Bürgermeister von Kamp-Lintfort Waffenschein
© Benjamin Lassiwe

Bürgermeisterporträt

Zwischen Steinkohle und Gartenschau - Bürgermeister des Monats

Christoph Landscheidt, der Bürgermeister von Kamp-Lintfort beantragte einen Waffenschein - und erhielt dadurch viel mediale Aufmerksamkeit. Wir haben mit ihm um über Morddrohungen, den Waffenschein sowie seine tägliche Arbeit gesprochen.

Mitten in Kamp-Lintfort steht noch der alte Förderturm des Steinkohlebergwerks. Bis 2012 wurde hier das schwarze Gold des Ruhrgebiets abgebaut. Doch heute ist die Zeit der Kohle in NRW Geschichte. Die 38.000 Einwohner zählende Kommune befindet sich mitten im Strukturwandel – und der Förderturm wirbt jetzt für die Landesgartenschau, die vom April an in Kamp-Lintfort stattfinden soll.

„Uns war früh klar, dass wir frühzeitig Änderungen vollziehen und alternative Gewerbe fördern müssen“, sagt Christoph Landscheidt. Der SPD-Politiker ist seit 1999 ununterbrochen im Amt, als erster direkt gewählter hauptamtlicher Bürgermeister von Kamp-Lintfort. Wo einst bis zu 10.000 Menschen im Bergbau tätig waren, lernen nun Studenten. 2009 siedelte sich ein Campus der Hochschule Rhein-Waal in Kamp-Lintfort an. 2.100 junge Leute sind dort eingeschrieben. „Der Standort platzt aus allen Nähten“, sagt Landscheidt. Eine Immobilie des alten Bergwerks werde bereits für die Hochschule genutzt. Und etwa 15 Prozent der Studierenden würden in Kamp-Lintfort wohnen. „Das Stadtbild ändert sich“, sagt Landscheidt. Weil fast alle Studiengänge in englischer Sprache unterrichtet würden, höre man mehr Englisch auf den Straßen. Und es würden zum Beispiel Läden und Gastronomiebetriebe entstehen, die auf jüngere Kundschaft aus seien, „die junge Leute frequentieren“. Was der Strukturwandel für die Arbeit des Bürgermeisters bedeutet? „Man muss die Menschen mitnehmen, und sagen, dass hier nicht das Licht ausgeht“, sagt Landscheidt. „Es geht darum, zu transportieren, dass es auch Zukunftschancen gibt.“ So sei es zunehmend gelungen, dass sich die Studiengänge der Fachhochschule an den Bedürfnissen der regionalen Wirtschaft ausrichten. „Das Bild von dem Gold, das man nicht mehr aus der Erde holt, sondern in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen fördert, hat die Denke in der Stadt verändert.“

Bürgermeister von Kamp-Lintfort und der Waffenschein



Im Januar freilich ging es nicht um den Strukturwandel, als Kamp-Lintfort und sein Bürgermeister in den Schlagzeilen waren. „Vor der Europawahl 2019 hatten wir uns entschieden, aus juristischer Sicht eindeutig antisemitische und volksverhetzende Wahlplakate einer rechtsextremen Splitterpartei abnehmen zu lassen“, sagt Landscheidt. Seitdem erhielt der Bürgermeister massive Drohungen. Weil er sich schützen wollte, beantragte er einen Waffenschein. Als der Antrag abgelehnt wurde, klagte er. Denn im Waffenrecht gibt es den Passus, dass „gefährdete staatliche Hoheitsträger“ eine Waffe tragen dürfen. Und weil Landscheidt von Hause aus Jurist ist, an einer Hochschule internationales Wirtschaftsrecht unterrichtet und vor seiner Tätigkeit als Bürgermeister Richter war, wollte er juristisch klären lassen, ob das auch auf Bürgermeister zutrifft. „Ich habe sehr bewusst ein nicht-öffentliches Verfahren beantragt“, sagte Landscheidt. Doch das Verwaltungsgericht Düsseldorf berücksichtigte diesen Antrag nicht. Es setzte das Verfahren über den Waffenschein auf die Terminrolle. „Bürgermeister L. gegen das Land NRW, Waffenrecht“, stand dort zu lesen.
 

Es kam, was kommen musste

Die Medienmaschinerie lief an. Als seine Mitarbeiter als Zeugen geladen werden sollten, zog Landscheidt die Klage auf Erteilung eines Waffenscheins zurück. Ein Zeichen hatte er damit ohnehin gesetzt. Im Land war man auf die Situation aufmerksam geworden – und in Kamp-Lintfort gab es eine große Solidaritätskundgebung für den Bürgermeister. „Die Wahrnehmung hier vor Ort war eine völlig andere, als die Skandalisierung außerhalb“, sagt Landscheidt. In den Medien sei es nur noch um die Frage gegangen, ob er demnächst mit einer geladenen Pistole durch die Stadt laufen würde. „Aber bei der Demonstration ging es um den Grund dafür, um die Bedrohungen“, sagt Landscheidt. Und das habe in der Stadt durchaus nachgewirkt. Ein Patentrezept für den Umgang mit rechten Strömungen hat aber auch der Bürgermeister von Kamp-Lintfort nicht. „Als Politiker müssen wir stärker deutlich machen, was wir hier tun“, sagte Landscheidt. „Viel hat ja auch mit der Unzufriedenheit der Menschen zu tun.“

"Es macht immer noch Spass"

Kamp-Lintfort: Bürgermeister beantragt Waffenschein

Weswegen es dem Bürgermeister auch um gute Nachrichten geht. Derzeit etwa lässt er keine Gelegenheit aus, um für die geplante Gartenschau in seiner Stadt zu werben. Schließlich profitiere Kamp-Lintfort ganz massiv von der diesjährigen LAGA: Die Zechenbahn werde reaktiviert, zum ersten Mal werden regelmäßig Personenzüge in der Stadt halten, künftig sogar als Regionalexpress. Und auch sonst sei die Gartenschau ein wichtiges Instrument der Städtebauförderung. „Sie sorgt für eine Hebelwirkung, durch private Investoren ebenso wie durch die Möglichkeit, auf Mittel zurückgreifen zu können, die wir sonst nicht hätten.“ Das mache das Engagement der Stadt lohnenswert, selbst wenn am Ende weniger als die erwarteten 500.000 Besucher kommen sollten. Denn Kamp-Lintfort befindet sich in der Haushaltssicherung, und ist auf Förderprogramme angewiesen.

„Die finanzielle Unabhängigkeit, die wir brauchen, um freie Entscheidungen zu treffen, haben wir natürlich nicht“, sagt Landscheidt. „Unsere Etats sind durch Pflichtaufgaben derart überfrachtet, dass es in Wahrheit keine freien Spitzen mehr gibt.“ Was den Bürgermeister, der auch stellvertretendes Mitglied im Präsidium des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ist, am Ende deutlich werden lässt: „Es kann nicht nur vom Zufall abhängen - etwa der Fähigkeit und Bereitschaft von Unternehmen zur Zahlung von Gewerbesteuer - wie es einer Kommune geht.“ Die Freude am Amt allerdings lässt er sich von der finanziellen Situation nicht nehmen. „Es macht immer noch Spass“, sagt Landscheidt. Und einen guten Bürgermeister zeichne nicht nur aus, dass er kritikfähig und fleißig sein müsse. „Es braucht nun einmal auch einen gewissen Mut, um Entscheidungen zu treffen und hinterher auch umzusetzen.“