Ladeninhaberin Steffi Kohn
Ladenbetreiberin Steffi Kohn baut auf die Unterstützung der NEUWOGES als Vermieterin.
© Gudrun Mallwitz

Gegen das Ladensterben

Die Innenstadt in der Hand der Kommune

Viele Kommunen fürchten durch die Corona-Krise ein Landesterben und Ausbluten ihrer Innenstädte. Online-Handel, erdrückende Mietschulden, ausbleibende Kundschaft sind nur einige Gründe. Eine Stadt im ländlichen Mecklenburg-Vorpommern sieht sich hingegen gut gerüstet. Was Neubrandenburg anders macht, zeigt unsere Reportage.

Der „Marienkäfer“ wird sich berappeln. Das hofft Steffi Kohn sehr. Sie betreibt das Geschäft für Babykleidung und Spielzeug auf dem Einkaufs-Bouvelard  mitten im Herzen von Neubrandenburg. Seit zwei Jahren existiert der Laden – erfolgreich. Bis Corona kam!  „Das war ein bisschen unpraktisch“, sagt die Geschäfsfrau mit trockenem Humor. Die 33-Jährige versucht das Beste daraus zu machen und baute einen Online-Shop auf. Als der verordnete Lockdown endlich vorüber war und die Geschäfte wieder öffnen durften, freute sie sich zunächst über die Solidarität der Kunden. Durch die Maskenpflicht war es mit der Begeisterung für „Kauf lokal“ dann aber schnell wieder vorbei, erzählt sie. „Es ist genauso wie bei einer Diät, erst nimmst du dir was ganz fest vor, doch dann kommt die Versuchung.“

Ladensterben durch Online-Konkurrenz

Die Versuchung für ihre Kunden, das ist der Online-Handel. Schon bevor die Schutzmaßnahmen gegen das sich ausbreitende Corona-Virus den stationären Einzelhandel lahmlegten, wurden in Deutschland fast 60 Milliarden Euro im Internet umgesetzt – ein Plus von fast 10 Prozent innerhalb von nur einem Jahr. In den vergangenen Monaten dürften die Gewinne der großen Onlinehändler noch einmal deutlich gewachsen sein - und die der  Einzelhändler am Ort sanken drastisch. Die Entwicklung wird das Ladensterben weiter befördern. Dass sich die junge Unternehmerin trotz allem ihren Optimismus bewahrt, liegt ganz stark an ihrem Vermieter. Ihre 100 Quadratmeter Ladenfläche gehören der kommunalen Wohnungsgesellschaft.

300 Gewerbeimmobilien bei Kommunaler Wohnungsgesellschaft

„Die NEUWOGES hat mir die Miete drei Monate gestundet“, erzählt Steffi Kohn, und sie ist sich sicher: „Wenn ich die Zeit des Lockdown durch eigene Kraft überbrücken hätte müssen, wäre es vorbei gewesen für mein Geschäft, das ich mit so viel Liebe und Arbeit aufgebaut habe.“ Wie Steffi Kohn geht es vielen kleinen Händlern in der Innenstadt. Denn die Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft NEUWOGES besitzt nicht nur mehr als 12.000 Wohnungen, sondern auch weit über 300 Gewerbeimmobilien, fast die Hälfte davon liegen in der Innenstadt. Damit ist die NEUWOGES die größte Vermieterin in der 65.000-Einwohner-Stadt. Immerhin 24.000 Quadratmeter, über die Neubrandenburg, die drittgrößte Stadt  Mecklenburg-Vorpommerns selbst verfügen kann!

Corona-Pandemie brach über die Innenstädte herein

Die kommunale Wohnungsgesellschaft stellt sich als Schutzwall gegen die Auswirkungen der Corona-Pandemie heraus, die wie ein Tsunami über die Innenstädte mit ihren Geschäften, Restaurants und Cafés hereingebrochen ist. Das Beispiel Neubrandenburg zeigt, dass kommunaler Besitz vor allzu großen Verwerfungen schützen kann. Hier muss die Stadt nicht – wie von Experten und Teilen der Politik gefordert – leergezogene Läden in der Innenstadt kaufen. Hier ist sie in hohem Maße schon Eigentümerin.

Oberbürgermeister Silvio Witt: Gesunder Mix beim Gewerbe

Der Oberbürgermeister der Stadt, Silvio Witt, sieht sich mit seinem Modell auf dem richtigen Weg. „In der Krise hat sich einmal mehr gezeigt, dass der eigene Immobilienbestand  zur Entspannung beitragen kann. Nur 40 Prozent der Wohnungsimmobilien sind in privater Hand. Wir verfügen über einen gesunden Mix aus kommunal, genossenschaftlich und privat geführtem Gewerbe“, sagt der 42-Jährige.

Das klingt nicht unzufrieden. Witt hat sein Büro in der Neubrandenburger Oststadt, im 4. Stock eines grauen Plattenbaus. Das Rathaus in der Innenstadt wird gerade saniert. 2015  wurde der gebürtige Neustrelitzer ins Amt gewählt. In den jetzigen schwierigen Zeiten erweist sich seine Vita als hilfreich: Er ist quasi ein Mann vom Fach. Nach dem Abitur machte Witt bei der Sparkasse Mecklenburg-Strelitz eine Ausbildung zum Bankkaufmann, danach studierte er internationales Handelsmanagement. Der Diplom Betriebswirt arbeitete schließlich als Zeitungsredakteur. Zuletzt betrieb er eine Kommunikationsagentur. Keine schlechten Voraussetzungen. In Corona-Zeiten muss ein Kommunalpolitiker nicht nur gut kommunizieren können, es hilft auch, sich mit Finanzen auszukennen. Diese Krise sorgt für viel Unsicherheit, und sie beschert den Kommunen hohe Ausfälle. Schon jetzt steht fest: Der wirtschaftliche Einbruch wird langfristige Folgen haben, nicht alles wird über das - mit den Ländern geschnürte - milliardenschwere Paket der Bundesregierung kompensiert werden können.

Händlern die Miete gestundet

Was kann die Stadt konkret für die Händler und Gastronomen tun? „Die Kommunale Wohnungsgesellschaft hat den Mietern die Miete gestundet“, bestätigt der parteilose Bürgermeister. Zudem gewährte die Stadt den Unternehmen bei der Gewerbesteuer Aufschub. Immerhin  durften mehr als 60 Geschäfte über Wochen nicht öffnen. Weitere Hilfen sind schon geplant. „Ich kann mir nach einem Kassensturz vorstellen, in Not geratenen Händlern die Miete für einen bestimmten Zeitraum komplett zu erlassen“, sagt der Oberbürgermeister. Er will dies den Stadtverordneten dann vorschlagen.

Neubrandenburg Staßenbild
Die Stargarder Straße in Neubrandenburgs Innenstadt. Von ihr zweigt der Einkaufsboulevard ab.     Foto: AdobeStock

Daher kommt der hohe kommunale Bestand

Wie kommt Neubrandenburg eigentlich zu den vielen eigenen Gewerbeimmobilien? Die Antwort liegt in der ostdeutschen Vergangenheit. „Nach dem Ende der DDR übernahm die Treuhand die reinen Gewerbeimmobilien, die Häuser, in denen die Wohnnutzung überwog, gingen an die Kommunen“, erläutert Frank Benischke, einer von zwei Geschäftsführern der NEUWOGES.  Und in der Neubrandenburger Innenstadt gab es viele solche Häuser. Deshalb ist die Turmstraße – die als 1-A-Lage gilt – fest in der Hand der Kommune. Der NEUWOGES gehört  auch das HKB ein architektonisches Überbleibsel in sozialistischer Bauweise. Der 60-Meter-Turm des Hauses der Kultur und Bildung beherbergt Büros, aber auch Kultur- und Veranstaltungsräume, die Regionalbibliothek und das Stadtarchiv. Ankermieter im Erdgeschoß ist eine schwedische Modekette.

Auf dem Marktplatz, von dem die Turmstraße abgeht, sind weitere große private Player zu finden: im ECE-Marktplatzcenter, das der Unternehmerfamilie Otto gehört, finden die Kunden 60 Shops. Voriges Jahr ist daneben das Marien-Caree eröffnet worden,  das rund 21.000 Quadratmeter Verkaufsfläche bietet. Das am Eingang der Turmstraße gelegene Kaufhaus Galeria Kaufhof wird wohl schließen.  Doch es sieht nicht so aus, als müsste sich die Stadt große Sorgen machen.  "In dieser Lage steht nur wenig Gewerberaum leer", sagt Frank Benischke.

Die Mieten: Immer noch moderat

Der hohe kommunale Bestand hat für die Innenstadtentwicklung einen weiteren Vorteil: Selbst in bester Lage klettern die Mieten nicht in schwindelnde Höhen.  Auf dem Boulevard beginnen sie bei 7 Euro und enden bei 15 Euro. „Die Mieten orientieren sich unter anderem daran, wieviel der Mieter je nach Branche bezahlen kann“, erläutert Benischke. Damit gelingt Neubrandenburg ein weitgehend stimmiger Branchenmix. Am Marktplatz in den großen Einkaufscentern kostet der Quadratmeter bis zu 80 Euro Miete, was noch moderat ist.

Dass die Innenstadt grundsätzlich gut funktioniert, verdankt Neubrandenburg vor allem auch dem Umland.

Modenschau in der Innenstadt Neubrandenburg
Der "längste Laufsteg Mecklenburg-Vorpommern" - In Corona-Zeiten muss er ausfallen.

Rund potenzielle 340.000 Kunden leben dort. Eine Touristenstadt, wie etwa Waren an der Müritz, ist die Stadt mit den vier mittelalterlichen Toren nicht. Neubrandenburg zwischen Berlin und Stralsund liegt zwar direkt am Tollensesee, doch der ist nicht mit den anderen Seen der Mecklenburgischen Seenplatte verbunden.

Ladensterben verhindern durch Events

Noch einen bedeutsamen Effekt hat das kommunale Immobilienengagement. „Die Werbegemeinschaft arbeitet ganz eng mit der NEUWOGES zusammen“, erzählt der Geschäftsstellenleiter des Vereins, Michael Schröder.  Er ist neuerdings auch als Citymanager der Stadt tätig. Die NEUWOGES betreibt ein Boulevard-Marketing und plant mit den Einzelhändlern regelmäßig erfolgreiche Aktionen, die Tausende in die Innenstadt locken. Das Frühlingsfest etwa, der längste Laufsteg Mecklenburg-Vorpommerns oder Themen-Flohmärkte  für Kinder, Männer und Frauen.

In diesem Jahr musste das alles ausfallen. Doch auch da ließen sich NEUWOGES und Werbegemeinschaft etwas einfallen: Während die Geschäfte zuhatten, durften dafür Künstler in den Schaufenstern ausstellen und eine Street-Art-Schau auf dem Boulevard sorgte dafür, dass die Innenstadt auch während des Lockdowns nicht leer blieb.