wir müssen den Zivilschutz in Friedenszeiten stärken.“ 21 Millionen Euro hat der Landkreis in das Technik- und Ausbildungszentrum TAZ investiert, und das komplett ohne Zuschuss vom Land Brandenburg und vom Bund. Landrat Alexander Tönnies war es das wert: „Den Schutz der Menschen in Oberhavel zu gewährleisten, ist eine echte Gemeinschaftsaufgabe und das neue Technik- und Ausbildungszentrum ist dabei ein wichtiger Baustein.“
In Sachen Bevölkerungsschutz
arbeiten wir mit unseren Kommunen Hand in Hand.“
Katastrophenleuchttürme werden geschaffen
Das TAZ ist auch einer der sogenannten Katastrophenschutz-Leuchttürme, die im Ernstfall als Anlaufstelle für die Bevölkerung dienen. Sie soll es künftig in ganz Deutschland geben. Kommt es zu einem flächendeckenden und andauernden Stromausfall, werden die von den Kommunen betriebenen Anlaufstellen mit Notstrom versorgt und mit Personal besetzt. Im Kreis Oberhavel sind 20 Kat-Leuchttürme geplant, zum Beispiel in Sporthallen. Derzeit schließen die Kommunen dazu Verträge mit dem Landkreis ab. Finanziert wird das Schutzprojekt vom Land.
Für den Kriegsfall: Lichtenberg schult ehrenamtliche Helfer
Der Berliner Stadtteil Lichtenberg ist beim Bevölkerungsschutz ebenfalls sehr aktiv. Im Gegensatz zu anderen Bezirken hat er einen eigenen Katastrophenschutzbeauftragten, der sich ausschließlich mit dem Thema beschäftigt. Auch Lichtenberg hat Kat-Leuchttürme geschaffen, an denen Bürgerinnen und Bürger bei einem Ernstfall Informationen bekommen oder sich versorgen lassen können. „Die Pandemie und die Flutkatastrophe im Ahrtal waren für uns in Lichtenberg ein Weckruf“, sagt Bezirksbürgermeister Martin Schaefer zu KOMMUNAL. „Wir haben Geld in den Haushalt eingestellt, uns Satellitentelefone angeschafft und die zivilen Akteure miteinander vernetzt.“ Als einziger Berliner Bezirk initiierte Lichtenberg ein Projekt, das auch andere Kommunen inspirieren kann. „Wir haben das sogenannte ZEUS-Programm gestartet. Damit schulen und zertifizieren wir Ehrenamtliche, damit sie uns beim Bevölkerungsschutz unterstützen können“, sagt Schaefer. ZEUS steht für zertifizierte ehrenamtliche Unterstützer.
Wir schulen und zertifizieren Ehrenamtliche eigens für den Bevölkerungsschutz.“
"Vergangene Lagen in den vergangenen Jahren in Deutschland haben gezeigt, dass es sehr viele Aufgaben gibt, die nicht zwingend von hochqualifizierten Einsatzkräften durchgeführt werden müssen.“ Um den Trend der Hilfsbereitschaft und die Kompetenzen der Freiwilligen organisiert nutzen zu können, habe der Bezirk das Projekt gestartet. „In der Gesellschaft existiert ein großes Potenzial diverser Professionalitäten, jedoch engagieren sich diese Personen oft nicht in Hilfsorganisationen“, gibt Schaefer zu bedenken. Für das Projekt sind 80.000 Euro im Jahr im Etat eingestellt, davon 11.000 Euro für Schulungen. Zu den Aufgaben, die an die zertifizierten Kräfte delegiert werden können, gehören der Aufbau von Notunterbringungen, die Ausgabe an Informationen, die Betreuung von Personen, Dolmetschertätigkeiten oder auch handwerkliche Tätigkeiten. Werden die Freiwilligen als Verwaltungshelfer oder Verwaltungshelferin beauftragt, sind sie über die öffentliche Körperschaft versichert.
Sirenen: Bundesinnenministerium will Programm fortführen
Sollen die Sirenen wieder in Betrieb genommen und Bunker ertüchtigt oder gar neu gebaut werden? Der Bezirksbürgermeister sagt: „Zur Sicherung einer stabilen Kommunikationsstrategie sind Bunker sicherlich nicht verkehrt, wir können aber nicht 3,7 Millionen Berlinerinnen und Berliner in Bunkern unterbringen." Das Bundesinnenministerium hat nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine die Entwidmung der wenigen verbliebenen öffentlichen Schutzräume gestoppt. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) nimmt eine Bestandsaufnahme vor. Eine Arbeitsgruppe erstelle derzeit die Grundlagen für ein modernes Schutzraumkonzept, so die Innenministeriums-Sprecherin. Das Konzept soll auf aktuelle Bedrohungen durch fortschrittliche Waffentechnologien, unter anderem extrem kurze Vorwarnzeiten, Präzisionsangriffe auf kriegsrelevante Objekte sowie auf Kollateralschäden bei der Zivilbevölkerung in der Nähe, ausgerichtet werden.
Und wie sieht es mit analogen Warnsystemen aus? Der Bund wolle das Sirenenförderprogramm trotz angespannter Lage weiterführen, so eine Sprecherin. Nach 86 Millionen Euro in einem Sirenenförderprogramm stünden für 2023 und 2024 weitere 14,5 Millionen Euro zur Verfügung. Doch das vom Bund viel gepriesene Programm reicht den Kommunen nicht. Oberhavels Kreisbrandmeister Gerd Ritter sagt: „Da kommt am Ende überschlagen eine Sirene pro Landkreis heraus.“
- Risikoanalysen im Bevölkerungsschutz
- Realistische Szenarien wie Stromausfall
- Teamwork: In der Krise Köpfe kennen – Lokale Behörden, Strom und Wasserversorger vernetzen sich.
Ein Leitfaden des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz.