Überarbeitete Abwasserrichtlinie
Mit KI Vorschriften der EU bei Kläranlagen umsetzen
Sechs Messhauben schwimmen in dem Göppinger Klärwerk seit Mai dieses Jahres. Unter den Hauben befinden sich Gas- und Flüssigkeitssensoren. Sie messen umweltschädliche Treibhausgase, die während der Reinigung des Abwassers entstehen. Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, diese Emissionen zu reduzieren – indem sie berechnet, an welchen Stellschrauben Kläranlagenbetreiber drehen müssen. Die Vision: den Reinigungsprozess des Abwassers klimaoptimiert zu steuern.
Die hochauflösenden Sensoren gehören zu dem Forschungsprojekt „Künstliche Intelligenz für klimaneutrale Kläranlagen“ (KIkKa), das vom Bundesumweltministerium gefördert ist. Dabei geht es nicht etwa um die CO₂-Konzentration. In diesem Projekt stehen Lachgas und Methan im Mittelpunkt, denn Lachgas wirkt fast 300-mal klimaschädlicher als das bekannte Treibhausgas CO₂.
Kläranlagen verursachen direkte Treibhausgase
Bereits Ende 2022 nahm das Göppinger Klärwerk an einer Voruntersuchung der Universität Stuttgart statt. Das Uni-Team führte Messungen durch, um zu schauen, inwieweit Klärwerke überhaupt relevant sind – was Treibhausgasemissionen angeht. Dabei untersuchten sie das gesamte Klärwerk, nicht nur die Becken der biologischen Reinigungsstufe, sondern auch die Vor- und Nachklärung. Es stellte sich schließlich heraus: „Die direkten Treibhausgase, die wir an die Umwelt abgeben, entstehen hauptsächlich während der biologischen Reinigungsstufe“, berichtet Georg Gänzle, Betriebsleiter der Stadtentwässerung Göppingen.
Dabei fressen verschiedene Bakterienarten organische Rückstände im Wasser auf. Die klimaschädlichen Stickstoff- und Kohlenstoffverbindungen verschwinden. Doch als Stoffwechsel-Nebenprodukt entsteht das klimaschädliche Lachgas. Damit die Mikroorganismen gut arbeiten können, benötigen sie Sauerstoff. Der wird über das Klärbecken zugeführt – was sehr energieintensiv ist. Kommunale Kläranlagen sind einer der größten Energieverbraucher im öffentlichen Sektor.
Stromsparen mit künstlicher Intelligenz
Zweieinhalb Jahre läuft das Projekt, bei dem unterschiedlichen Prozessschritte in der Göppinger Kläranlage untersucht werden. Mithilfe spezieller Sensoren und Treibhausgasanalysatoren können erstmals sämtliche gasförmigen Bestandteile des Wassers erkannt und gemessen werden.
Das Ziel: die biologische Verfahrensstufe zu optimieren – hin zu weniger Emissionen bei einer gleichbleibenden Reinigungsleistung. Das gelingt, indem die KI anhand der Messungen beispielsweise bestimmt, wie viel Sauerstoff zugeführt werden muss. Oder wann die Belüftung gedrosselt werden muss. Das reduziert nicht nur die Emissionen, sondern spart auch Energie.
Überarbeitete Abwasserrichtlinie
Dass dieses Forschungsprojekt zukunftsweisend ist, zeigt sich in der überarbeiteten europäischen Abwasserrichtlinie. Darin geht es beispielsweise darum, Mikroplastik aus dem Abwasser zu entfernen – aber auch um Energieeffizienz und Nachhaltigkeit von Kläranlagen. Dafür sollen zukünftig die Treibhausgasemissionen verpflichtend gemessen werden. Diese sollen Schritt für Schritt eingeführt werden. Das große Ziel: Bis zum Jahr 2045 Energieneutralität zu erreichen.
Doch bis es so weit ist, muss die EU-Richtlinie vom Bund umgesetzt werden. „Jetzt kommt es darauf an, was die Gesetzgeber aus der EU-Richtlinie machen“, sagt Gänzle. Diese sei sehr allgemein gefasst. Es gilt, fehlende Details zu definieren.
Messtechnik nachrüsten
„Für Kommunen bedeutet die neue EU-Richtlinie, dass Klärwerke gegebenenfalls mit Messtechnik nachgerüstet werden müssen, um die Daten zu erfassen“, so der Betriebsleiter, „das ist zunächst ein finanzieller Aufwand.“ Die Messungen helfen jedoch dabei, Maßnahmen ergreifen zu können. Denn wenn über die analysierten Daten die Treibhausgase von den Belebungsbecken gesteuert und reduziert werden können, bedeutet das weniger Energieaufwand.
Die Belüftung der biologischen Reinigungsstufe sei einer der Hauptstromfresser. Das heißt, mit gezielter Belüftung könnten Stromkosten reduziert werden. „Für Kommunen heißt das: Der zusätzliche finanzielle Aufwand für Messtechnik kann sich lohnen, wenn am Ende der Strombedarf sinkt“, räumt Gänzle ein.