Digitalisierung ländlicher Raum
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Fit, fitter, ländlicher Raum - mit Digitalisierung?!

Der demografische Wandel hinterlässt Spuren im Dorf. Doch zwei ländliche Regionen wollen dieser Veränderung nicht tatenlos zusehen und sich mithilfe der Digitalisierung zukunftsfit machen

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Dafür haben sich die Landkreise Höxter und Lippe als Kooperationspartner und Smarte Land Region zusammengeschlossen. Drei Jahre lang entwickeln und erproben sie mit 16 Modellorten smarte digitale Anwendungen und stärken die digitale Kompetenz der Bürger. Sie tun das, was im städtischen Bereich längst normal ist. Nämlich mit digitalen Lösungen auf den demografischen Wandel reagieren: „ Großstädte sind die Testlabore für alles Digitale, für alles Neue. Für den ländlichen Raum kommen diese Ideen aber häufig nicht in Frage, das heißt, sie müssen angepasst oder neu gedacht werden", erklärt Heidrun Wuttke, die im Kreis Höxter für das Projekt „ Smart Country Side" als Projektreferentin arbeitet. „Durch die Digitalisierung ergeben sich für unsere Dörfer zahlreiche Chancen, den Wandel aktiv zu gestalten und sich fit für die Zukunft zu machen. Mit unserem Projekt wollen wir die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, das heißt die Daseins- und Gesundheitsvorsorge, die Teilhabe und Mobilität sowie das Ehrenamt und Gemeinwesen in ländlichen Regionen fördern. Der Clou: Bei uns ist der Bürger Ideengeber, Planer und Kümmerer. Er gibt Takt und Inhalt vor“ berichtet die Projektreferentin.

Und wie genau wollen die beiden Landkreise das Leben auf dem Dorf besser machen?

„Uns war von Anfang klar, dass unser Vorhaben nur gelingen kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Deshalb haben wir die Bürger zu Beginn zu Dorfkonferenzen eingeladen. Hier konnten sie ihre Ideen und Vorschläge für intelligente digitale Anwendungen vorstellen, über die die Dorfgemeinschaft in Arbeitsgruppen diskutiert und entschieden hat. Wir haben konkret nachgefragt: Welche Projekte traut ihr euch zu? Und wer von euch hilft bei der Umsetzung?", sagt Heidrun Wuttke und ihre Stimme wird schneller, energievoller.

Am Ende wurde der Sack festgezogen und beschlossen, dass 11 Projekte im Rahmen des Projekt SCS umgesetzt werden. Dazu gehören zum Beispiel:

  • die Digitalisierung der Kirche: Altbacken, traditionell und wenig innovativ - so wirkt das Image der Institution häufig. Es ist heute schwierig, Nachwuchs für kirchliches Leben zu finden. Das Modellort Ovenhausen hatte die Idee, mit neuen, digitalen Angeboten auf junge Menschen zuzugehen, zum Beispiel über Social Media Gottesdienste, oder Seelsorge über Skype. Denn immer weniger Menschen sind über die klassischen Wege zu erreichen. „Wenn wir den Kontakt zu ihnen nicht verlieren wollen, müssen wir neue Formate anbieten", betont Heidrun Wuttke, die ebenfalls Caritas Mitglied ist.
  • Seit Jahresbeginn können Bürger über eine digitale Dorf-Plattform aktuelle Informationen aus ihrer Heimat und Kommune abrufen und Neuigkeiten mit den Nachbarn teilen. Sogenannte Dorf-Digital-Experten besuchen alle zwei Wochen VHS-Schulungen, um ihre digitale Kompetenz zu stärken und die Dorf-Plattform mit Inhalten zu speisen. Sie haben sich bereit erklärt, ihr Wissen an interessierte Mitbürger weiterzugeben. Dafür wurde in den Dorfgemeinschaftshäusern ein digitales Klassenzimmer eingerichtet. Hier können sich Nachbarn und Vereine über die DGSVO, Social Media oder über den rechtssicheren Einkauf im Internet informieren. Aber auch Filmabende und E-Sport-Turniere veranstalten. Durch die Weitergabe von Wissen soll im Dorf ein neues Miteinander von Alt und Jung entstehen.

Digitalisierung ländlicher Raum

  • Zudem gibt es einen digitalen Marktplatz, auf dem Angebot und Nachfrage miteinander in Einklang gebracht werden, wie zum Beispiel: „Suche Mitfahrgelegenheit oder biete Hilfe beim Einkaufen". Besonders stolz sind die Dörfer auf den DorfFunk, eine eigene App, mit integriertem Live-Chat. Die Bürger können mit ihren Nachbarn oder Bekannten aus anderen Dörfern öffentlich oder privat plauschen. Doch wieso braucht man dafür eine eigene App? „Klar gibt es bereits Plattformen wie Facebook. Aber hier ist man mit seinen Freunden verbunden und nicht mit den Nachbarn im Dorf. Und Wunsch der Dörfer war es, dass die Daten in Deutschland sicher gehostet werden. Alle diese Wünsche erfüllt die digitale Dorf-Plattform des Fraunhofer Instituts IESE. Mit Nutzung des DorfFunks sind die Dörfer in den Kreisen Höxter und Lippe Teil eines stetig wachsenden Netzwerkes von derzeit über 100 Dörfern bundesweit. Schon jetzt plauschen über 1.000 Bürger miteinander", erklärt Wuttke.
  • Die Digitalisierung soll auch Senioren zugutekommen. Im Modellort Wehrden wird derzeit ein neuartiger Dorf-Hilferuf erprobt. Hat ein Bürger Angst bei Gewitter, sucht seine Pillendose oder fällt eine Sicherung aus, so kann er über die App ein Signal auslösen, das vorab registrierte Helfer sofort erreicht. Bevor diese Unterstützung leisten, informieren sie sich über die App, welches Umfeld sie beim Hilfesuchenden erwartet. Also beispielsweise ob der Senior ein Haustier hat, ob er krank ist oder ob Angehörige zu informieren sind. Mit diesem Service wird die Nachbarschaftshilfe auch in größeren Dörfern schnell organisiert. Das Ziel dahinter: Dass ältere Menschen länger im eigenen Haus leben können.
  • „ Ein Angebot, das unser Bürger gerne wahrnehmen, sind kostenfreie Veranstaltungen, Schnupperkurse und Exkursionen zu Digitalisierungsthemen wie z.B. Telemedizin, E-Mobilität, E-Learning, Digitalisierung der Landwirtschaft und Arbeitswelt sowie Smart Home. Pro Veranstaltung zählen wir 60 bis 80 Teilnehmer, was für den ländlichen Raum sehr viel ist. Die gute Resonanz zeigt uns, dass sich die Menschen auf dem Land weiterentwickeln wollen und offen für die Digitalisierung sind", berichtet Wuttke.
Digitalisierung vom Dorf
Besonders gut kommen die Themen-Veranstaltungen an
  • Über eine Immobilienplattform können sich neue Bauherren bei alteingesessenen Bürgern Rat und Hilfe holen, sich über Fördermittel oder energieeffizientes Bauen oder die besten Handwerker aus der Region informieren. Zudem können sie über die Plattform in Kontakt mit Hausbesitzern kommen und so Zugang zur Dorfgemeinschaft zu finden.
  • „Wir sehen in der Digitalisierung des ländlichen Raumes eine große Chance für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Dörfer. Aber wir schaffen keine virtuellen Welten oder ersetzen das Gespräch am Gartenzaun durch eine App. Ganz im Gegenteil: Durch digitale Kommunikation und Vernetzung können jetzt auch Flüchtlinge, Neuzugezogene, Berufspendler, Studierende, die weggezogen sind und Ältere, die nicht mehr so mobil sind, aktiv am Dorfleben teilnehmen. So wächst die Gemeinschaft und erneuert sich durch Vielfalt und neue Impulse", erklärt Projektleiterin Wuttke.

Wie gut wird die Digitalisierung im ländlichen Raum überhaupt angenommen?

Das Projekt SCS ist ein aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (Efre) gefördertes Kooperationsprojekt der beiden Kreise Lippe und Höxter und eines von 10 Digitalisierungsprojekten in Ostwestfalen-Lippe, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die Digitalisierung im ländlichen Raum exemplarisch zu erproben. Dem Projekt SCS stehen für 3 Jahre insgesamt  820.000 Euro zur Verfügung. Die Projektprozesse und Ergebnisse werden wissenschaftlich evaluiert. Zudem befindet sich ein Übertragungsleitfaden für andere Dörfer in Vorbereitung. Wuttke berichtet aber auch, dass Überlegungen angestellt werden, wie die Erfolge des bundesweiten Leuchtturmprojektes verbreitert und verstetigt werden können.

„Viele Dörfer möchten nicht für sich alleine kämpfen, sondern im Verbund digitale Anwendungen nutzen, die die Vernetzung mehrerer Landkreise stärken", erklärt die Referentin. Hier sind die Landkreise Höxter und Lippe ein gutes Vorbild. Hinzu kommt, dass die Bürger so stark ins Projekt eingebunden sind, dass bei ihnen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit entsteht – und genau das ist ausschlaggebend für das ehrenamtliche Engagement vor Ort.

Wenn Bürger sehen, was sie alles gemeinsam schaffen, packen sie gern mit an und gestalten ihre Heimat, ist sich Wuttke sicher.

Auch von Njema Drammeh