Arno Nunn, Bürgermeister von Oberammergau

Bürgermeisterportrait

Hat ein Bürgermeister überhaupt Urlaub?

37 Millionen Euro Gewinn vor Steuern mit einer einzigen Veranstaltung – in einem 5500 Seelen Dorf. Der Bürgermeister von Oberammergau hat nicht nur zu Corona-Zeiten einen Ausnahmejob. 

Arno Nunn trägt keinen Bart. Bis vor ein paar Wochen war das in Oberammergau, einem kleinen Dorf in den bayerischen Bergen, durchaus etwas Besonderes: Denn die Gemeinde bereitete sich auf die alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspiele vor. Seit einem im 17. Jahrhundert, in Pestzeiten, abgelegten Gelübde führen die Einwohner des bayerischen Dorfes regelmäßig die Geschichte vom Leiden und Sterben Christi auf. Und ab dem Aschermittwoch des Vorjahres müssen sie sich Haare und Bärte stehen lassen. Der Bürgermeister freilich war in diesem Jahr als Helfer an der Einlasskontrolle vorgesehen, wo kein Bart gebraucht wird.  

Die Leidenschaft, dass ich auf der Bühne stehen will, verspüre ich einfach nicht.

Arno Nunn

Arno Nunn über Bürgermeister sein und Coronavirus

Passionsspiele wegen Coronavirus abgesagt

Doch mittlerweile fällt das in Oberammergau nicht mehr auf. Kurz nach dem Besuch von KOMMUNAL im Rathaus der bayerischen Gemeinde wurden die Passionsspiele für dieses Jahr wegen des Corona-Virus abgesagt, und auf 2022 verschoben. Die Kommune Oberammergau stellt das vor große Herausforderungen. „Die Passionsspiele sind für unsere Gemeinde bestimmend“, sagt Nunn. „Es prägt die Gemeinschaft, wenn drei, vier oder fünf Generationen gemeinsam proben.“ Dazu kommt der wirtschaftliche Effekt für die Gemeinde: Bei den letzten Passionsspielen 2010 kamen von Mai bis Oktober insgesamt 500.000 Besucher nach Oberammergau. Vor Steuern hat die Gemeinde einen Gewinn von 37 Millionen Euro erzielt. „Nur damit können wir die Infrastruktur, die wir als 5500-Seelen-Ort mit Schwimmbad, Loipen und einem Kurmittelhaus haben, am Leben erhalten“, sagt Nunn. Die ausfallende Passion werde deswegen „gewaltige Auswirkungen auf die Gastronomie, die Wirtschaft und den Einzelhandel bei uns haben.“ Die Betriebe hätten sich alle auf ein besonderes Ertragsjahr ausgerichtet. Investitionen und Vorleistungen seien schon getätigt worden – nun aber fehlten die Einnahmen. „Das wird sehr kritisch werden.“ 

Ausbau des Tourismus wird vorangetrieben

Als Arno Nunn 2008 gewählt wurde, sei eine Bürgschaft nötig gewesen, um die Passion überhaupt vorfinanzieren zu können. „Wir sind dann in die Premiere mit 29 Millionen Euro Schulden gestartet“, erinnert sich der Bürgermeister. 2019 dagegen konnte aus den Rücklagen des Eigenbetrieb Kultur die Passion vorfinanziert werden. Und verglichen mit der letzten Passion 2010 steht die Gemeinde heute mit 20 Millionen Euro weniger Schulden da. „Unser Hauptthema ist es jetzt, den Ort für unsere Kernkompetenz, den Tourismus, attraktiv zu halten“, sagt Nunn. Vor allem eine Qualitätsverbesserung strebt der Bürgermeister an. Im Ort hat man mittlerweile ein Elektroauto-Carsharing installiert: „Man kann den ganzen Urlaub hier verbringen, ohne dass man in sein Auto steigen muss“, wirbt der Bürgermeister. Das Schwimmbad sollte stärker auf Wellness, Sauna und Aufenthaltsqualität ausgerichtet werden. „Und wir brauchen dringend Hotelbetten und Häuser in einer hochpreisigen Qualität.“ 

Der Ausbau des Tourismus ist dem Bürgermeister von Oberammergau wichtig.

"Dann mach doch Gemeinde!"

Dass Arno Nunn sich einmal mit solchen Themen beschäftigen würde, hatte er selbst lange nicht gedacht. Von Hause aus ist der gebürtige Franke Polizist, arbeitete bei der bayerischen Grenzpolizei in Grainau und war am Grenzübergang oben auf der Zugspitze im Einsatz. Später war er in der Kriminalpolizei tätig, spezialisierte sich auf Wirtschaftsdelikte. Dass er in die Politik ging, hing dagegen mit seiner heutigen Gattin zusammen: Sie sollte aus dem gemeindlichen Fremdenverkehrsbüro im Rahmen eines Betriebsübergangs in eine GmbH wechseln. Das wollte sie nicht. Nunn half ihr beim Kampf dagegen. „Ich habe das damals erlebt – und irgendwann gesagt, dass das alles gar nicht geht, was die da machen, und ich das irgendwie auch noch hinbringen würde“, erinnert sich Nunn. „Da hat sie gesagt: Dann mach doch Gemeinde!“ Am Frühstückstisch wurde die Idee geboren: Bei den nächsten Kommunalwahlen trat Nunn als parteiloser Kandidat an. Zwei Freunde halfen beim Plakatieren. Bei fünf Kandidaten kam er in die Stichwahl. Sein Gegner war Florian Streibl, Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten und heute Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Landtag. Doch Nunn gewann. 2014 wurde er wiedergewählt. 

Entscheidung für das Familienleben

Wichtig war ihm immer, dass Themen in der Kommunalpolitik „von der Sache her“ entschieden werden, sagte Nunn. „Wir müssen die Entscheidungen für den Ort, für die Körperschaft Gemeinde und für die Zukunft treffen – und weniger, was man meint, was der Bürger oder Wähler jetzt haben will.“ Das könne auch zu unbequemen Entscheidungen führen. Bei den letzten bayerischen Kommunalwahlen im März trat Arno Nunn dagegen nicht mehr an. „Auch das war eine ganz persönliche Entscheidung“, sagt Nunn. Er sei 12 Jahre als Bürgermeister aktiv gewesen. Und er habe das gern gemacht. „Aber irgendwann stellt man fest, dass das Familienleben nach Terminplan stattfindet“, sagt Nunn. „Ich denke schon, dass ich das zu Anfang unterschätzt habe: Am Ende ist man als Bürgermeister eingetaktet in einen Terminkalender, man ist fremdbestimmt – weil zum Beispiel jeder Verein erwartet, dass der Bürgermeister kommt, und nicht der Stellvertreter.“ Die eigentliche Anwesenheit bei einer Veranstaltung betrage vielleicht nur eine Stunde - „aber das Wochenende ist zerschossen.“ Wenn er seinen Jahresurlaub nahm, hätten die Bürger oft gefragt: „Hat ein Bürgermeister denn überhaupt Urlaub?“ In den Gremien der Gemeinde mache man sich oft Gedanken um die Urlaubszeiten und Überstunden der Angestellten. So müsse man aber auch über die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker nachdenken, sagt Nunn. „Viele im Gemeinderat und in den Stadträten leisten Tag für Tag unglaublich viel - und ihr Privatleben leidet darunter.“ In den nächsten Wochen jedenfalls will Arno Nunn noch seinen Nachfolger gründlich einarbeiten. Und danach als Pensionär vielleicht noch ein paar Seminare für Kommunalpolitiker anbieten, oder noch eine Weile als Geschäftsführer den örtlichen Energieversorger leiten. „Aber jetzt ist erstmal Pause“, sagt Nunn. „Ganz, ganz große Pause.“