Studie
Frischer Wind für die Innenstadt: Neue Studie
Deutschlands Innenstädte müssen sich wandeln. Doch wohin geht die Reise? Experten des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) kommen zu dem Schluss: "Auf kommunaler Ebene besteht eine hohe Veränderungsbereitschaft." Welche Optionen aber haben Kommunen für eine zeitgenössische Gestaltung ihrer Zentren? Klar ist: Klassische Nutzungen wie Einkauf und Gastronomie reichen heute und künftig nicht mehr. Die neue Difu-Studie „Frischer Wind in die Innenstädte“ will einen Debattenbeitrag zur künftigen Ausrichtung der Innenstädte liefern.
"Langer Atem und Beharrlichkeit sind erforderlich, um die Innenstadt als Schaufenster der urbanen Transformation zu positionieren", so die Experten. "Ad-hoc-Maßnahmen und kurzfristige Investitionen bringen zwar frischen Wind in die Innenstädte. Doch es braucht langfristig auch eine Verständigung auf die langen Linien." Wichtig sei dabei auch die Frage, welche Rolle eine zeitgemäße Innenstadt im Zusammenspiel mit den Stadt- und Ortsteilzentren ausfüllen könne und solle.
Herausforderungen in Innenstädten
Mehr Homeoffice als Folge der Corona-Pandemie sorgt dafür, das Unternehmen überlegen, ihre Flächen vor allem in teuren Innenstadtlagen zu reduzieren. Der stationäre Einzelhandel ist von zwei Seiten unter Druck: durch den Onlinehandel und durch die wachsende Homogenität der Angebote - mittlerweile ist auch die Gastronomie häufig von Filialisten bestimmt. Das liegt an den hohen Mieten, die nur sie sich oft leisten können. Wohnen wurde verdrängt, mittlerweile aber werden wieder mehr Wohnungen dort gebaut. Es müssen dazu aber auch Kitas, Spielplätze und Nachbarschaftsangebote entstehen. Eine Herausforderung für die Stadtpolitik ist auch die Gratwanderung zwischen zentraler Erreichbarkeit und Aufenthaltsqualität. Untersuchungen zeigten, so die Difu-Experten, dass sich die Menschen dort länger aufhalten, wo keine Autos fahren. Dann die Herausforderung Klimawandel: Innenstädte sind im Sommer oft Hitzeinsel.
Handlungsempfehlungen zur Rettung der Innenstadt
- „Kommunen benötigen ein widerspruchsfreies gemeinsames „Zielbild“ für ihre Innenstadt, das die langfristig gewünschte Entwicklung definiert. Ein Beispiel könnte die „Alltägliche Innenstadt“ sein,“ so Difu-Wissenschaftlerin Julia Diringer. „Damit die Innenstadt die Stadtgesellschaft verbindet, braucht es eine Vielfalt an Angeboten und Anlässen „von Hochglanz bis ohne Glanz“.
- Die vorhandene Nutzungsvielfalt sollte laut Difu-Forschungsteam erweitert und bisher weiter entfernte Nutzungen in die Innenstadt integriert werden. Dazu gehören Einrichtungen für Bildung, nichtkommerzielle Kultur- und Freizeitangebote, Gesundheitsangebote, soziale Einrichtungen, Wohnen und Verwaltung.
- Multifunktionalität sollte ein selbstverständlicher Bestandteil der Gebäude- und Flächennutzung werden.So können Gebäude morgens anderen Zwecken dienen als abends. Mischen ist möglich und notwendig, muss aber gesteuert werden, um Konflikte zu vermeiden.
- Sechs zentralen Schwerpunkten – „Transformationsbausteinen“ – wird derzeit laut Difu-Forschungsteam oft noch zu wenig Bedeutung bei der Innenstadtentwicklung beigemessen. Sie könnten jedoch wirksame Impulse für die Resilienz und „frischen Wind“ in die Innenstädte tragen: Klimaanpassung, Klimaschutz, Mobilitätswende, sozialer Zusammenhalt, Gemeinwohlorientierung und Kreislaufwirtschaft.
- Freiwerdende Flächen können neu oder anders genutzt werden. Versiegelte Straßen und Plätze, Dach- und Fassadenflächen, aber auch Gebäude für Klimaschutz, Klimaanpassung sowie Energieerzeugung könnten eine stärkere Rolle spielen. Aufenthalts- und Lebensqualität können durch eine mobilitätsgerechte Stadt – gut erreichbar, aber wenig fahrende oder parkende Autos – verbessert werden.
- Durch vielfältige Angebote für das Miteinander kann die Innenstadt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen und ihn fördern. Eine stärkere Ausrichtung der Innenstadt auf das Gemeinwohl ist zudem notwendig, um unsoziale Logiken des Immobilienmarktes zu durchbrechen und Zugänglichkeit, breite Nutzungsmischung und bezahlbare Flächen für Kleingewerbe, Handwerk, Kunst, Kultur und Soziales zu ermöglichen.
- Mit dem europäischen „Green Deal“ wird Kreislaufwirtschaft zu einem Handlungsfeld für die kommunale Wirtschaftsentwicklung, die auch die Innenstädte betrifft. Angebote zum Reparieren und Wiederverwenden, nachhaltige Bauweisen und „Urban Mining“ – also das Weiternutzen von Rohstoffen in Produkten und Infrastrukturen nach Gebrauchsende – sollten ins urbane Repertoire gehören. So könnte die Innenstadt in ihrer zentralen Funktion auch ein „Schaufenster der zukunftsorientierten Transformation“ werden.
- Da die Handlungsspielräume der Kommunen vor allem durch ein vielerorts geringes kommunales Flächenvermögen in der Innenstadt eingeschränkt sind, könnten Innenstadtentwicklungsmaßnahmen, Regelungen zum Gewerbemietrecht oder den Schutz für bestimmte Nutzungen die Handlungsmöglichkeiten erweitern.
- Welche Rolle eine zeitgenössische Innenstadt tatsächlich ausfüllen kann, muss stadtindividuell entschieden werden. Dafür braucht es eine gemeinsame Verständigung über die „langen Linien“ der Transformation – und Ausdauer.
„Die Innenstadt ist ein Gemeinschaftswerk. Die jetzt notwendige Transformation kann sich für Kommunen als Chance erweisen, die Stadtgesellschaft in diesen wichtigen Prozess einzubinden,“ fasst Difu-Wissenschaftlerin Sandra Wagner-Endres zusammen.
Die Difu-Studie zum kostenlosen Herunterladen finden Sie hier.