Leitartikel
Kommunalpolitik: Mehr Zuspitzung wagen - ein Plädoyer für Populismus
Schlägertrupps, anders kann ich sie nicht bezeichnen, die Horden oft auch sehr junger Menschen, schlagen in diesem Kommunalwahlkampf ehrenamtliche Kommunalpolitiker und Wahlkämpfer zusammen und prügeln sie krankenhausreif. Als Hauptschuldiger werden gerne die sozialen Medien genannt. Und in der Tat, sie spielen eine sehr unrühmliche Rolle. Weil sie die Tendenz zur Selbstradikalisierung stärken. Extreme Meinungen haben automatisch die höchste Sichtbarkeit. Sie sind aber auch ein Ventil für Menschen, die das Gefühl politischer Ohnmacht haben. 500 Gefällt mir Angaben streicheln da die Seele, geben das Gefühl, mit seiner Meinung nicht allein zu sein. Doch verschwimmt allzu schnell die Grenze zwischen Verbalattacke und Mordversuch, wie diese Wochen vor den Kommunalwahlen auf beklemmend dramatische Weise zeigen.
Populismus und Schlägertrupps sind zwei verschiedene Dinge
Eines wird dabei aber oft vergessen: Wir sprechen hier über eine sehr kleine, radikalisierte Minderheit. Eine übergroße Mehrheit teilt sehr wohl die Grundwerte unserer Gesellschaft und verachtet und verurteilt jede Form von Gewalt. Was bei mir die Frage aufwirft, ob es wirklich klug ist, auch verbal immer vorsichtiger zu sein, jedes Wort immer auf die Goldwaage zu legen und im Zweifel lieber noch vorsichtiger zu formulieren. Das führt allzu oft dazu, dass auch Kommunalpolitiker zumindest gefühlt in der Wahrnehmung vieler Menschen die Probleme gar nicht mehr ansprechen, sich hinter diplomatischen Worthülsen verstecken, sich die Politiker-Sprache von der „Sprache der Bürger“ immer weiter entfernt. Politische Korrektheit kann auch zu einer gefährlichen Sprachlosigkeit der Politik führen. Zumindest gefühlt in einer Zeit, in der eine Mehrheit der Deutschen laut aktueller Umfrage der Meinung ist, man könne oder sollte seine Meinung besser nicht frei äußern.
Demokratie braucht mehr Populismus - nicht weniger!
Ich wage mal eine populistische These: Könnte es nicht sein, dass unsere Demokratie nicht an zu viel Zuspitzung leidet, sondern daran, dass wir zu wenig Zuspitzung zulassen? Immerhin war die Sprache, auch politisch, früher deutlich rauer, trotzdem waren Angriffe auf Politiker die absolute Ausnahme. Die Union titelte im Bundestagswahlkampf 1976 mit dem Slogan: „Freiheit statt Sozialismus“ – wenn das kein Populismus war! Alte Reden von Franz-Josef Strauß oder Herbert Wehner dürften in unserer so übervorsichtig gewordenen Gesellschaft heute eigentlich nur noch mit Warnhinweis: „Achtung: Der Beitrag kann diskriminierende Darstellungen enthalten“ ausgestrahlt werden. So wie das selbst bei alten Sendungen mit Otto Waalkes oder Harald Schmidt bereits passiert.
Wenn wir heute von einer Verrohung der politischen Kultur sprechen, meinen wir dann wirklich die zugespitzte inhaltliche Forderung, die einfache Darstellung komplexer Sachverhalte? Denn nichts anderes bedeutet das Wort Populismus, übersetzt „das Volk“. Oder liegt das Problem nicht eher darin, dass uns der Respekt anderen Menschen gegenüber, dem politischen Mitbewerber, abhanden gekommen ist? Ich stelle eher fest, dass wir die Trennung zwischen politischer Aussage und persönlicher Wertschätzung ein Stück weit verlernt haben. Ich kann eine Forderung einer Person hart und auch mit scharfen Worten kritisieren. Die Grenze wird aber überschritten, wenn ich den politischen Mitbewerber als Menschen angreife.
Ehrenamt braucht Überzeugungstäter - und damit auch Emotionen!
Gerade im Ehrenamt sind wir alle Überzeugungstäter, mit Leidenschaft dabei. Und Leidenschaft zeigt sich auch durch Emotionen. Dazu neigen Politiker ohnehin. Und das ist auch gut so, ist auch menschlich, macht den Kommunalpolitiker für die Bürger greifbar, nahbar, menschlich. In der Sache fällt es uns aber offenbar immer schwerer, Dinge auszuhalten, die nicht mit unseren Überzeugungen übereinstimmen. Das muss Demokratie, das müssen Politiker – auch im Ehrenamt – aber aushalten.
Was wir nicht zulassen dürfen, sind hingegen persönliche Herabwürdigungen, das Verächtlich machen des politischen Mitbewerbers. Wenn wir unser Gegenüber als „Feind“ betrachten, geht der Respekt verloren. Dann verroht diese Gesellschaft.
Miteinander reden - und zuhören können! Auch das gehört zum Populismus!
Wir kommunizieren uns zu Tode und gleichzeitig haben wir das Kommunizieren ein Stück weit verlernt. Wir müssen wieder viel mehr miteinander reden und einander zuhören. Wenn wir dabei mit Zuspitzung für unsere Überzeugungen streiten, dann werden auch komplexe Sachverhalte für jedermann verständlich. Und genau das braucht unsere Demokratie!