Der Bus sendet seinen Standort ans Stadtportal
Der Stadtbus in Grevesmühlen sendet seinen Standort permanent ans digitale Stadtportal.
© Grevesmühlen

Smart City

Eine digitale Karte für alle in Grevesmühlen

Im sonst strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern hat sich eine Kommune aufgemacht, die Zukunft zu gestalten. Herausgekommen sind digitale Ideen, die zum Nachmachen anregen. Dreh-und Angelpunkt der Überlegungen in Grevesmühlen: Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein, sondern muss Mehrwerte für alle schaffen. So muss im Ort derjenige, der einkauft, die Taschen nicht selbst schleppen – möglich macht das die Grevesmühlen-Karte und ein intelligentes Digitalkonzept.

Ruft man die Website des kleinen Städtchens Grevesmühlen auf, erscheinen verschiedene Kacheln mit Symbolen. Doch sie führen nicht nur zu einem digitalisierten Aushang der Stadt, sondern sind der Eintrittspunkt für verschiedene Bereiche eines echten Stadtportals. Bereits im Jahr 2017 kamen einige engagierte Bürger der Stadt auf Lars Prahler zu – zeitgemäß mittels WhatsApp. Der damals 44-Jährige wurde gerade frisch zum Bürgermeister der 11.000 Einwohner zählenden Gemeinde im nordwestlichen Mecklenburg gewählt. „Die Leute forderten von mir eine offensive Digitalstrategie. Das waren zum Anfang nur ein paar kleine Ideen, aber dafür kamen die Forderungen mit Nachdruck.“, erinnert sich Prahler mit einem Schmunzeln. Aus den vagen Ideen wurden dann aber konkrete Anwendungen und das war durchaus weitsichtig.

"Mobile first" im Stadtportal-Grevesmühlen

„Mobile first“ ist die Devise der Grevesmühlener bei ihrer Digitalisierung. Von Beginn an wurde das Stadtportal als Dienst auf dem Smartphonebildschirm gedacht. Die in der Stadtverwaltung mit dem Projekt betrauten Mitarbeiter trugen alle Geschäfte wie Sehenswürdigkeiten des Ortes in diversen Onlinekarten ein – etwa Google Maps oder Apple-Karten. Dadurch sind sie in Navigationssystemen oder bei Fremdanbietern zu finden. Die digitale Stadt ist hier präsent und wird von den Einwohnern weitgehend gern angenommen. Aber die Stadt ist noch lange nicht fertig und hat es als Modellprojekt in die Förderung Smart Cities des Bundesinnenministeriums geschafft.

Ziel des Stadtrates ist es, Grevesmühlen digital so schön zu machen, wie es analog schon ist. Dazu müssen möglichst alle mitmachen und überzeugt werden, ganz gleich ob Einzelhändler, Vermieter oder Bewohner. Doch wie erreicht man das? In Grevesmühlen wurden verschiedene Formen der Bürgerbeteiligung veranstaltet, mit deren Hilfe die Stadt die Bedürfnisse ergründen wollte. So wurden die Schüler des Ortes in einer Veranstaltung befragt, was sie sich wünschen und welche Ideen sie haben. Doch auch die Schüler, Senioren, Einzelhändler und Verwaltungsangestellten hörte man an ihren Arbeitsplätzen, Freizeitorten und auch in Schulen an. Zusätzlich zu den zielgruppenspezifischen Anhörungen gab es öffentliche Beteiligungen auf dem Marktplatz und im Stadtsaal, bei denen die verschiedenen Gruppen einander zuhörten und die Probleme der jeweils anderen verstanden haben.

Beteiligung vor Ort, um Digitalisierung zu ermöglichen 

„Eine Beteiligung der Bevölkerung muss unbedingt offline stattfinden, auch wenn es um digitale Themen geht.“, drängt Matthias Wißotzki von der Universität Wismar, der die Stadt bei einem Teil der Schritte hin zur Smart City begleitet und fährt fort: „Wenn die Bürgertreffen per Videokonferenz stattfinden, kommen am Ende nur die Jungen oder Digitalaffinen, aber bei einer Veranstaltung im Stadtsaal kommen alle.“ Das sieht auch Bürgermeister Prahler so.

Die Stadt unweit der Ostsee will das digitale Angebot dauerhaft betreiben. Nachdem die Ideen der Bevölkerung aufgenommen wurden, müssen diese auch in die Umsetzung einfließen und umgesetzt werden. In Grevesmühlen gab es dabei von Beginn an die Überlegung, wie die Produkte auch in Zukunft weiter betrieben werden und einen zukünftigen Nutzen für die Kommune bringen können. Dazu hat man zunächst betrachtet, welche Angebote der Daseinsvorsorge oder anderen städtischen Aufgaben dienen und welche auch gegen Bezahlung angeboten werden können, wie Prahler zu verstehen gibt: „Uns war wichtig, die Projekte solide zu betreiben und nicht nach den ersten Fördergeldern veralten zu lassen. An jeder Software muss stetig weiter gebaut werden“. Dieser wichtige Punkt wird häufig nicht bedacht, ist aber wichtig, damit die teuren Errungenschaften nicht nutzlos werden.

Zurzeit können sich die Unternehmen der Stadt noch in einer Art Onlineschaufenster präsentieren, doch das wird ausgebaut werden. In einem ersten Schritt können die Unternehmen Sonderangebote eintragen, so sollen Kunden in die Läden der Stadt gelockt werden. Doch diese Sichtbarkeit war beim Start des Projektes im Jahr 2017 nicht selbstverständlich. Gerade einmal ein Sechstel der Grevesmühlener Unternehmen hatten eine Präsenz im Internet. Die Verantwortlichen für das Stadtportal nahmen das schnell in die Hand und änderten diesen Umstand – fast jeder ist jetzt durch das Stadtportal im Internet zu finden. Im digitalen Schaufenster des Portals sind nahezu alle Unternehmen mit einem kleinen Portrait, den Öffnungszeiten, Adresse und einer einfachen Beschreibung des Sortiments dargestellt.

Geschäftsmodelle finden und langfristige Angebote schaffen

Prahler und der Stadtrat haben konsequent und langfristig gedacht, denn das Portal soll auch nach dem siebenjährigen Modellbetrieb weiter existieren und ist in eine Gesamtstrategie eingebettet. Mit einer simplen Chipkarte – der Grevesmühlen-Karte – wird das digitale Angebot in die Stadt aus Ziegeln und Pflastersteinen übertragen. Digitalisierung wird greifbar. Die Idee ist es, mit einer Chipkarte lokale Dienstleistungen zu verbinden. Es herrscht eine klare Vision: „Wer die Grevesmühlen-Karte hat, kann damit den Bus benutzen, die größte Veranstaltung des Jahres, das 'Piraten Open Air', besuchen und sich die Einkäufe liefern lassen.“

Lars Prahler ist Bürgermeister von Grevesmühlen
Bürgermeister Prahler ist stolz auf seine digitalisierte Stadt.

Die Kommune schafft mit dem Lieferservice eine Dienstleistung für ihre Einwohner und Unternehmer, die zugleich Teilhabe schaffen soll. Bei einem Bummel durch die herausgeputzten Straßen mit den Gebäuden aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert können Waren angefasst, ausgesucht und letztlich gekauft werden – und ein kleines Gespräch ist auch noch drin. Prahler ist wichtig, dass die Stadt ein sozialer und belebter Ort ist: „Wenn Leute in die Stadt gehen, bleiben meine Grevesmühlener im Kontakt miteinander und kennen sich.“ Ist der Einkauf erledigt, wird am Abend ein Fahrer die begehrten Güter frei Haus liefern, welcher durch eine monatliche Gebühr von den Geschäften finanziert werden soll. Da viele Läden ohnehin schon einen Lieferdienst anbieten, stößt eine gemeinschaftlich organisierte Lösung auf viel Interesse.

Das Stadtportal soll aber nicht bloß auf den Smartphones der Bürger angezeigt werden, sondern auch in den lebendigen Läden im Ort. In der Vorstellung des Bürgermeisters zieren große Displays der Größe eines Fernsehgerätes die Kassenbereiche, auf denen das Stadtportal mit lokalen Nachrichten, Terminhinweisen aber auch Angeboten anderer Läden angezeigt wird. Vor allem Letzteres sehen einige Ladenbesitzer durchaus kritisch, so wie Michael Nagel vom örtlichen Bastelladen: „Das ist natürlich schwierig, wenn dann da die Konkurrenz in meinem Geschäft Werbung macht und etwas billiger anzeigt, während mein Kunde gerade bezahlt.“ Außerdem ist noch nicht klar, wie viel diese Anzeigen kosten werden oder wie flexibel sie eingesetzt werden.

Um die Gemeinde mit auf den Weg zur digitalen Stadt zu nehmen, müssen Netzwerke her und Verantwortliche geschaffen werden, die Bürger wie Unternehmer jederzeit ansprechen können. Steffen Jahnke ist IT-Beauftragter der Stadt Grevesmühlen und hat bei den Stadtwerken eine Zentralfunktion, um die Digitalisierung in Grevesmühlen zu koordinieren. Er veranstaltet Bürgerdialoge, hört zu, wenn Ideen vorgebracht werden oder etwas nicht so klappt, wie gedacht. Steffen Jahnke behält den Überblick über die Projekte, er ist das Bindeglied zwischen den Wünschen des Ortes und der Umsetzung der IT. Prahler meint: „Unsere wichtigste Stelle, wenn es um die Zukunft im Ort geht. Der hat alles im Blick.“