Gewerbesteuern: Zwischen Goldesel und Rettungsschirm - ein zweischneidiges Schwert
Gewerbesteuern: Zwischen Goldesel und Rettungsschirm - ein zweischneidiges Schwert
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Zwischen Goldesel und Rettungsschirm

Gewerbesteuern: Tesla, Biontech und Co - Fluch oder Segen?

Mainz war einst der arme Verwandte von Frankfurt, dank Biontech schwimmt die Stadt nun im Geld. Darauf wartet seit Monaten auch eine kleine Gemeinde in Brandenburg. Schon vor Weihnachten sollte die Genehmigung für die Tesla Gigafactory in Grünheide bei Berlin kommen. Doch das Land prüft und prüft und prüft. Zuletzt hieß es, die Genehmigung könne im Januar kommen. Jetzt wurde sie wieder verschoben - voraussichtlich auf Mitte März. Und noch eine Gemeinde kann vom Thema Gewerbesteuern ein Lied singen - dort wurde der plötzliche Geldsegen jedoch schon bald zum Fluch. KOMMUNAL hat die drei Orte besucht.

In Grünheide wird der große Tesla-Steuersegen in Form von hohen Gewerbesteuern wohl erst mal ausbleiben. Immerhin sind schon knapp drei Millionen Euro Grunderwerbsteuer an das Land geflossen. An die Gemeinde Grünheide in Brandenburg fällt hingegen ein fünfstelliger Betrag jährlich als Grundsteuer. Zugegeben, das sind Peanuts angesichts der Investitionen, die das Land und die Kommune in die Umfeldentwicklung der Automobilfabrik stecken müssen. Trotzdem eine riesige Summe für eine Gemeinde, die einen Haushalt von rund 20 Millionen Euro im Jahr hat. Eine strukturschwache Gemeinde mit knapp 8000 Einwohnern wird Sitz einer internationalen Gigafactory mit perspektivisch 12.000 Mitarbeitern. Produziert werden sollen schon bald 500.000 Fahrzeuge im Jahr. Schätzungen aus dem Jahr 2020 zufolge kann Grünheide mittelfristig mit Steuermehreinnahmen in solider zweistelliger Millionenhöhe rechnen. „Der Zuschlag ist wie ein Lottogewinn. Die Gemeinde hat den Jackpot geknackt, ohne dass wir Lotto gespielt haben“, jubelt nicht umsonst der Bürgermeister von Grünheide, Arne Christiani.

Ansiedlung bringt nicht nur Gewerbesteuern - auch das Land profitiert

Und auch für das Land Brandenburg ist die Ansiedlung des Autobauers, der eigentlich eher ein Technologiekonzern ist, ein klarer Gewinn. Mit Tesla sei dem Land ein bemerkenswerter Ansiedlungserfolg gelungen, sagt etwa der Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg, Christian Amsinck. Das Land sei auf dem Weg zu einem anerkannten Industriestandort der Automobilindustrie. Damit könne Tesla einen positiven Effekt nicht nur für Grünheide, sondern für das ganze Land haben. Denn die Ansiedlung der Gigafactory wird andere Unternehmen nachziehen. Einerseits, weil sie als Automobilzulieferer ein Stück vom Kuchen abhaben wollen, andererseits auch, weil sie von ähnlichen Bedingungen für die Unternehmensansiedlung profitieren wollen, wie der Elektroauto-Hersteller des Elon Musk. Genau darauf setzt auch Bürgermeister Arne Christiani: „Wir hoffen, dass weitere Unternehmen dem Beispiel von Tesla folgen und sich die Gewerbesteuereinnahmen dann nach und nach verstetigen.“

International löst die Bürokratie um Tesla in Grünheide eher Kopfschütteln aus - und wird auch in Deutschland diskutiert, hier auf dem persönlichen Twitter-Kanal von KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt
International löst die Bürokratie um Tesla in Grünheide eher Kopfschütteln aus -
und wird auch in Deutschland diskutiert, hier auf dem
persönlichen Twitter-Kanal von KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt

Mainz hat Erfahrung mit überraschenden Einnahmen durch Gewerbesteuern - Corona sei Dank...

Aber was heißt es eigentlich für eine Kommune, wenn sich ein Großunternehmen erfolgreich an eigenen Ort niederlässt? Oder wenn eine ansässige Firma plötzlich erfolgreich ist? Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick nach Mainz. 2008 entstand hier ein kleines Startup, das ursprünglich an modernen Immuntherapien gegen Krebs forschte. Heute ist der Name der Firma weltbekannt: Biontech. Denn das von Ugur Sahin, Özlem Türeci und Christoph Huber gegründete Unternehmen entwickelte den weltweit ersten Corona-Impfstoff. Und die Aktien des seit 2019 börsennotierten Unternehmen gingen ebenso durch die Decke wie die plötzlich erwirtschafteten Gewinne. Was sich natürlich auch dank sprudelnder Gewerbesteuern auf die Einnahmesituation der Stadt Mainz auswirkte. „Wir haben lange nicht damit gerechnet, dass wir von der Entwicklung profitieren könnten“, sagt der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling. „Irgendwann haben wir aber ahnen können, dass sich der Erfolg auch in der Gewerbesteuer des Unternehmens niederschlagen würde.“ Denn ein Unternehmen wie Biontech, das zu großen Teilen mit Forschung beschäftigt ist, hat naturgemäß sehr große Verlustvorträge: Man investiert, experimentiert, forscht – ohne mit letzter Sicherheit zu wissen, ob sich am Ende ein vermarktbares Produkt ergibt. „So eine Firma muss sehr lange investieren, bis sich ein Erfolg einstellt“, sagt Ebling. Doch bei Biontech war das der Fall.

Wenn die Kredite getilgt sind, wird die Maßgabe sein, nicht neue, dauerhafte Ausgaben zu schaffen.“

Michael Ebling, Oberbürgermeister von Mainz

Für die Stadt Mainz ist das ein reicher Segen. Denn die Domstadt an der Mündung des Main in den Rhein ist arm. „Wir haben 1,3 Milliarden Euro Schulden“, sagt der Oberbürgermeister. Was mit den zusätzlichen Einnahmen aus den Gewerbesteuern passieren sollte, war deswegen schnell klar: „Als erstes tilgen wir die Kassenkredite. Das sind 700 Millionen Euro, die wir bis Ende 2022 erreicht haben wollen.“ Danach will die Stadt in Immobilien investieren, die sie bisher teuer mietet. Ob Mainz jetzt allerdings eine reiche Stadt wird, bleibt fraglich: Denn niemand kann heute mit Sicherheit sagen, wie es mit Biontech weitergeht. Ob die nächsten Präparate auch so erfolgreich sind, wie der Corona-Impfstoff, weiß heute keiner.

Die Schattenseiten des neuen Reichtums durch Gewerbesteuern 

Erster Rückschlag: Die Stadt hatte wegen der Steuereinnahmen kurzfristig zu viel Geld auf dem Konto und rechnet nun mit hunderttausenden Euro Strafzinsen. Jetzt soll das Geld für den Abbau der Kredite genutzt werden und dann in Zukunftsprojekte fließen. „Wenn die Kredite getilgt sind, wird die Maßgabe sein, nicht neue, dauerhafte Ausgaben zu schaffen.“ Vielmehr müsse es darum gehen, die städtischen Belastungen für die Zukunft zu reduzieren: „Wir werden zum Beispiel einen Pensionsfonds aufstocken – das kommt uns später einmal zu Gute“, meint Ebling. Und auch die freiwilligen Leistungen der Kommune will die Stadt aufstocken. „Denn diese Mittel haben wir seit gut 20 Jahren auf dem Status quo eingefroren, da war kaum etwas möglich.“

Gewerbesteuern sind nicht nur Segen, sondern können auch zum Fluch werden...



Doch es kann ganz schnell auch anders gehen.  Davon kann eine andere Kommune in Brandenburg ein klagvolles Lied singen. Lauchhammer, wo der dänische Windkraftanlagenhersteller Vestas eine Fertigung für Rotorblätter betrieb. Seit dem Jahreswechsel ist damit Schluss: Für die 460 Mitarbeiter des Werks wurde kürzlich ein Sozialplan ausgehandelt. Für die 14.000 Einwohner zählende Stadt ist das eine bittere Erfahrung: Innerhalb weniger Monate ist eines der wichtigsten Unternehmen der Stadt verschwunden, ganz plötzlich und fast ohne Vorwarnung. „Vestas war einer der größten Gewerbesteuerzahler hier“, sagt Bürgermeister Mirko Buhr. Dank der Einnahmen aus der Windradfabrikation konnte sich die Stadt freiwillige Leistungen leisten: Die Vereinsförderung beispielsweise. Oder die Stelle eines Schulsozialarbeiters. „Das wird künftig nur noch auf Sparflamme gehen“, sagt Buhr. Zumindest, so lange sich kein Nachfolgeunternehmen findet, das in ähnlicher Größenordnung Steuern zahlt. Wirklich vorbereiten kann man sich auf so eine Situation freilich ebenso wenig wie auf die großen Steuereinnahmen von Biontech in Mainz, sagt Buhr. „In den letzten Jahren hat niemand damit gerechnet, dass die Firma Vestas die Segel streicht – jetzt aber wissen wir: Man muss immer auch mit dem plötzlichen Rückzug eines Unternehmens rechnen.“ Die einzige Chance für die Kommune: Eine gute und offene Kommunikation mit dem Unternehmen. „Ich hätte mir gewünscht, dass Vestas offen und ehrlich darüber gesprochen hätte, wie es ausschaut“, sagt Mirko Buhr.

Tesla Bürgermeister Arne Christiani
Der Bürgermeister von Grünheide äussert sich auch in der Printausgabe der aktuellen KOMMUNAL ausführlich

Doch viele Möglichkeiten, zu reagieren, hat eine Kommune in einem solchen Fall nicht. „Letztlich können wir – und auch die Wirtschaftsförderung – nur Flächen vermitteln, und eine Firma unterstützen, die sich an uns wendet“, verspricht der Bürgermeister. „Aber ob auf dem Vestas-Gelände künftig noch etwas anderes passiert, entscheidet das Unternehmen – wenn der Verkaufspreis zu niedrig ist, wird eben nicht verkauft.“ Am Ende sind Kommunen deswegen gut beraten, so vorsichtig wie die Mainzer zu agieren, wenn ein Unternehmen plötzlich große Summen in den gemeindlichen Haushalt spült. Denn der Fall Lauchhammer zeigt, dass jeder plötzliche Geldsegen auch ganz schnell wieder vorbei sein kann.