Bürgermeister Thomas Zenker, Großräschen blickt über den See
Großräschens Bürgermeister Thomas Zenker blickt optimistisch in die Zukunft.
© Gudrun Mallwitz

Strukturwandel

Aufbruch nach dem Kohleausstieg

Der Kohleausstieg in Deutschland kostet Tausende von Arbeitsplätzen. Großräschen in der Lausitz setzt auf Tourismus – aber nicht nur. Wie die Regionen sich neu aufstellen wollen – und wie Fehler der Vergangenheit vermieden werden sollen.

Der Wind weht wie so oft an diesem Ort, doch wird er in der Zukunft noch nützlich sein.  Großräschens Bürgermeister muss seine Kappe festhalten, während er über den See schaut, dessen glitzernde Oberfläche sich auf und ab bewegt. „Gute Voraussetzungen für die Segler und Surfer“, sagt Thomas Zenker. Was er sieht: leere Bootsanlegeplätze im Hafen nebenan. Auch auf dem 600 Meter langen Strand dahinter mit dem feinkörnigen Ostseesand keine Menschenseele – trotz des schönen Wetters. Nur einige Radfahrer sind am Ufer unterwegs.

Kohleausstieg in der Lausitz

Das Schild auf einem rostrot gestrichenen Container löst das Rätsel dieses stillen Ortes: „Willkommen in der Zwischenzeit“ steht da geschrieben.

Der Großräschener See ist einer von mehr als 20 Seen, die derzeit aus den riesigen Restlöchern des Braunkohle-Tagebaus im Lausitzer Braunkohlerevier entstehen und weitgehend über Kanäle miteinander verbunden sein werden. Er ist bereits mit Wasser gefüllt – aber noch nicht für die Öffentlichkeit freigegeben. Ist es so weit, werden Fahrgastschiffe hier ankern, Freizeitkapitäne mit ihren Booten herumschippern und Segler den Wind einfangen. 2007 hat die Flutung des ehemaligen Braunkohletagebaus Meuro begonnen, mit Wasser aus der Spree und der Schwarzen Elster. Noch ist nicht genügend eingeleitet, Großräschen muss warten, bis es wieder an der Reihe ist.

Denn die Konkurrenz ist groß und Wasser durch die trockenen Sommer knapp.  Die Flutungszentrale des staatlichen Bergbausanierers LMBV  in Senftenberg entscheidet, wer dran ist. Das künftige Lausitzer Seenland in Brandenburg und Sachsen soll  Europas größte künstliche Wasserlandschaft werden und die touristische Zukunft der Braunkohleregion sichern.  Zuständig dafür ist die staatliche Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft. Seit  1990 hat sie in Brandenburg, Sachsen und Thüringen 4,2 Milliarden Kubikmeter Wasser in die einstigen Tagebaue geleitet,  Land- und Forstflächen rekultiviert und allein von 2017 bis 2021 2,5 Millionen Bäume gepflanzt ."Wir managen die größte Landschaftsbaustelle Europas", sagt LMBV-Sprecher Uwe Steinhuber.

Etwa 40.000 Arbeitsplätze noch

Die „Zwischenzeit“, wie auf dem Schild am See geschrieben steht, ist in Großräschen von Zuversicht geprägt. Denn die brandenburgische Kleinstadt hat schon vor dem Ende des aktiven Tagebaus die Weichen in die Zukunft gestellt. Seit Jahren fährt sie bereits erstaunliche Erfolge  ein - und das inmitten der strukturarmen Lausitz.  Durch kluge kommunalpolitische Entscheidungen und wohl auch durch glückliche Umstände. Doch nicht überall ist die Stimmung in den Kohleregionen Deutschlands derzeit so optimistisch wie in dem 9.000-Einwohner-Ort im äußersten Süden Brandenburgs, im Gegenteil: Die Menschen fürchten um ihre Zukunft, Tausende Arbeitsplätze hängen immer noch von der Kohle ab. In Brandenburg und Sachsen sind  noch rund 7.400 Menschen in der Braunkohlewirtschaft beschäftigt. Im Mitteldeutschen Revier werden etwa 2.400 Beschäftigte vom Kohleausstieg betroffen sein. Zuerst aber ist das größte noch aktive deutsche Kohleabbau-Gebiet dran: das Rheinische Revier mit noch rund 8500 Arbeitsplätzen. Der Bundesverband Braunkohle geht von insgesamt rund 40.000 direkten und indirekten Arbeitsplätzen aus, die künftig wegfallen werden.

Braunkohleabbau in Jänschwalde
Braunkohleabbau in Jänschwalde.

Bis Ende 2022 werden dort  sieben Kraftwerksblöcke abgeschaltet. Danach geht es mit schrittweisen Stillegungen weiter, die letzten drei großen Kraftwerksblöcke sollen ebenfalls erst 2038 folgen. Bereits in den Jahen zuvor hat es immer wieder Stillegungen gegeben, die aber nicht auf den 2020 beschlossenen Kohleuasstieg zurückzuführen sind.

Bis 2028 soll in Brandenburg das größte Kraftwerk Jänschwalde vollständig vom Netz gehen. Ein Jahr später zwei weitere Blöcke am Standort Boxberg, bis Ende 2035 schließt das Kraftwerk Lippendorf und Ende 2038 das Kraftwerk Schwarze Pumpe. Auch die letzten Kraftwerksblöcke in Boxberg werden dann den Betrieb einstellen. Derzeit betreibt der Stromversorger LEAG in der Lausitz vier aktive Tagebaue.

Kohleausstiegsplan - bleibt er?

Spätestens 2038 soll Schluss sein mit dem Abbau fossiler Brennstoffe in Deutschland. Das sieht zumindest das Kohleausstiegsgesetz vor, das der Bundestag mit der damaligen schwarz-roten Mehrheit im Juli 2020 beschlossen hat. Bis dahin soll die Kohleverstromung schrittweise reduziert werden. Die Braunkohlekraftwerke werden über vertragliche Vereinbarungen mit den Betreibern stillgelegt, Steinkohlekraftwerke-Betreiber bekommen bis einschließlich 2027 hingegen Prämien.  Ob der von der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP gefasste Plan gelingt, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen, ist fraglich. Wenn sich Deutschland nach dem Angriff Putins auf die Ukraine von Russlands Energie-Importen unabhängig machen will,  könnte die Kohle vorerst noch gebraucht werden. Zumal bis Ende dieses Jahres die letzten drei Atomkraftwerke heruntergefahren werden sollen.

Der Betreiber der noch aktiven Tagebaue und der Kraftwerke im Lausitzer Revier geht derzeit davon aus, dass der unter der Vorgängerregierung beschlossene Ausstiegsplan eingehalten wird -  und die Kohle nicht über den vereinbarten Zeitpunkt hinaus gefördert wird. Sprecher Thoralf Schirmer sagt: „Die LEAG ist mit dem Abschaltzeitplan für ihre Braunkohlen-Kraftwerks-Anlagen an das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz von 2020 gebunden und hat ihre Revierplanung entsprechend angepasst . Damit bleiben mehr als eine Milliarde Tonnen Kohle in der Erde, die wir ursprünglich heben wollten.“ Längst setzt die LEAG auf Erneuerbare Energien. Der Stromerzeuger mit 7.000 Mitarbeitern baut seit Jahren sein Portfolio um – hin zu Erneuerbaren Energien, Speicherlösungen und Wasserstofferzeugung und -nutzung.

F60FörderbrückeKonzert
Die F 60 in Lichterfeld: Die ehemalige Förderbrücke ist Schauplatz für Konzerte.

Energiepark Bohrau und Ostsee Cottbus

Mit dem Energiepark Bohrau bei Forst soll einer der größten Photovoltaik-Parks in Deutschland entstehen. Ein Windpark soll das Industrie- und Gewerbegebiet in Forst mit grünem Strom versorgen. Auch die LEAG plant, eine Tagebaukippe zum See umzuwandeln: Auf dem Cottbuser Ostsee soll dann die größte schwimmende PV-Anlage zu finden sein. „Die Lausitz steht mittlerweile sehr attraktiv da“, sagt der Lausitzbeauftragte der Brandenburger Landesregierung, Klaus Freytag. „Wir haben die Chance, neue zukunftsfähige Kerne aufzubauen.“ 2024 eröffnet das neue Bahnwerk in Cottbus mit 1.200  neuen innovativen Arbeitsplätzen, zu weiteren  Vorhaben  zählen das Lausitzer Zentrum für Künstliche Intelligenz und ein Energie-Innovationszentrum.

Klaus Freytag, Lausitzbeauftragter Brandenburg
Klaus Freytag, Lausitzbeauftragter in Brandenburg.



Damit die Kohleregionen Zukunftsregionen werden, will der Bund den Strukturwandel in den ehemaligen Kohlegebieten bis 2038 mit bis zu 40 Milliarden Euro unterstützen. Der Bundestag hat dazu ein Strukturstärkungsgesetz beschlossen.  Der Bund vereinbarte mit Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und dem Freistaat Sachsen, dass konkrete Projekte umgesetzt werden. Das Rheinische Revier soll vom Bund rund 15 Milliarden Euro bis 2038 zur Umsetzung aus dem Wirtschafts- und Strukturprogramm bekommen. Zwischen Aachen, Mönchengladbach, Düsseldorf und Köln sollen auch Forschungs- und Wissenschaftsprojekte helfen, den erneuten Strukturwandel voranzutreiben. Damit aus den Kohlegebieten ein Zukunftsrevier wird, haben Landesregierung und Zukunftsagentur einen „Reviervertrag“ geschlossen. Das große Ziel: Das Rheinische Revier soll zur erfolgreichsten wirtschaftlichen Transformationsregion in Europa werden. Eine „Demonstrationsregion für klimaneutrale Industrie mit internationaler Strahlkraft“.  

Ruhrgebiet setzt stark auf Wissenschaft

Bis heute kann man in Nordrhein-Westfalen die Auswirkungen eines brachialen Strukturwandel beobachten. Das Ruhrgebiet war ab Ende der 1950er-Jahre durch die Kohlekrise gezwungen, sich neu zu erfinden. Das gelang dort am besten, wo sich Universitäten und Hochschulen angesiedelt haben. In Bochum entstanden vor allem Firmen für IT-Sicherheit, Dortmund und Duisburg setzen auf Logistikunternehmen. Gelsenkirchen will sich als digitale Modellstadt profilieren. Probleme dürfen nicht verschwiegen werden: So sind die Einkommen in Gelsenkirchen niedriger als anderswo, die Rede ist von Deutschlands ärmster Stadt.  Nun soll aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt werden. „Es bringt nichts, den Kommunen von oben etwas überzustülpen“, sagt Reimar Molitor, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Region Köln/Bonn e.V. als Kenner des schwierigen Strukturprozesses. Bis 2040  ist eine Internationale Bau- und Technologieausstellung  an mehreren Orten im Revier geplant. Das Rheinische Revier soll Brennglas für das Neue werden, einem CO2-neutralen Umbau von Raum, Infrastruktur und Lebensweise.

Morschenich muss nicht umziehen

Auch das Dorf Morschenich im nordrhein-westfälischen Kreis Düren muss sich neu erfinden. Es wird – wie Pödelwitz in Sachsen - doch nicht abgebaggert. Die Morschenicher mussten,  wie die Menschen in  so vielen Dörfern zuvor,  ihre Häuser verlassen, um Platz zu machen für den Kohleabbau. Das war 2015.  Für sie entstand in Morschenich-Neu  ein neues Zuhause. Als der Energiekonzern RWE als Tagebaubetreiber im Rheinischen Revier  fünf Jahre später bekannt gab, dass das Dorf von der Abbaggerung verschont bleibt, löste das ein emotionales Beben aus. Der Bürgermeister der Gemeinde Merzenich, Georg Gelhausen, will Morschenich-Alt nun  als „Ort der Zukunft“ für innovative Start-ups, Unternehmen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen entwickeln.

Das Erfolgskonzept von Großräschen

Im brandenburgischen Großräschen standen da, wo der See nun die touristische Zukunft verheißt, einst auch Häuser. Zu DDR-Zeiten war hier ein ganzes Wohngebiet von 4.000 Menschen abgebaggert worden. 1.000 Menschen verließen den Ort. Nach der deutschen Wiedervereinigung sollte die 150-jährige Industriegeschichte  neue Kapitel aufschlagen. Mit traurigen Geschichten, dann aber mit einer guten Wendung. Seit 1994 ist Thomas Zenker schon Bürgermeister. Vier Gewerbegebiete sind seither entstanden.  „Wir setzen nicht allein auf den Tourismus“, sagt er. "Unser Credo ist: Wohnen, Arbeiten und erholen an neuen Ufern.“ Das Ergebnis: „Wer bei uns Arbeit sucht und Karriere machen will, findet was." Fachkräfte werden sogar händeringend gesucht. Dabei lag die Arbeitslosigkeit in Großräschen in den 1990er Jahren bei 50 Prozent. „Heute haben wir quasi Vollbeschäftigung“, sagt Zenker. Neue Schul- und Kita-Plätze werden geschaffen, der Direktor der Oberschule muss Kinder sogar abweisen. Junge Familien ziehen in die Seestadt, jedes Jahr weist die Kommune 30 Parzellen für Neubaugebiete aus. Die Grundstücke noch erschwinglich: Der Quadratmeter städtischer Grund kostet 70 Euro, auf privatem Boden 100 Euro. Je greifbarer aber die Zukunft, desto höher klettern die Preise.

Stadt erwarb Grundstücke

Was hat Großräschen geholfen? „Wir haben als Stadt 500 Hektar Grund und Boden gekauft und damit in die Zukunft Millionen von Euro gesteckt“, sagt der Bürgermeister. Zenker hatte zudem die Idee, die Internationale Bauausstellung nach Großräschen zu holen. Sanierte Industriedenkmäler als Hinterlassenschaft der IBA von 2000 bis 2010 sind nicht der einzige Gewinn. „Damit bekamen wir den Stimmungswandel hin.“  Ohne Unterstützung ging es auch in Großräschen nicht. 50 Millionen Euro, so schätzt Zenker, sind in die Stadt mit ihren inzwischen sieben Ortsteilen geflossen.

Seehotel Großräschen
Das Seehotel Großräschen war viele Jahre ohne See.



Vorbote der neuen Zeit ist das Seehotel. Es gehörte bis vor kurzem auch der Stadt. Ein Möbelunternehmer aus Oldenburg machte als Pächter aus dem zuletzt als Braunkohle-Forschungszentrum genutzten historischen Gebäude 2007 ein Hotel.  Dem Seehotel fehlte allerdings viele Jahre der See vor der Tür.   Im vergangenen Jahr war das Hotel sogar  zu 80 Prozent ausgelastet, erzählt Bürgermeister Zenker – trotz Corona.  Das Wasser glitzerte da schon direkt gegenüber dem Hotel.

Fotocredits: F 60 PR-Foto PYROGAMES Kohleabbau Jänschwalde LEAG Klaus Freytag: Staatskanzlei Brandenburg Seehotel: Gudrun Mallwitz