Viel Wirbel um einen einstimmig gewählten Ortsvorsteher der NPD in Hessen - doch wie können Demokraten damit umgehen?
Viel Wirbel um einen einstimmig gewählten Ortsvorsteher der NPD in Hessen - doch wie können Demokraten damit umgehen?
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Leitartikel

Wie umgehen mit NPD und Co im Gemeindeparlament?

Wohl noch nie in den vergangenen Jahrzehnten hat die Wahl eines Kommunalpolitikers in einem kleinen Ortsteil bundesweit für so viele Schlagzeilen gesorgt. Einstimmig wurde in Altenstadt im Ortsteil Waldsiedlung mit Stimmen von CDU, SPD und FDP ein bekannter NPD Funktionär zum Ortsvorsteher gewählt. Die Ehrenamtlichen Mitglieder des Ortsbeirates wirkten nach der Wahl überfordert, wollen ihn nach viel Druck auch aus den Bundesparteien doch wieder abwählen. Eine 22 jährige Studentin aus dem Ortsbeirat soll nun den Vorsitz übernehmen. Doch wie können Kommunalpolitiker generell mit gewählten Vertretern in den Kommunalparlamenten umgehen, die nicht auf dem Boden der Verfassung stehen oder zumindest eindeutig populistisch agieren und mit extremistischen Parolen auffallen? Einige Tipps!

Der Umgang mit NPD und Co ist in vielen Gemeinde- und Stadtparlementen umstritten. Und in der Tat gibt es auch nicht den einen Königsweg. Die Erfahrungen in der Kommunalpolitik in vielen Bundesländern zeigen aber seit Jahrzehnten, dass es vor allem auf die Abstimmung und die richtige Vorbereitung durch die "demokratischen" Parteien ankommt. Am erfolgreichsten im Umgang mit extremistischen Parteien waren immer die Gemeindeparlamente, in denen es eine gemeinsame Strategie und ein geschlossenes Auftreten der anderen Fraktionen und Abgeordneten gab. 

Das beginnt beim persönlichen Umgang. Gerade NPD-Abgeordnete, aber auch andere Extremisten, bemühen sich häufig, als Teil des demokratischen Spektrums wahrgenommen zu werden. Wenn die Begrüßung per Handschlag bei Ihnen im Gemeindeparlament üblich ist, wird es Ihnen schwerfallen, das bei Vertretern undemokratischer Parteien nicht auch zu tun. Ob Sie das machen, hängt vom Einzelfall ab, Experten raten zu Distanz, aber auch zu einem freundlichen Auftreten. Das reine Ausgrenzen bringt die Abgeordneten häufig gar in eine Martyerrolle. Das kann auch nicht das Ziel sein. 

Wichtig aber ist: Lassen Sie sich (vor allem während der Sitzungen und am Rande) nicht in einen Small-Talk verwickeln. Diese Strategie wird von NPD und co sehr gerne angewendet. Auch hier das Ziel: Ein freundliches Gespräch, eine Wahrnehmung als "ganz normaler" Teil der Gemeindevertretung. 

Umgang mit Anträgen von NPD und Co 

Eines sollte klar sein: Gemeinsame Anträge mit Extremistischen Parteien und auch mit Einzelabgeordneten sollte es niemals geben. Doch was, wenn etwa die NPD einen vermeintlich "sinnvollen" Antrag stellt? Etwa einen neuen Spielplatz fordert? Ablehnen, nur weil er "von der falschen Partei" kommt? Dadurch schaffen sie es wieder, sich als Martyrer darzustellen. Und: Parteien wollen über solche Anträge ihr "soziales Profil" stärken, sich als Kümmerer darstellen, so neue Unterstützer für ihre extremistische Politik gewinnen.

Der Trick: Formulieren Sie im Vorfeld mit ALLEN anderen demokratischen Parteien und Fraktionen einen Änderungsantrag. Dieser muss "weitergehend" sein, das bedeutet: mehr fordern, als im Original-Antrag steht. Beim Beispiel des Spielplatzes kann das ein zusätzliches Spielgerät sein. Denn "weitergehende" Anträge sind laut Geschäftsordnung (hier liegt ohnehin der wichtigste Schlüssel!!! gleich mehr dazu) zuerst abzustimmen. Bekommt dieser weitergehende Änderungsantrag eine Mehrheit, braucht über den "Original-Antrag" gar nicht mehr abgestimmt zu werden. In der Kommunikation kann dann auch die Presse über einen Antrag aller demokratischer Parteien berichten. 

Die Geschäftsordnung stellt bekanntlich die Grundlage auch der Redeordnung dar. So ist es möglich, in der Geschäftsordnung festzuhalten, dass ein Antrag OHNE DISKUSSION direkt abgestimmt werden kann, wenn ein entsprechender Antrag von einer Fraktion gestellt wird. Das ermöglicht es etwa, einen Antrag abzulehnen, ohne sich einer Diskussion zu stellen und somit NPD und Co eine Plattform für mögliche Hetze zu geben. Das macht Sinn, wenn es sich um entsprechend hetzerische Anträge handelt (etwa eine Resolution zur Ablehnung der Aufnahme von Asylbewerbern und ähnliches). Alternativen sind, zu regeln, dass eine Fraktion das "Ende der Diskussion" zur Abstimmung stellt oder - ein etwas weniger scharfes Schwert - das Ende der Rednerliste. 

In der Geschäftsordnung ist auch geregelt, welcher Fraktion (bei welcher Größe) Sitze in Ausschüssen zustehen oder etwa der Vorsitz in einem Ausschuss. Einige Bundesländer lassen in den Kommunalverfassungen die Möglichkeit zu, Zählgemeinschaften zu bilden (etwa Mecklenburg-Vorpommern). Zum Zwecke der Ausschussbesetzung können Fraktionen sich hier zusammentun, werden dann als "eine Einheit" gewertet bei der Besetzung der Ausschüsse. Durch geschicktes zusammenwürfeln kann die Besetzung etwa von Ausschussvorsitzenden so beeinflusst werden (wenn etwa die vier stärksten Fraktionen/Zählgemeinschaften einen Vorsitz bekommen und durch Zusammenstellen von kleinen und großen Fraktionen somit die NDP oder andere extremistische Parteien nur noch fünftstärkste Fraktion ist).

Grundsätzlich sollte Personalvorschlägen entsprechender extremistischer Parteien nicht gefolgt werden. Genau das war ja das Problem in dem hessischen Ortsbeirat. Ein Grundkonsens aller anderen Parteien, bei Wahlen keine entsprechenden Personen zu wählen, sollte in Gesprächen der demokratischen Parteien miteinander vereinbart werden. Spätestens nach dem Einzug einer extremistischen Gruppierung sollten sich daher alle demokratischen Parteien zusammensetzen und gemeinsame Vereinbarungen über solche Dinge treffen. Dazu gehört auch das mögliche Antasten der Geschäftsordnung. 

Umgang bei Debatten und Diskussionen 

Trotz aller Distanz im Umgang mit Anti-Demokraten: Sie sind demokratisch gewählt und somit müssen die Demokraten auch mit ihnen demokratisch umgehen, sprich: Ihnen alle Rechte des Rechtsstaats auch einräumen. Es kann immer nur darum gehen, die Möglichkeiten des Rechtsstaats auch auszunutzen, nicht aber darum, der Bevölkerung das Gefühl zu geben, man gehe hier mit undemokratischen Mitteln gegen Anti-Demokraten vor. Daher gilt: Natürlich können sich auch NPD und Co jederzeit an Debatten zu allen Themen im Gemeindeparlament beteiligen. Zum Bebauungsplan ebenso wie zum geplanten Stadtfest. 

Was Sie aber brauchen ist ein Rezept, wie Sie mit Wortbeiträgen umgehen. Bewährt hat sich in vielen Kommunalparlamenten, dass auf Einlassungen von Anti-Demokraten nur eine einzige Person für das demokratische Spektrum spricht und auf die Argumente eingeht. Wählen Sie in ihrem Gemeindeparlament eins bis zwei Spezialisten aus, die sich mit den Argumenten der Anti-Demokraten beschäftigen. Auf Anträge reagiert dann im Zweifel nur eine einzige Person und spricht im Namen aller demokratischer Fraktionen. Damit ignorieren Sie die Argumente nicht, grenzen bedingt aus, weil Sie nicht über jeden "Stock, den man ihnen hinhält" springen, entlarven aber gleichzeitig inhaltlich die Interessen dieser Gruppierungen. 

Auch dafür gilt: Sie müssen sich abstimmen. Sobald die Tagesordnung vorliegt sollte klar sein, ob in der Sitzung "schwierige Themen" von Populisten genutzt werden können. Mit dem Wissen können Sie sich vorbereiten und eine Strategie entwickeln. Ganz wichtiger Tipp zum Schluss: Hoffen Sie niemals darauf, dass sich "das Problem" von alleine erledigt. In Gemeindeparlamente, in denen NPD und Co einmal saßen, hat sich in nur wenigen Fällen das Problem von selbst gelöst. Meist sind sie gekommen, um zu bleiben. Aber sorgen Sie dafür, dass sie "nicht noch größer werden". 

Warum finden sich immer weniger Ehrenamtliche? 

Die Wahl des NPD-Ortsvorstehers war am 10. September auch Thema einer einstündigen Sendung im Hessischen Rundfunk. Neben der Frage, wie es zu der Wahl kommen konnte, fragte Moderatorin Karen Fuhrmann in der Sendung "HR 2 - der Tag" auch nach, warum sich immer weniger Ehrenamtliche finden, die bereit sind, in der Kommunalpolitik aktiv zu sein. 

Gesprächspartner war KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt. Er beklagte neben dem "Image" von Politikern vor allem die geringe Wertschätzung und machte auch die  Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung und die zahlreichen Gemeindegebietsreformen der vergangen Jahre dafür verantwortlich, dass Kommunalpolitiker immer schwerer zu finden sind. Gleichzeitig hob er aber auch hervor, dass Kommunalpolitiker die "Helden der Demokratie" sind und bleiben. 

HIER können Sie das Interview noch einmal anhören: