Krankenhausflur
Die Zukunft vieler Krankenhäuser ist ungewiss.
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Widerstand

Krankenhausreform: Kahlschlag auf dem Land befürchtet

Eine erste umfassende Analyse der Vorschläge zur Krankenhausreform liegt vor - und sorgt für massive Unruhe in den Landkreisen. Die Experten kommen darin zu dem Schluss, dass sich dann 52 Prozent aller werdenden Mütter eine Klinik an einem anderen Standort für die Geburt suchen müssten. Der Deutsche Landkreistag warnt vor einem Kahlschlag auf dem Land. Bei uns finden Sie neuesten Vorschläge der Regierungskommission zur Notfallversorgung als PDF und auch die Auswirkungsanalyse als PDF. Erstellt wurde sie im Auftrag der Krankenhausgesellschaft. Die DKG hat in der Debatte einen eigenen Reformvorschlag vorlegt. Auch ihn können Sie sich hier herunterladen.
Aktualisiert am 15. Februar 2022

Die Finanzierung des Krankenhaussystems im Deutschland gilt seit Jahren als ineffizient. Viele Kommunen stecken mit ihren Krankenhäusern in den roten Zahlen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnt vor einer "Insolvenzwelle". Demnach beurteilen nur noch sechs Prozent der Krankenhäuser ihre aktuelle wirtschaftliche Lage als gut. Die DKG geht von einem strukturellen Defizit von rund 15 Milliarden Euro aus. Die Rücklagen der Krankenhäuser seien aufgebraucht. Die daraus resultierende fehlende Liquidität führe zu einer erhöhten Insolvenzgefahr. Einigkeit besteht deshalb darin: Es muss sich etwas ändern. Wie die Reform aber aussehen soll, darüber besteht große Uneinigkeit.  Eine von der Regierung eingesetzte Kommission hat bereits drei Stellungnahmen mit konkreten Empfehlungen verfasst, inzwischen liegt der vierte Bericht zur Krankenhausreform vor. Nun hat die Krankenhausgesellschaft eine Auswirkungsanalyse präsentiert - und die Vorschläge der Kommission zuvor intensiv geprüft.

Auswirkung der Krankenhausreform

Wie groß die Auswirkungen sind, wenn die Kriterien der Regierungskommission streng angewendet würden, zeigt sich bei der Verschiebung potentieller Patientenströme. So müssten sich 52 Prozent aller werdenden Mütter einen neuen Standort für die Geburt suchen. 56 Prozent der Patientinnen und Patienten in der interventionellen Kardiologie müssten das Krankenhaus wechseln. In der Urologie wären es 47 und in der Neurologie 39 Prozent. Andere Leistungsgruppen hätten ähnliche Ergebnisse, heißt es in der Analyse.

„Die Auswirkungsanalyse hat gezeigt, dass der Vorschlag der Regierungskommission in seiner bisherigen Fassung zu einem sehr tiefen Eingriff in die Krankenhauslandschaft führen würde", sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß. Sehr viele Kliniken würden ihren bisherigen Auftrag zur Patientenversorgung ganz verlieren oder müssten sehr weitgehend umgestaltet werden. Derart massive Veränderungen würden zu erheblichen Verwerfungen führen und sind sicher nicht erforderlich, um die Krankenhausversorgung zukunftsfest zu machen“, so Gaß.

Massives Kliniksterben verhindern

Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Landrat Reinhard Sager, kritisierte mit Blick auf die Analyse: „Die negativen Folgen für die Gesundheitsversorgung vor Ort können beträchtlich sein. Das macht uns Sorgen vor allem mit Blick auf die Erreichbarkeiten der Kliniken in der Fläche und die unter Umständen gravierenden Veränderungen der Patientenströme."  Ziel könne und dürfe nicht sein, dass viele Standorte in ihrer Existenz bedroht wären, würde der Reformkommission gefolgt. "Es geht an dieser Stelle ganz klar auch um gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland. Ein massives Kliniksterben muss unbedingt verhindert werden“, warnte Sager.

Bestehende Krankenhausstrukturen optimieren

Größere und stärker spezialisierte Krankenhäuser seien nicht per se zu kritisieren, so der Präsident des Landkreistages. Es sei richtig, die bestehenden Strukturen zu optimieren und gegebenenfalls auch neu zuzuschneiden. „Das ist aber Aufgabe der Krankenhausplanung der Länder. Wenn die Versorgung für die Zwei Drittel der Bevölkerung, die in den Landkreisen leben, spürbar schlechter würde, müssen die Vorschläge der Kommission einer grundlegenden Revision unterzogen werden“, fordert er. Es brauche eine belastbare und krisenfeste gesundheitliche Versorgung in der Fläche. „Für die ländlichen Räume darf es unter keinen Umständen zum Kahlschlag kommen.“

Alternativ-Konzept der Krankenhausgesellschaft

Das von der Deutschen Krankenhausgesellschaft entwickelte Alternativkonzept für eine Reform der Krankenhausstrukturen und Krankenhausfinanzierung bewertete Sager in diesem Zusammenhang als wichtigen Diskussionsbetrag. „Ob dadurch alle Probleme gelöst werden, können wir heute noch nicht genau einschätzen. Die Zielrichtung stimmt aber: Keine Zentralisierung von Standorten um jeden Preis, die Bedürfnisse der Bevölkerung überall in Deutschland ernst nehmen und eine wohnortnahe stationäre Versorgung sicherstellen. Dazu muss auch die vollständige Verantwortung der Länder für die Krankenhausplanung gehören“, so Sager. Daher sei es auch zu begrüßen, dass Bund und Länder verabredet haben, die Eckpunkte für den Gesetzentwurf zur Klinikreform gemeinsam zu erarbeiten. „Die vorgestellte Analyse zeigt, wie wichtig es ist, den kommunalen Sachverstand von Beginn an in die Bund-Länder-AG einzubeziehen“, betonte der DLT-Präsident.

Krankenhaus innen Flur Arzt

Was schlägt die Kommission alles vor?

  • Das Gremium rät dazu, die derzeit dominierende Vergütung über Fallpauschalen deutlich zurückzufahren. Stattdessen sollen die Vorhaltekosten für Personal und Medizintechnik stärker berücksichtigt werden. Die Kommission empfiehlt dabei eine Aufteilung, die zu etwa 40 Prozent das Vorhalten von Leistungen berücksichtigt und zu 60 Prozent die Fallpauschalen. In Bereichen wie  Geburtshilfe, Kinderheilkunde und Intensivmedizin sollen die Fallpauschalen noch weniger Gewicht bei der Abrechnung haben.
  • Krankenhäuser sollen in verschiedene Versorgungsstufen eingeteilt werden, je nach ihrer Bedeutung. Kleine Krankenhäuser, die auf lokaler Ebene die wohnortnahe Grundversorgung gewährleisten, sollen eng mit niedergelassenen Ärzten zusammenarbeiten und komplett aus dem System der Fallpauschalen herausgelöst werden. Kliniken der Stufe 2 sollen die regionale Regel- und Schwerpunktversorgung übernehmen. Krankenhäuser der Stufe 3, etwa Unikliniken, würden in dem Modell die maximale Versorgung anbieten. Es soll drei Level geben: Level-1-Krankenhäuser sind Krankenhäuser der Grundversorgung, Level-2-Krankenhäuser  der Regel- und Schwerpunktversorgung,  Level-3-Krankenhäuser übernehmen die Maximalversorgung.
  • Hilfesuchende, die sich in einem Notfall an den Rettungsdienst (112) oder an den kassenärztlichen Notdienst (116117) wenden, sollen initial durch eine integrierte Leitstelle nach telefonischer oder telemedizinischer Ersteinschätzung der für sie am besten geeigneten Notfallstruktur zugewiesen werden.
  • Aufgrund unmittelbarer Erreichbarkeit rund um die Uhr, guter medizinischer Beratung und telemedizinischer ärztlicher Hilfe sowie verbindlicher Terminvermittlung sollen Integrierte Leitstellen (ILS) für Betroffene so attraktiv sein, dass sie primäre Anlaufstelle in medizinischen Notfällen werden.
  • Durch von medizinisch qualifizierten Fachkräften in den ILS vorgenommene standardisierte, wissenschaftlich validierte, softwaregestützte und qualitätsgesicherte Ersteinschätzung soll eine Über- oder Unterversorgung von Notfällen verhindert werden. Gleichzeitig werden die knappen Ressourcen optimal genutzt. Notaufnahmen in Krankenhäusern sollen so möglichst nur von Hilfesuchenden genutzt werden, die diese komplexen Strukturen wirklich benötigen.
  • Aufbau von sogenannten integrierten Notfallzentren (INZ) an Krankenhäusern der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung
  • INZ sollen aus einer Notaufnahme des Krankenhauses, einer KV-Notfallpraxis sowie einem „Tresen“ als zentrale Entscheidungsstelle bestehen.
  • Durch den Aufbau von INZ an Krankenhäusern der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung (insgesamt derzeit rund 420 in Deutschland) sollen Patientinnen und Patienten durch eine bedarfsgerechte Steuerung den richtigen Strukturen zugewiesen werden – entweder in die Notaufnahme des Krankenhauses oder die Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung.
  • Die Beteiligung sowohl der KVen als auch der Krankenhäuser am INZ ist verpflichtend. Damit ist sichergestellt, dass die Lasten gleich verteilt werden.
  • Zudem sollen integrierte Notfallzentren für Kinder- und Jugendmedizin (KINZ) an Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin sowie Krankenhäusern mit einer pädiatrischen Abteilung aufgebaut werden.
  • Es soll sichergestellt werden, dass nur solche Kliniken bestimmte Behandlungen durchführen, die ausreichend spezialisiert sind. Deshalb sollen kompliziertere Eingriffe nur noch abgerechnet werden dürfen, wenn Krankenhäuser die passende personelle und technische Ausstattung vorhalten, etwa in zertifizierten Krebszentren.

Patienten in Not schnell und effektiv zu helfen, ist Ziel einer guten Akutversorgung. Dafür müssen wir vorhandene Strukturen aufbrechen und neu ordnen. Leitgedanke muss dabei sein, dass Versorgung dort stattfindet, wo sie medizinisch auch sinnvoll ist. Für eine solche Reform sind die Empfehlungen der Krankenhauskommission eine gute Grundlage. Das Krankenhaus muss im Notfall nicht immer die erste Adresse sein. Aber es muss im Notfall schnelle Hilfe anbieten können.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach

Die Krankenhausgesellschaft hat  einen eigenen Struktur- und Finanzierungsvorschlag vorgelegt. Zu den Stellungnahmen der Krankenhausgesellschaft und weiteren Papieren.

Die Krankenhausreform aus der Sicht der Bundesregierung Mehr Infos!

Der vierte Bericht der Kommissionen mit Empfehlungen zur Notfallversorgung:

Die Auswirkungsanalyse als PDF:

Der Reformvorschlag der DGK als PDF:

Die Mitteilung der Krankenhausgesellschaft zur Analyse der Krankenhausreform: