Noah Naber
Noah Naber hat in der Fußgängerzone in Hanau vor Monaten sein erstes Geschäft eröffnet - mit HiIfe der Stadt.
© Gudrun Mallwitz

Innenstadt-Rettung

Erst im Internet, jetzt in der Innenstadt

In Hanau eröffnete ein 19-Jähriger in der Fußgängerzone einen Laden mit nachhaltigem Konzept. Vorher hatte er nur online verkauft. Vor allem bei den jungen Käufern kommt sein Geschäft gut an. Wie die hessische Stadt ihr Zentrum attraktiv machen will – und mit welchen Ideen andere Kommunen die Innenstädte beleben wollen.

Noah Naber hat eine Leidenschaft: Gebrauchtes. „Ich habe schon immer viel Zeit dafür verwendet, um auf Flohmärkten nach Klamotten für mich zu suchen“, erzählt er.  „Was mir zuhause dann doch nicht passte, habe ich ins Internet eingestellt." Zu seiner Überraschung bekam er viel mehr Geld dafür, als er ausgegeben hatte. Und so wurde eine Geschäftsidee daraus: Im Frühjahr 2020 eröffnete er einen Online-Shop mit hochwertiger Vintage-Secondhand-Mode vor allem aus den 1980er- und 1990er-Jahren  und gefragten Labels. Es lief gut, bis die Flohmärkte in der Corona-Pandemie schließen mussten. Von da an kaufte Noah Naber bei Textilrecyclern.

Der Traum vom eigenen Laden mit direktem Kontakt zu den Kunden wuchs.  „Über Youtube habe ich mir Videos über die großen Second-Hand-Shops in den USA angeschaut. Die Vintage-Szene ist dort riesig“, schwärmt er. Der eigene Laden war schneller da, als sich Noah Naber erträumt hatte: Sein Vater wies ihn darauf hin, dass die Stadt Hanau ein leerstehendes Geschäft in der Nürnberger Straße als sogenannten Pop-up-Laden anbietet. Der Vormieter war ausgezogen, es drohte Leerstand. Drei Monate lang, so versprach die Stadt, übernehme sie die Miete für den Laden, es müssten nur die Betriebskosten bezahlt werden – und zehn Prozent des Bruttoumsatzes an die Kommune abgeführt werden. „Ein Mega-Konzept“, findet Jungunternehmer Naber.

Hanau-Konzepte für Innenstadt

Und es läuft: Als KOMMUNAL vorbeischaute, kam ständig jemand in den kreativ eingerichteten Laden.  Die Kunden: überwiegend sehr jung, aber auch Ältere tauchen hier gern in Nostalgie ein: Drei Polstersessel stehen im Geschäft, dazu ein Tischchen und daneben eine stoffbespannte Stehlampe mit dunkelroter Bordüre; auf der türkis gestrichenen Kommode liegen alte Bravos und ein Stapel der Programmzeitschrift HörZu aus den 1960er-Jahren. Pop-up-Stores sind ein fester Bestandteil von Hanaus Innenstadtkonzept, dem preisgekrönten Stadtentwicklungsprogramm „Hanau aufLADEN“. Interessierte können Ladenkonzepte für einen begrenzten Zeitraum zu subventionierten Mieten ausprobieren und tragen so ein geringeres wirtschaftliches Risiko.

Die Stadt bietet unter anderem Kurse für digitales Marketing und größere Sichtbarkeit im Netz an.  Bei einer solchen Beratung stellte sich heraus, dass ein  Laden für die damals 29-jährige Valerie Ramme durchaus Sinn machen würde, wenn sie ihn mit einem Partner betreiben kann. So bekam Noah Naber für seinen stationären Shop „Second Vintage“ eine Kollegin. Auch sie setzt auf Nachhaltigkeit, auch sie verkaufte zunächst nur online Kleidung aus Naturmaterial, umweltfreundlich verpackt. „Lotte im Glück“ heißt ihr Geschäft. Die beiden Jungunternehmer wechseln sich im Laden bei der Präsenz ab, ein Modell, das auch für andere Händler interessant sein dürfte.

Valerie Ramme Lotte im Glück Hanau
Jungunternehmerin Valerie Ramme von "Lotte im Glück".

Comeback für die Innenstädte erhofft

Erleben die Innenstädte nun ein Comeback? Anfang April entfiel die Maskenpflicht beim Einkaufen und es können wieder alle ohne Test und Impfnachweis essen gehen. „Leider müssen wir hinter der Wiederkehr der Innenstädte ein großes Fragezeichen setzen“, sagt Michael Reink vom Deutschen Handelsverband. „Wir beobachten schon, dass wieder mehr Menschen in die Innenstadt kommen, doch 35 Prozent der Bürger sagen in Umfragen, dass sie künftig mehr online einkaufen wollen.“  Den Wegfall der Maskenpflicht sieht der Handelsverband zweischneidig. „Viele werden bei hohen Inzidenzen wegbleiben, andere kaufen ohne Maske wieder lieber ein.“ Reink rechnet damit, dass viele Händler das Hausrecht durchsetzen – und auf die Maske bestehen, allein, damit nicht so viel Personal ausfällt. Klar ist schon jetzt, dass Inflation und Preissteigerungen durch den Ukraine-Krieg die Kauflaune beeinträchtigen werden.

Bei einer aktuellen Befragung halten 83 Prozent der Einzelhändler Zukunftsinvestitionen zwar für notwendig. Doch fast die Hälfte sagt: Wir können nur ins reine Kerngeschäft investieren. Erschwerend kommt hinzu: Händler müssen die in der Corona-Pandemie gestundeten Mieten zurückzahlen. Viele haben aufgegeben. „In den 1-A-Lagen der größeren Städte stehen 15 Prozent der Geschäfte leer, in den Nebenstraßen oder an den Enden der Fußgängerzonen sind es sogar 25 Prozent“, sagt Reink.

Pop-up-Läden als Gründerzentren

Die Gefahr: Sind Läden in der Nachbarschaft ungenutzt, findet sich weitaus schwerer ein Mieter. „Auch deshalb sind Pop-up-Ladenkonzepte äußerst sinnvoll", so  Reink. Und: „Es handelt sich um dezentrale Gründerzentren." Was bei Handwerkern oder IT-Start-up-Firmen funktioniert, kann auch im Handel einen Schub bringen. Klar ist: Die Innenstädte sollen künftig mehr bieten als Geschäfte und ein paar Bänke in der Fußgängerzone. Um die Metamorphose zu ermöglichen, hat der Bund viel Geld bereitgestellt. Die Kommunen konnten sich für das 250-Millionen-Euro-Programm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ bewerben. „Eine starke Unterstützung“, betont Reink. Mit unerwünschten Nebenwirkungen aber: „Die Umbauarbeiten könnten weitere Besucher abhalten“, befürchtet er.. „Viele Händler werden eine weitere Durststrecke nicht verkraften.“ Er wünscht sich daher einen Sonderfonds des Bundes für Unternehmen, die in dieser Zeit in Not geraten.

Waldkirchen verringert mit Mietzuschüssen Leerstand

Gegen den Leerstand kämpft auch die niederbayerische 11.000-Einwohner-Stadt Waldkirchen ganz im Osten Deutschlands. Wer hier ein leerstehendes Gebäude herrichtet und bezieht, lebt dort erst einmal mietfrei. 1.000 Neubürger kamen so in den vergangenen Jahren nach Waldkirchen,das auch Neubau ermöglicht. An den Erfolg will Bürgermeister Heinz Pollak mit dem neuen Leerstands-Programm für den Handel anknüpfen. Zwei Monatsmieten übernimmt der Vermieter, sechs weitere Monatsmieten die Stadt. Ein Heilpraktiker, ein Kosmetikladen, ein neuer Friseur, eine Eisdiele und ein Taschengeschäft haben daraufhin eröffnet.

Bad Belzig befragt Bürger zur Innenstadt

Quer durch Deutschland suchen Kommunen nach einer Lösung für die Innenstädte.  Auf einer Beteiligungsplattform konnten die Bürger der Kleinstadt Bad Belzig in Brandenburg zur künftigen Gestaltung abstimmen. „Mit fünf Fragen versuchen wir herauszufinden, wie sich die Menschen die Innenstadt wünschen“, erläutert Konrad Traupe vom Smart-City-Projekt „Zukunftsschusterei“. Außerdem wurde ein Workshop mit Händlern, Gastronomen, Stadtplanern und Denkmalschützern, Eigentümern und Familien organisiert. Bei der Umfrage wurde gefragt, ob ein Parkhaus gewollt ist.  Viel Zustimmung gab es auf die Frage: Soll ein Teil der Parkplätze auf dem Marktplatz umgenutzt werden? Stattdessen könnte mehr Platz für das Eiscafé geschaffen und die Veranstaltungsfläche erweitert werden. Und es ging darum, ob die Einkaufsstraße in Bad Belzig stärker auf Radfahrer und Fußgänger ausgerichtet werden soll. Wissen wollte die Stadt auch: Brauchen wir mehr Feste? Soll es in der Innenstadt mehr Grünflächen geben?

Hanau plant Programm zur Belebung

Auch Hanau beteiligt die Bürger ständig am Innenstadtkonzept – und kommt mit frischen Ideen gut voran. Geplant ist für das zweite Halbjahr 2022 ein Kompetenzzentrum für Handel, Digitalisierung und Immobilien. Dort wird dann beraten, betreut, geschult. Es gibt sogar eine Headhunterin für neue Ladenkonzepte. Susanne Schmitz sucht Betreiber für innovative Ladenkonzepte, spricht mit Bewerbern und entwickelt mit ihnen einen Umsetzungsplan. Die Corona-Lockerungen will Hanau bis Oktober für Veranstaltungen nutzen. Mehr Farbe an Häusern, Brücken und auf Straßenpflastern, Urban Gardening und neue Märkte sind angekündigt. Die Überschrift: „Hanau macht Lust auf das Leben“.

Die Stadt als Spielwarenhändlerin

Jüngst machte die Stadt als Spielwarenhändlerin bundesweit Schlagzeilen. Denn sie kaufte ein Traditions-Spielwarengeschäft, um es künftig selbst zu betreiben. Nach 30 Jahren gibt das BetreiberEhepaar den Laden ab. Weil die Suche nach einem Nachfolger erfolglos blieb, beschloss die Stadt, das Traditionshaus mit Personal und Sortiment zu übernehmen. Dazu kaufte sie das ganze Haus.

Claus Kaminsky OB Hanau

Wir sind stolz darauf, schon sichtbar für jeden bereits sehr viel bewegt zu haben.“

Claus Kaminsky, Oberbürgermeister von Hanau

Win-Win-Situation

Oberbürgermeister Claus Kaminsky sagt dazu: „Es handelt sich um eine Win-Win-Situation, bei der Leerstand vermieden, Spekulation unterbunden und ein traditionsreiches Angebot erhalten und erneuert wird.“ Die städtische Gesellschaft als Einzelhändler, das soll aber auch in Hanau die Ausnahme bleiben, machte er klar. Das Konstrukt sieht so aus: Die städtische Bauprojekt GmbH kauft das Gebäude und übernimmt das Geschäft. Die Hanau Marketing GmbH will sich die Namensrechte Spielwaren Brachmann sichern. Sie mietet die 300 Quadratmeter bei der Bauprojekt GmbH an. „Unser Ziel ist es, jemanden zu finden, der das Geschäft übernimmt, denkbar ist auch, dass wir an der Stelle ein neues Konzept umsetzen“, sagt Daniel Freimuth, operativer Leiter der Hanau Marketing GmbH. Ein wirtschaftliches Risiko sieht die Stadt nicht. Dafür sorgten die Bestandsmieten für die Wohnungen über dem Laden.

Vorkaufssatzung bringt Einfluss

Über die seit 2019 geltende Vorkaufssatzung bekommt die Stadt mit, wann Verkäufe geplant sind und kann Zugriff auf strategisch wichtige Flächen bekommen. Damit gewinnt sie Einfluss auf den Ladenmix.  Es ist nicht das erste Mal, dass die Stadt ein Geschäft führt. Im Juni vorigen Jahres hat sie den „KunstKaufLaden Tacheles“ eröffnet. „Wir haben hier innerhalb von 10 Monaten mehr als 900 Kunstwerke verkauft“, sagt Mitarbeiterin Rachel Brendel. Die meisten Künstler stammen aus der Region, 20 Prozent aus Städten wie Stuttgart oder Leipzig. Die Stadt ist zu 20 Prozent am Bruttoerlös der Kunstwerke beteiligt. 

Rachel Brendel vom Kunstkaufhaus Hanau
Rachel Brendel, Mitarbeiterin im städtischen „KunstKaufLaden Tacheles".

Mietzuschüsse bis zu 10.000 Euro von der Stadt Hanau

Rachel Brendel hofft, dass Noah Naber und Valerie Ramme mit ihrem Vintage-Laden gegenüber bleiben können. Denn er zieht vor allem junges Publikum an. Der Mietvertrag, den sie mit der Stadt abgeschlossen haben, läuft  regulär nach drei Monaten aus. Hanau will die Jungunternehmer aber weiter unterstützen und sucht nach einer Möglichkeit, den Laden in der Innenstadt zu halten. Bei einer langfristigen Laden-Anmietung bietet sie Miet- und Marketingzuschüsse bis zu 10.000 Euro auf 18 Monate an. Noah Naber sagt: „Wir wollen total gern weitermachen. Nur hier im Laden habe ich direkten Kontakt zu den Kunden und es ist so schön, zu sehen, dass ihnen das Einkaufen bei uns Spaß macht.“ Und genau so soll es sein.