Flatrate-Mobilität
In der Coronakrise hat das Fahrradfahren nochmal an Bedeutung gewonnen.
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Zukunftsforschung

Die Zukunft heißt Flatrate-Mobilität

Der Öffentliche Personennahverkehr gehört zu den Verlierern, Auto und Rad sind die Gewinner der Coronakrise. Corona wird zum Beschleuniger einer neuen Mobilität. Die Mobilität danach wird eine andere sein: sauber, sicher und dennoch schnell, meint Zukunftsforscher Daniel Dettling.

Das Fahrrad erlebt einen historischen Boom. In Deutschland ist der Umsatz mit Rädern vor allem bei den hochpreisigen E-Bikes zuletzt um ein Drittel gestiegen. Bei der Wahl des Verkehrsmittels spielt inzwischen - neben Preis und Komfort - auch die wahrgenommene Infektionsgefahr eine Rolle, heißt es in einer aktuellen Analyse von McKinsey. So kaufen die Deutschen mehr Fahrräder, um virenfrei zu pendeln und im Urlaub Touren zu machen.

Dagegen sind die Passagierzahlen im öffentlichen Nahverkehr während des Lockdowns in den größten Städten weltweit um 70 bis 90 Prozent eingebrochen. Busse und Bahnen gelten bei den Pendlern als „Virenschleudern“. Die Prognose: Nach Corona werden in den Städten das Rad und auf dem Land das Auto zu den Gewinnern gehören.

Die Mobilität der Zukunft gehört den den Fahrrädern und Rollern

Die Städte werden zum Treiber der neuen Rad-Mobilität. Vor Corona verhinderten Bahn und Bus, dass der Verkehr nicht zusammenbrach; während Corona ist es das Fahrrad. Viele Städte folgten dem Appell der Weltgesundheitsorganisation zu Beginn der Pandemie: „Bitte gehen Sie zu Fuß oder nutzen Sie das Fahrrad, wann immer es geht!“ Fahrradfahren stärkt das Immunsystem und die Lungen und reduziert so das Risiko, sich mit dem Virus zu infizieren. Der neue Trend in den Städten heißt „Dienstrad statt Dienstwagen“.

Die Städter, die den ÖPNV aufgrund von Corona heute meiden, werden auch nach Corona beim Rad oder E-Bike bleiben. Das Coronavirus wird zum Katalysator von autofreien Innenstädten. In den großen Städten und Ballungsgebieten der Welt gehört die Zukunft den Rädern und Rollern. Um den Mindestabstand einzuhalten, werden Auto- zu Fahrradspuren und die Fußwege breiter. Damit wird Corona zum Gamechanger einer neuen Mobilität in den Kommunen. Aus autogerechten Städten werden gesunde Räume für alle Bürger.

Durch Luftverschmutzung sterben doppelt so viele Menschen wie bei Verkehrsunfällen

Der öffentliche Raum wird nach Corona neu verteilt. Radfahrer und Fußgänger erhalten nicht nur aus Gründen des Virenschutzes Vorfahrt. Es geht um bessere Luft, weniger Lärm und mehr Lebensqualität. Auch Unfälle, umweltschädliche Emissionen und Krankheitstage lassen sich mit einer Verkehrswende Richtung Null senken. Die Städte sind weltweit für fast 80 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Allein in Deutschland sterben Berechnungen des Max-Planck-Instituts für Chemie zufolge jährlich 7.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung durch den Straßenverkehr, doppelt so viele wie bei Verkehrsunfällen.

Um Unfälle und Emissionen zu reduzieren, führen immer mehr Städte Tempo 20 oder 30 ein. In etlichen Städten gibt es inzwischen sogar ein Überholverbot für Räder. Studien zeigen, dass der Verkehr dadurch nicht insgesamt langsamer, sondern schneller wird, weil die Straßen mehr Fahrzeuge aufnehmen können. Radfahren ist auch gesünder: Menschen, die mit dem Rad zur Arbeit pendeln, haben bis zu 25 Prozent weniger Fehltage aufgrund von Krankheiten.

Deutlich mehr Deutsche fahren wieder mit dem Auto

Derweil wird auf dem Land das Auto zum Mobilitätsgewinner. Mehr als zwei Drittel der Deutschen wollen in diesem Sommer mit dem Auto verreisen, bei Familien mit Kindern und der Generation 65plus sind es fast drei Viertel. Das Auto ist in der Coronakrise für zwei Drittel zum bevorzugten Verkehrsmittel geworden. Vor Corona waren es das nur für ein Drittel. Die aktuelle Wirtschaftskrise ist eine einmalige Chance, um ältere Autos mit Verbrennungsmotoren aus dem Verkehr zu nehmen. Das Durchschnittsalter deutscher PKW hat einen neuen Rekord erreicht und beträgt fast 10 Jahre. Vor 60 Jahren waren es noch knapp vier Jahre. Höchste Zeit für eine Verjüngung! Die Kaufprämien im Konjunkturpaket der Großen Koalition sind ein erster Schritt, bleiben aber auf halber Strecke stehen. Effektiver wäre bei anhaltenden Niedrigzinsen ein Nullprozent-Finanzierung: „E-Autos für Alle auf dem Land!“

Der kommunale ÖPNV bleibt Hoffnungsträger für mobilie Zukunftsvisionen

Doch wer soll die Verkehrswende auf Rad und E-Autos organisieren? Hier müsste der kommunale ÖPNV ins Spiel kommen. Aus dem Hoffnungsträger mobiler Zukunftsvisionen ist in der Corona-Zeit das größte Sorgenkind geworden. Seit dem Ausbruch der Pandemie im März ist der öffentliche Nahverkehr um etwa die Hälfte eingebrochen. Viele Bürger wollen Umfragen zufolge nach der Krise seltener Bus und Bahn fahren und überlegen, angesichts von Homeoffice und weniger Dienstreisen ihr Abo zu kündigen.

Dabei kann der ÖPNV zum Mobilitätsplayer der Zukunft werden, wenn er die richtigen Schlüsse aus den Megatrends Gesundheit, Individualisierung und Digitalisierung zieht und Mobilität endlich so denkt wie seine Kunden. Die regionalen Verkehrsverbünde müssen sauberer, sicherer und schneller werden und größer denken, wenn sie noch relevant sein wollen. Sie werden ihr regionales Besitzstandsdenken aufgeben und ihre Dienstleistungen konsequenter an den veränderten Mobilitätsbedürfnissen aller Bürger ausrichten müssen. Es geht um die Verbindung aller Verkehrsträger und neue Partnerschaften, welche die flexible Nutzung von E-Bikes, Lastenrädern, Taxis und Mietwagen umfassen.

Die Nachbarn Österreich und die Schweiz machen es vor

Wie der Wandel im Großen gelingen kann, zeigen unser Nachbarn Österreich und die Schweiz. In Österreich soll es im nächsten Jahr ein Ticket für alle öffentlichen Verkehrsmittel im ganzen Land geben, das pro Tag nur drei Euro kosten soll. Vorbild ist Wien, in der es bereits eine Jahreskarte von 365 Euro für alle Bahnen und Busse gibt. Und in der Schweiz bietet die Bahn ein Mobilitäts-Abo aus Bahn und E-Auto inklusive Service, Reifenwechsel, Versicherung und Steuern.

Dass der Wandel auch im Kleinen gelingen kann, zeigen die Stadtwerke Augsburg. Dort gibt es seit letztem Jahr die erste bundesweite Mobilitäts-Flatrate. Nicht „entweder ÖPNV oder Auto“, sondern „Sowohl als auch“ ist das Ziel. Das „große Mobilitätspaket“ umfasst neben dem ÖPNV auch Leihräder und Carsharing.

Die Zukunft gehört der flexiblen und freien Flatrate-Mobilität. Ein individueller und intelligenter, ein öffentlicher und gesunder Verkehr – ein „IÖPNV“ – ist kein Widerspruch, es wäre die Lösung für die Mobilität nach Corona. Auf kreative Kommunen kommt es an!