Briefwähler werden für die Parteien auch bei der NRW-Kommunalwahl immer wichtiger
Briefwähler werden für die Parteien auch bei der NRW-Kommunalwahl immer wichtiger

Wahlkampftips

Mysterium Briefwähler: Tipps für Kommunalpolitiker

Der Trend zur Briefwahl hält an. Schon bei der letzten Bundestagswahl lag ihr Anteil bei 30 Prozent. Jetzt zu Coronazeiten dürfte dieser Anteil weiter steigen. Bei den Kommunalwahlen in NRW am 13. September dürften neue Rekordwerte erreicht werden. Was das für Kandidaten zur Kommunalwahl bedeutet, Tipps für Kommunalpolitiker vom langjährigen Stadtrat, Wahlkämpfer und KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt.

Briefwähler waren über Jahrzehnte hinweg gut erforscht. Die früher relativ kleine Gruppe war traditionell etwas älter als der Durchschnitt der Bevölkerung und formal deutlich überdurchschnittlich gebildet. Im Ergebnis war die Briefwahl vor allem für CDU und SPD wichtig, denn sie schnitten bei der Briefwahl meist etwas besser ab als direkt an der Urne. Doch dieses Bild hat sich geändert. Und das nicht nur durch die Cornapandemie. Immer mehr jüngere Menschen geben an, dass sie sich vorstellen können, auch als Briefwähler an Kommunalwahlen teilzunehmen. Kurzum: Alle Personengruppen sind inzwischen bereit, als Briefwähler ihre Stimmen abzugeben. Doch was heißt das für die Strategie der Kommunalpolitiker, die sich zur Wahl stellen? Sie müssen eine Doppelstrategie fahren.

Briefwähler haben andere Prioritäten

Sicher ist aus der Wahlforschung: Briefwähler sind eher selten Wechselwähler. Sie sind sich relativ früh sicher, dass sie erstens auf jeden Fall an der anstehenden Wahl teilnehmen wollen und zweitens wissen sie deutlich früher, wen sie wählen wollen. Kommunalpolitiker müssen diese Wählergruppe also nicht nur früher ansprechen, sondern hier vor allem ihr "Kernwählerschaft" ansprechen. Denn der Trend auch bei den anstehenden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen zeigt: Nicht selten bestellen die Briefwähler ihre Unterlagen schon drei oder mehr Wochen vor dem eigentlichen Wahltermin. Das bedeutet, dass diese Wähler schon Wochen vor der Kommunalwahl angesprochen werden müssen und nicht erst in der heißen Phase des Wahlkampfes. 

Und noch etwas ist anders: Der Briefwähler trifft seine Entscheidung nicht in sehr kurzer Zeit in einer starren Situation in der Wahlkabine. Er hat alle Zeit der Welt, die Unterlagen in Ruhe zu studieren und dann sein Kreuz zu machen, möglicherweise erst nach erneuter Sichtung etwa der Homepage der favorisierten Parteien. Unbekannt ist zudem, in welcher Situation daheim das Kreuz gemacht wird, ob gemeinsam mit dem Partner, am Küchentisch oder in Ruhe auf dem Sofa beim fernsehen. 

Und die Forscher wissen noch mehr über den "typischen" Briefwähler: Der Anteil Männer und Frauen ist absolut ausgeglichen, formal sind Briefwähler auch heute noch höher gebildet, in Städten gibt es mehr Briefwähler als auf dem Land, Briefwähler werden im Durchschnitt immer jünger. Denn eine flexible Arbeitswelt macht es auch für jüngere Menschen häufiger nötig, vor dem Wahltag sein Kreuz zu machen, zudem entspricht diese flexiblere Möglichkeit auch dem allgemeinen Zeitgeist jüngerer Menschen. 

Was heißt Doppelstrategie für Kommunalwahlkämpfer?

Die Doppelstrategie die daraus resultiert ist eigentlich der Spagat, einerseits die Briefwähler schon Wochen vor der Wahl zu erreichen und gleichzeitig den Wahlkampf so zu gestalten, dass es gelingt, Wechselwähler zu erreichen, die erst am Tag der Wahl an die Urne gehen. Diese zweite Gruppe unterscheidet sich von den Briefwählern insofern, als dass sie die Chance haben, auch die Ereignisse in den Tagen vor der Wahl noch zu erfassen und in ihre Entscheidung mit einfließen zu lassen. Sie haben also andere Voraussetzungen und sind eher bereit, sich auch noch im Last-Minute Wahlkampf überzeugen zu lassen. Vor allem überzeugen zu lassen, überhaupt zur Wahl zu gehen. Denn unter den Urnenwählern ist der Anteil derjenigen, die sich im Vorfeld nicht sicher sind, ob sie zur Wahl gehen, logischerweise größer. Der Briefwähler hat seine Entscheidung, auf jeden Fall teilzunehmen, ja schon früh getroffen. Eher wenige Briefwähler beantragen die Unterlagen und machen dann doch kein Kreuz. Das ist nach den Statistiken die absolute Ausnahme. 

Zusammengefasst lässt sich sagen: Schon vier bis fünf Wochen vor der Wahl muss es dem Kommunalwahlkämpfer gelingen, seine "Kernklientel" zu erreichen. Der traditionelle Wähler der Partei muss überzeugt werden, auf jeden Fall wieder zur Wahl zu gehen und sein Kreuz zu machen. Oft eben per Briefwahl. Im Wahlkampfendspurt erreichen Sie derweil vor allem Wechselwähler und Menschen, die noch nicht sicher sind, ob sie an der Wahl teilnehmen. Diese Gruppe bleibt aber trotzdem die wichtigere Gruppe - denn sie macht immer noch die deutliche Mehrheit der Wähler aus.

Welchen Einfluss wird die Coronakrise auf die Kommunalwahlen haben?

In der Tat gehen vor den Kommunalwahlen in NRW alle Wahlleiter von einer neuen Rekordbeteiligung bei der Briefwahl aus. Die Stadt Dortmund etwa meldet schon jetzt - drei Wochen vor der Kommunalwahl - ein Plus von über 40 Prozent bei den Anträgen zur Briefwahl. Forscher sind sich sicher, dass das vor allem an einer ganz neuen Gruppe von Menschen liegt, die nun erstmals per Brief wählen. Das sind zum einen Menschen, die aus Angst vor Corona nicht in ein Wahllokal gehen wollen, zum anderen aber auch Menschen, die fürchten, durch die Schutzmaßnahmen könnten sich vor den Wahllokalen lange Schlangen bilden und somit für eine Wartezeit sorgen. zwei sehr unterschiedliche Gruppen, die sehr unterschiedlich angesprochen werden müssen. Insofern wird aus der Doppelstrategie möglicherweise bei dieser Kommunalwahl eine Dreifachstrategie. Briefwähler, Corna-bedingte Briefwähler und die klassischen Wähler an der Urne.