Karstadt-Schließungen-Konzepte-Innenstaedte
Diese Karstadt-Filiale in Nürnberg bleibt wahrscheinlich doch erhalten. 300 Arbeitsplätze könnten dadurch gerettet werden.
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Interview mit Handelsexperten

Das bedeutet der Karstadt-Rückzug für die Innenstädte

Neben zahlreichen Karstadt-Kaufhof-Standorten sollen bundesweit auch noch 20 der 30 Karstadt-Sports-Niederlassungen aufgelöst werden. Wie geht es für die Innenstädte nach den angekündigten Karstadt-Filial-Schließungen weiter? Was können Kommunen jetzt tun? Michael Reink vom Handelsverband gibt im Interview mit KOMMUNAL Tipps - und stellt in der Corona-Krise eine bittere Prognose für den Handel.

KOMMUNAL: Herr Reink, die Kaufhauskette Karstadt Kaufhof schließt bundesweit Filialen. Was bedeutet das für die Innenstädte?

Michael Reink: Viele Innenstädte werden damit arg in die Bredouille kommen. Das gilt vor allem dann, wenn außer Kaufhof und Karstadt keine weiteren Magnetbetriebe vorhanden sind.

KOMMUNAL: Wie können die Kommunen im Fall Karstadt jetzt vorgehen?

Sie müssen schnell  Kontakt aufnehmen, um bilateral schnell Lösungen zu suchen. Einige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben diesen Schritt schon vollzogen. Es ist jedoch eine Tatsache, dass die Filialschließungen in einer für den Handel insgesamt schwierigen Zeit angekündigt worden war. Es wird sicherlich nicht leicht, Lösungen zu finden.

KOMMUNAL: Viele erinnert die Situation an die Auswirkungen der Hertie-Pleite vor mehr als zehn Jahren.

Ja, die Kommunen haben bereits solche Erfahrungen gemacht, als Hertie pleite ging. Zuweilen war es sehr schwer, Nachnutzer für die Immobilie zu finden  -  und das ist heute nicht anders. Schwierig wird es, wenn der Eigentümer nicht gleich zu ermitteln ist. Oft handelt es sich um Anteilsnehmer an Immobilienfonds, die ständig wechseln. Kommunen finden dann oft sehr lange keinen Gesprächspartner, der sich für das Objekt verantwortlich fühlt.

Michael Reink Handelsverband
Michael Reink: "Wir gehen davon aus, dass ein Drittel der Geschäfte schließen muss."

KOMMUNAL: Wie wichtig ist ein Kaufhaus überhaupt noch für die Innenstadt?

Eine Innenstadt ohne Kaufhaus kann funktionieren. Voraussetzung dafür ist, dass dort viele unterschiedliche Warengruppen zu finden sind. Das große Aber: Ein Warenhaus erfüllt in jedem Fall die Funktion eines Ankers. Es kann einen starken Ausstrahlungseffekt haben. Die Leute kommen oft nur deshalb in die Innenstadt, weil sie sagen: Dort finde ich garantiert das Produkt, das ich suche. Häufig kommt es vor, dass sie diese Ware dann in einem anderen Geschäft erwerben. Wichtig ist für sie aber das Gefühl: In der Innenstadt finde ich alles, was ich brauche. Dieses Gefühl wird leiden, wenn das Warenhaus nicht mehr da ist.

KOMMUNAL:  Der Rückzug der Karstadt-Kette hat auch Auswirkungen auf die Shopping-Center in den Kommunen.

Das stimmt. Der Auszug bedeutet auch für die Shoppincenter ein Problem. Dann fehlt dort ein großer Anziehungspunkt und natürlich auch ein großer Mieter.

KOMMUNAL: Die Corona-Krise hat nicht nur Karstadt-Kaufhof in eine schwere Krise gestürzt. Worauf müssen wir uns einstellen?

Wir gehen davon aus, dass durch Corona bundesweit ein Drittel der Geschäfte schließen müssen. In der einen Stadt werden mehr Unternehmen aufgeben müssen, in der anderen weniger. Das Problem ist: Durch den Lockdown haben viele Händler über Wochen kein Geld verdienen können, bei weiterlaufenden Kosten, und die Kunden haben sich noch mehr daran gewöhnt, online einzukaufen. Wir hatten schon vor Corona  in einzelnen Branchen Umsatzverschiebungen bis zu mehr als 35 Prozent in den Online-Handel. Die Corona-Krise hat die Situation noch weiter verschärft. Wir werden weitere Leerstände in den Straßen sehen. Das geht jetzt Schlag auf Schlag.

KOMMUNAL: Womit können Kommunen dagegen steuern?

Wirtschaft, das City-Management und Stadtmarketing-Organisationen müssen sich unbedingt zusammensetzen. Manchmal wird man zu dem Schluss kommen, dass eine Nachnutzung durch den Handel wenig Sinn macht. Dann steht möglicherweise die Rückkehr der Produktion an. Das Stichwort lautet: Smart produzieren mit weniger Geräuschemission.

KOMMUNAL: Wieviel ist von der Corona-Krise noch zu spüren?

In manchen Städten werden derzeit weiterhin rund 30 Prozent weniger potenzielle Kunden gezählt. Corona hat alle bis auf den Lebensmittelhandel und Drogeriemärkte stark getroffen. Der Textilhandel als sogenanntes Leitsortiment in den deutschen Innenstädten muss durch den Lockdown 75 Prozent an Umsatzeinbußen hinnehmen, die Warenhäuser über 40 Prozent. Die Innenstädte sind immer noch sehr unterdurchschnittlich frequentiert. Wir sind noch weit vom Vorjahresniveau entfernt.

KOMMUNAL: Was noch können die Kommunen jetzt tun?

Die Kommunen müssen sich jetzt sehr schnell überlegen, wie sie mit den Innenstädten und insbesondere mit dem Handel weitermachen. Die erste Aufgabe muss sein, die bestehenden Einzelhandelskonzepte zu aktualisieren. Viele stammen noch aus dem Jahr 2012 und früher. So was geht überhaupt nicht. Als Planungsgrundlage müssen Umsatzverschiebungen im Online-Handel mit abgebildet werden. Die Konzepte gehen noch von Kaufkraft-Annahmen aus, die längst überholt sind. Dann muss geschaut werden: Welche zentralen Fußgängerzonen behalte ich? Muss ich sie möglicherweise verkleinern? Solche Entscheidungen liegen allein in den Händen der Kommunen.

KOMMUNAL: Und wie können sie mit dem Leerstand umgehen, der dramatisch zunehmen wird?

Da sind viele Kommunen auch nicht besonders aufgestellt. Wo es noch fehlt, muss sofort ein digitales Leerstandskataster  aufgebaut werden. Nur so kann der Leerstand festgestellt werden, und nur so kann ein Nach-Nutzungskonzept sinnvoll erarbeitet werden. Leerstand ist städtebaulich das Schlimmste, was passieren kann. An dieses Problem müssen Städte und Gemeinden immer sofort ran.

KOMMUNAL: Während des Lockdowns haben sich viele lokale Händler zu einer Online-Plattform zusammengeschlossen. Ist das ein Modell für die Zukunft, das von den Kommunen unterstützt werden sollte?

Wenn ich als Händler über eine Plattform was verkaufe, garantiert mir dies nicht automatisch, dass auch die Gewinne steigen. Seine Waren auch online anzubieten, ist ein Service, den der Kunde zusätzlich erwartet. Das Konzept trägt aber in wenigen Fällen wirklich. Entscheidend ist, dass es uns gelingt, die Menschen wieder in die Innenstädte zu locken. Früher hatte der stationäre Einzelhandel eine Alleinstellung, da musste ich in ein Geschäft gehen, wenn ich ein Produkt kaufen wollte. Heute müssen wir sie zu Erlebnisorten machen. Städtebaulich attraktiv müssen sie sein, eine gute Mischung aus Einzelhandel und Gastronomie bieten. Und Kunst und Kultur. Grüne Oasen könnten Entspannung während oder vor und nach dem Einkaufsbummel verschaffen. Und wichtig ist auch der Branchenmix.

KOMMUNAL: Dieser Mix stimmt bekanntlich meistens nicht.

Die Städte tun sich sehr schwer mit einem guten Branchenmix, da sie kaum Einflussmöglichkeiten darauf haben. In Wien hat die Kommune sehr viel Eigentum, da kann sie auch selbst bestimmen, welche Mieter sie haben will. Wichtig ist daher auch eine Flächenvorratspolitik. Es wäre begrüßenswert, wenn mehr Kommunen das Vorkaufsrecht in festgelegten Sanierungsgebieten ausüben. Denn die Rechnung ist für private Immobilienbesitzer ganz einfach: Blumenhändler verdienen wenig und bezahlen daher wenig Miete, Apotheken hingegen können mehr für die Miete ausgeben, das gilt auch für florierende Bäcker und Inhaber von Handyläden. Hätten die Kommunen mehr kommunales Eigentum, könnten sie die Branchen besser bestimmen.

KOMMUNAL: Rechnen sie damit, dass in Not geratenen Händlern bei der Miete entgegengekommen wird?

Davon können nur wenige Händler ausgehen. Wir haben in Deutschland eine gespreizte Situation: In den Top-7-Standorten München, Berlin, Köln, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt am Main und Stuttgart ist mit weiter steigenden Mieten zu rechnen. In kleinen Städten gehen die Mieten teilweise sogar zurück. In den Mittel- und Oberzentren, in denen Karstadt Kaufhof bislang Filialen hatte, sind die Mieten immer noch zu hoch.

KOMMUNAL: Wie konnte es zu der Entwicklung kommen?

Immobilien sind oft Spekulationsobjekte. Investoren erwerben sie und verkaufen sie nach einem halben Jahr für einen noch höheren Preis weiter. Die Preise sind an bestimmten Standorten längst von den Mieteinnahmen abgekoppelt, so wie am Kudamm in Berlin oder auf der Kö in Düsseldorf. Einigen finanzkräftigen Handelsketten war es in der Vergangenheit wichtig, dort mit einer Filiale vertreten zu sein, egal, wie viel Miete sie dafür zahlen. Da werden Beträge bezahlt, die mit den Umsätzen, die dort generiert werden, nichts zu tun haben. Ein Quadratmeter kostet schon mal über 300 Euro - und das bei mehr als 100 Quadratmetern.

KOMMUNAL: Wie wichtig sind Parkplätze in den Innenstädten?

Gerade im ländlichen Raum, wo die Menschen immer noch mehr mit dem Auto unterwegs sind, sind genügend Parkplätze im Zentrum ein ganz wichtiger Aspekt. Und natürlich müssen die Innenstädte auch gut mit dem ÖPNV erreichbar sein.

KOMMUNAL: Wo bekommen die Kommunen in der sich zuspitzenden Situation Rat?

Der Handelsverband Deutschland hat mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund schon 2016 die Allianz für Innenstädte gegründet. Dabei diskutieren wir regelmäßig über die Herausforderungen der Digitalisierung und der Nahversorgung mit allen relevanten Akteuren. Das werden wir fortführen.

Michael Reink ist Bereichsleiter für Standort und Verkehrspolitik beim Handelsverband Deutschland.