Gewalt findet schon lange nicht mehr nur verbal im Internet statt - eine Hasswelle überrollt die Kommunen

Hasswelle überrollt Kommunen

Exklusive Zahlen von KOMMUNAL zeigen: Der Hass von rechts gegen Kommunalpolitiker wird immer größer. Der Mord am Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist nur die Spitze des Eisbergs, meint Christian Erhardt.

Was wir im Mordfall Walter Lübcke erleben, ist offenbar rechter Terrorismus mit den Methoden des linken Terrors. Auch die RAF hat hochrangige Politiker gezielt ermordet. Nur, dass rechter Terrorismus - siehe auch den Fall des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU -  eben nicht mit Bekennerschreiben arbeitet. Und so war es wohl nur pures Glück, dass DNA-Spuren gefunden wurden und der mutmaßliche Täter so ermittelt werden konnte. Nun könnte man wieder verharmlosen und glauben, es handle sich mal wieder um einen Einzeltäter, einen sogenannten „Einsamen Wolf“. Genau das ist aber die massive Gefahr, wie sich auch an Vorab-Zahlen einer Exklusiv-Umfrage von KOMMUNAL zeigt. 

Hasswelle bleibt nicht verbal 

Seit wenigen Tagen befragen wir bundesweit Bürgermeister aller Kommunen in Deutschland zu ihren ganz persönlichen Erfahrungen rund um Beschimpfungen, Beleidigungen, um körperliche Angriffe und auch zum Thema Reichsbürger. Die Umfrageergebnisse liegen erst am Montagabend final vor. Schon in den ersten Zahlen zeichnet sich aber ein gefährlicher Trend ab. In einigen Landstrichen in Ostdeutschland scheint es eher die Ausnahme zu sein, wenn Kommunen noch keine persönlichen Erfahrungen mit selbsternannten Reichsbürgern gemacht haben. Das sind häufiggewaltbereite Rechtsextremisten, die die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen und Verwaltungen seit Jahren tyrannisieren. Bundesweit zeigt unser Trend, dass weit mehr als die Hälfte aller Kommunen Erfahrungen – häufig sehr persönlicher Art – mit solchen Reichsbürgern vor Ort hatten. Und damit nicht genug. Die Zahl der Angriffe auf Bürgermeister, Mitarbeiter der Verwaltung und Stadt- und Gemeinderäte steigt. Schon in unserer Umfrage im Jahr 2016 berichteten mehr als sechs Prozent der Städte und Gemeinden über körperliche Angriffe. Dieser Trend scheint sich mehr als zu bestätigen. 

Über die genauen Ergebnisse wird Sie KOMMUNAL am Dienstag früh ab 6 Uhr in einem Sondernewsletter informieren. Bis dahin liegen alle Zahlen und Fakten vor. Die exklusiven KOMMUNAL Zahlen wird am Dienstagabend auch das ARD-Politmagazin „Report München“ aufgreifen, darüber berichten und mit Betroffenen sprechen. Alle weiteren Informationen dazu dann inklusive ausführlichen Grafiken und Erläuterungen am Dienstag früh in Ihrem E-Mailpostfach. Falls Sie unseren Newsletter noch nicht kostenfrei abonniert haben sollten, HIER geht’s direkt zur Anmeldung. 

Doch unabhängig von den genauen Zahlen zeigt der Mordfall Walter Lübcke eines deutlich: Es bleibt nicht mehr bei Beschimpfungen. Aus Worten werden Waffen. Die Grenze des Erträglichen an Hassbotschaften in Worten ist lange überschritten. Die verbale Radikalisierung hat einen Punkt erreicht, bei dem es fast schon logisch erscheint, dass aus dem Sagbaren nun das Machbare, das Handeln folgt. Der verbale Angriff auf die Menschlichkeit greift über auf den körperlichenAngriff auf Menschen und Kommunalpolitiker. Auf die Repräsentanten des Staates, die nicht – wie eine Kanzlerin oder ein Minister – in gepanzerten Fahrzeugen mit Security unterwegs sind. Auf die Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in den Kommunen, die jeden Tag den Dialog mit den Menschen in ihrem Ort suchen. Auf diejenigen, denen immer wieder gesagt wird, sie müssten den Dialog suchen. Denen gesagt wird, sie dürften die Rechten – auch in ihren Gemeindeparlamenten – nicht isolieren. Das seien schließlich nicht alles Terroristen oder Nazis. Natürlich nicht, aber mit ihrer Sprache sind sie die Wegbereiter genau dieser Nazis.

Was tun gegen die Hasswelle? 

 

Wir wissen nicht, ob im Fall Lübcke wirklich ein Netzwerk gehandelt hat oder ob es sich um einen Einzeltäter handelt. Wir wissen aber, dass der Tatverdächtige wegen zahlreicher Delikte im rechtsradikalen Milieu mehrfach vorbestraft ist. Und was mich noch viel nachdenklicher macht: Wir wissen, dass er seit 10 Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten ist. War er eine Art Schläfer? Vermutlich war er in keinem Netzwerk organisiert. Natürlich finden sich solche Menschen nicht in Vereinen zusammen. Trotzdem gibt es in diesem rechtsextremen Milieu Strukturen. Und auf jeden Fall kann die Verschiebung des Sagbaren, der verbale Hass der politischen Auseinandersetzung für solche Täter wie eine Art Aufforderung wirken, den Worten der anderen nun selbst Taten folgen zu lassen. 

Um zu klären, ob es wirklich Strukturen gibt, muss der Bund endlich eine zentrale Meldestelle für Betroffene einrichten. An einer Stelle müssen alle Informationen zusammenfließen. Wir dürfen es nicht dem Zufall einer DNA-Spur überlassen, ob Zusammenhänge erkennbar werden oder nicht. Im Fall des NSU hat das Jahre gedauert. Diese fehlende Form des Bekenntnisses unterscheidet den linken RAF-Terrorismus von damals von dieser neuen Form des Terrorismus. 

Und auch der Vorschlag des früheren CDU-Generalsekretärs Peter Tauber, den bislang nicht genutzten Artikel 18 des Grundgesetzes zur Hilfe zu nehmen, ist zumindest eine Diskussion wert. Darin heißt es, dass derjenige, der Meinungsfreiheit und andere Grundrechte missbraucht, seine Grundrechte als Bürger verwirken kann. Soweit muss und kann (rechtlich) eine Demokratie, die auf Meinungsfreiheit setzt, zwar vermutlich kaum gehen. Aber Die Richtung, etwa die Möglichkeit, etwa im Bereich der Waffengesetze oder auch der Ausübung bestimmter Tätigkeiten (Umgang mit Kindern, Jugendlichen) ist diskussionswürdig. Egal, was die KOMMUNAL-Umfrage Ergebnisse am Dienstag zu Tage tragen, eines muss unmissverständlich in allen Köpfen angekommen sein: Die klare Abgrenzung nach rechts ist notwendiger denn je!