Jugendkulturzentrum für eine lebendige Stadtgesellschaft
Matt Damon wacht über das Büro der CULTUS UG, die das Jugendkulturzentrum freiLand verwaltet
© S. Heinze

Jugendkultur

Für eine lebendige Stadtgesellschaft

Das Jugendkulturzentrum freiLand ist der Beweis, dass selbst­organisierte Freiräume in enger Beziehung zur Kommune möglich sind. Das Potsdamer Projekt hat Vorbildcharakter und lädt zum Nachmachen ein.

Das Jugendkulturzentrum freiLand ist in bester Lage. Das ist mein Glück, denn es ist Ende Februar und es schneit. Vom Potsdamer Hauptbahnhof sind es zu Fuß gerade mal 10 Minuten. Im Büro des Trägers CULTUS UG treffe ich Geschäftsführer Achim Trautvetter, der mir heute einen Einblick in seine Arbeit gibt. Von rechts sieht mich ein uniformierter Matt Damon aus Pappe an. Was der hier macht? Er hätte das Team irgendwie an den Film „Inglourious Basterds“ von Quentin Tarantino erinnert.

Das Jugendkulturzentrum freiLand verfügt über ein reiches Angebot

Das freiLand, das ist ein 12.000 m² großes Gelände gefüllt mit Büros von Architekten, Anwälten, Jugendorganisationen, einer Bibliothek und dem Drogenhilfe-Verein „Chill Out“. Ergänzt wird das bunte Potpourri durch Sporträume, Tonstudios, Ateliers und eine Siebdruckerei. Es gibt den Wissenschaftsladen mit seiner Werkstatt, 3D-Druckern und einem Bio-Labor. Die zwei Häuser im Zentrum des Geländes beheimaten ein Veranstaltungssaal und ein Café. Es ist ein Gelände für Festivals und Flohmärkte. Achims Büro befindet sich im roten Backsteinhaus. Das einzige Gebäude, das nicht mit farbenfrohen Graffitis einer selbstorganisierten Gruppe von Sprayern besprüht ist. Das Gelände ist reich an Angeboten und an jeder Ecke gibt es etwas Neues zu entdecken.

Jugendkulturzentrum freiLand Geschäftsführer
Achim Trautvetter ist der Geschäftsführer der CULTUS UG, die das Jugendkulturzentrum freiLand verwaltet

Das Jugendkulturzentrum ist eingebettet in die Geschichte der Stadt

Damit ich das freiLand besser einordnen kann, nimmt mich Achim mit auf eine Reise durch die Nachwendegeschichte Potsdams. Er sieht das Jugendkulturzentrum in der Tradition dieser Zeit. Wie in Westberlin gab es auch in Potsdam eine florierende subkulturelle Szene. Mit Beginn der Rekonstruktion des barocken Stadtbilds musste sie weichen. Für Ausweichprojekte bot die Stadt teils ihre eigenen Häuser an. Dass ein Teil der Szene erhalten blieb, sei heute noch am großen Bürgerinteresse für Stadtentwicklung zu erkennen.

Die fortschreitende Verdichtung und Privatisierung der Stadt war eine aufwühlende Zeit. Junge Menschen waren auf der Suche nach neuen soziokulturellen Räumen und das verlief nicht immer reibungslos. Am Ende waren es die Stadtwerke Potsdam, die das Gelände für das heutige freiLand angeboten haben und die Stadt, die es per Stadtverordnetenbeschluss ausschrieb. Achim erzählt, wie ambivalent das damals im Jahr 2010 war: „Neben der Freude war das einer unserer großen Schreckmomente: Wir wollten ein großes selbstverwaltetes Kulturzentrum und kein normales Bürgerhaus. Aber was ist, wenn sich jetzt zum Beispiel einer dieser großen Träger bewirbt?“

Das Jugendkulturzentrum wird durch ein schlankes Verwaltungskonstrukt verwaltet

Für die Betreibung veranschlagte die Stadt 120.000 Euro jährlich. Über seine Sorgen schmunzelt Achim heute: „Bei der kleinen Summe hätte uns eigentlich klar sein können, dass sich darauf kein großer Träger bewirbt.“ Als einer von zwei Gesellschaftern gründete er die CULTUS UG - ein schlankes Verwaltungskonstrukt, das sich erfolgreich auf das Projekt beworben hatte. "Sie hat die Aufgabe, das Gelände zu verwalten. Zu gucken, dass baurechtlich, versicherungs-, wartungs- und instandhaltungstechnisch alles sauber läuft. Dass die Feuerlöscher zum richtigen Zeitpunkt gewartet werden. CULTUS hat die Verträge mit den Stadtwerken, kriegt Fördermittel von der Stadt und verwaltet die Mietverträge.“

Die Bauvorschriften der Stadt werden vom Jugendkulturzentrum streng umgsetzt

Das freiLand ist ein ständiger Lernprozess. Das Bauplanungstreffen, zu dem Achim und ich eine Tür weiter in das Büro der Architektinnen Alex und Ulli gehen, ist der Beweis dafür. Alex führt uns souverän durch die Bauvorschriften der Stadt. Die beiden Haustechniker hören genau zu und Achim protokolliert. Hier soll eine Tür vermauert und dort ein Kabelstrang verkleidet werden. Und: Wird die Brandschutzverordnung eingehalten? Was ist mit dem Naturschutz? Haben wir die Wasserqualität geprüft? Dass die Architektinnen an der Tür des freiLands klopften, sei ein echter Glücksfall gewesen, sagt Achim.

Die Runde nimmt sich die Zeit, alles richtig zu machen. Manchmal wirkt es fast so, als wollten sie ihren Kritikern einen Schritt voraus sein. Vielleicht auch, weil so ein Gelände keine Selbstverständlichkeit ist. „Wenn ihr so toll selbstorganisiert seid, dann macht doch mal“, zitiert sie Achim. In der Aufbauphase sollten 100.000 Euro Eigenleistung erbracht werden. „Das haben wir aus eigener Arbeit gemacht“, fügt er stolz hinzu. Nach erfolgreicher externer Evaluation hatte das Jugendkulturzentrum 2013 seinen Status als Modellprojekt nach drei Jahren verloren und ist seitdem fester Bestandteil der Kommune.

Jugendkulturzentrum freiLand Atelier
Das Atelier einer Künstlerin, die Nutzerin des Jugendkulturzentrums freiLand ist

Im Plenum sind die Nutzer des Jugendkulturzentrums organisiert, um Entscheidungen zu treffen

Selbstbestimmung, Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit – das wolle man hier leben. Die vielfältige Nutzerschaft des Geländes setzt das aus Sicht der Macher auch um. Denn alle Nutzer des Geländes sind unabhängig voneinander im Plenum organisiert, in dem sie sich regelmäßig treffen, um gemeinsam Entscheidungen zu treffen – basisdemokratisch, versteht sich. Digital organisiert sich das Plenum neben den analogen Treffen auf Discourse – einer Open-Source-Software, die das Ziel hat, eine gute Debattenqualität zu ermöglichen.

In der vielfältigen Nutzerschaft liegt die Stärke des freiLands. Alles läuft unter dem Motto „Kultur von allen für alle“. Ein Motto, das Achim heute mehrmals betont. Mit dem jetzigen Trägerkonstrukt der CULTUS UG ist er daher aus rechtlicher Sicht unzufrieden. Denn was passiert, wenn er dort nicht mehr arbeitet? Bisher beruht alles auf Vertrauen. Aktuell plant das Plenum daher einen eigenen Verein zu gründen, der dann alleiniger Gesellschafter der CULTUS UG werden soll. Die langfristige Unabhängigkeit und Selbstorganisation des Geländes sollen so fundamentiert werden.

Die Stadt unterstützt Räume wie das Jugendlulturzentrum freiLand

Und was denkt die Stadt zum freiLand? Ich spreche mit Noosha Aubel, der Beigeordneten für Bildung, Kultur, Jugend und Sport der Landeshauptstadt Potsdam. Sie sagt zum Jugendkulturzentrum: „Es ist wichtig, dass wir solche Angebote machen, damit die Jugendlichen die Möglichkeit haben, Verantwortung für sich, für ihr Wohnumfeld, für die Ausgestaltung ihrer Lebensqualität übernehmen zu können. Für mich ist es auch ein wichtiger Baustein in Hinblick auf gelebte Demokratie. Dort müssen die Nutzer gemeinsam in die Aushandlung gehen.“ Mit einem Standortfaktor wie einer guten Kita oder Schullandschaft sei das freiLand nicht zu vergleichen. Der Schwerpunkt eines solchen Geländes ist ein anderer: „Soziokulturelle Räume sind wichtig für die Kommune, damit man Entfaltungsräume jenseits des klassischen Mainstreams oder der Hochkultur hat. Junge Menschen können sich dort ausprobieren und kreativ sein. Das ist auch ein wenig wie ein Inkubator für die Stadt, wenn die klassischen, die ausgetretenen Pfade mal verlassen werden.“

Leerstehende Räume warten darauf mit Leben gefüllt zu werden

Anderen Kommunen empfiehlt Aubel, dass die Initiative von jungen Menschen ausgehen sollte, die eine Idee haben. „Wenn das die Grundlage ist, dann kann gemeinsam mit der Kommune ausgelotet werden: Wie und was kann innerhalb der bestehenden Spielräume - finanziell, sächlich, räumlich - mit Unterstützung der Kommune realisiert werden? Aber Motor, das ist auch das Konzept des freiLands, muss die Nutzerschaft sein.“ Auch wenn der finanzielle Aufwand nicht komplett ausgeblendet werden könne, sollte er jedoch nicht der primäre Faktor einer solchen Planung sein. In vielen Kommunen gebe es leerstehende Räume, die nur darauf warten, mit Leben gefüllt zu werden

Die größte Herausforderung für Bürgermeister und Verwaltung ist das Loslassen

Laut Achim besteht die größte Herausforderung für Bürgermeister und Verwaltung darin, das auch zuzulassen. Nicht immer laufe alles glatt. Das soll es auch gar nicht. Ganz im Gegenteil sei das Loslassen und die Möglichkeit des Scheiterns eine wichtige Voraussetzung für solche Freiräume. Und das freiLand ist ein erfolgreiches Beispiel, wie Kommune und selbstorganisierte Strukturen eng miteinander zusammenarbeiten für eine lebendige Stadtgesellschaft.

Fotocredits: Silvan Heinze