Bürgermeister Andreas Holstein
Bürgermeister Andreas Holstein wurde im November 2017 in einem Döner-Laden mit einem Messer angegriffen und am Hals verletzt. Der Täter bekam später eine Bewährungsstrafe.
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Das Schweigen der Ehrenamtlichen

„Aus dem Hinterhalt“ heißt eine TV-Langzeitreportage, die Anfang November im NDR Fernsehen ausgestrahlt wird. Der Fillmemacher Michael Heuer zeigt darin Kommunalpolitiker, die Opfer von Hassbriefen und Gewalt wurden. KOMMUNAL Chefredakteur Christian Erhardt konnte vorab mit dem Journalisten über die Inhalte der Dokumentation und die Eindrücke des Filmemachers sprechen.

KOMMUNAL: Herr Heuer, worum genau geht es in dem Film?

Heuer: Der Sendetitel heißt: „Aus dem Hinterhalt“ und man merkt daran schon, dass dieses Wort Gefahr, Bedrohung, Anonymität bedeutet. Es geht um Politiker, häufig um Ehrenamtliche, die aus diesen Hinterhälten bedroht werden. Wir haben versucht, sie über einen längeren Zeitraum zu begleiten um herauszufinden, wie eine solche Bedrohung über den Tag hinaus wirkt, was das für den Alltag eines Kommunalpolitikers bedeutet. 

KOMMUNAL: Die Bedrohungslage gegen Haupt- und Ehrenamtliche ist leider nicht ganz neu  - wie sind Sie jetzt auf die Idee für den Film gekommen? 

Ganz neu ist sie nicht. Aber gerade jetzt ist die Bedrohungslage insbesondere auch von rechtsextremer Seite doch noch einmal angewachsen. Das haben Umfragen deutlich gezeigt. Leider sind diese Fälle aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Aber die Berichterstattung war bisher meist anlassbezogen – wir haben uns daher entschlossen, das Thema über den Tag hinaus zu begleiten in einer Langzeitreportage. Wir wollen zeigen, welche Auswirkungen das im Alltag langfristig hat.

KOMMUNAL: Was ist Ihnen bei dieser Langzeitbeobachtung aufgefallen? Welche Erkenntnisse haben Sie daraus gezogen?

Die neue Erkenntnis ist, dass dieser Zeitpunkt, bei dem man sagt: „wehret den Anfängen“ überschritten ist. Ich habe sonst häufig mit Kriminalfällen zu tun, bei denen es nicht um Politiker geht. Aber ich muss doch mit großem Erschrecken feststellen, dass Ehrenamtlich wie Hauptamtliche in den Kommunen, die eine tragende Säule der Demokratie sind, oftmals mit dem Rücken zur Wand stehen. Und auch in den Stadtparlamenten und in der Gesellschaft können sie nicht gleich auf eine Solidaritätsadresse hoffen. Ich glaube, dass deshalb dieses Politikeramt immer häufiger hinterfragt werden wird von Menschen, die es zwar gerne mal machen wollten, die jetzt aber sagen: „Das ist für mich nicht mehr akzeptabel“. Ich habe Rücktritte von Ämtern erlebt, die vor allem darauf zurück zu führen waren, dass es auch Bedrohungen gegen die Familie von Kommunalpolitikern gab. Wenn den Ehefrauen oder Kindern Drohbriefe – unterzeichnet mit Adolf Hitler – ins Haus flattern, dann kommt man schon ins Grübeln. Ich glaube, dass die schweigende Mehrheit hier viel mehr zuhören, sich sensibilisieren muss. 

Der Filmemacher Michael Heuer
Der Filmemacher Michael Heuer: Erstausstrahlungstermin der Dokumentation ist am 6. November um 0 Uhr im NDR-Fernsehen.

KOMMUNAL: Die schweigende Zivilgesellschaft ist das Eine – wie sehr schweigen denn die Betroffenen auch selbst? War es einfach, Kommunalpolitiker vor Ihre Kamera zu bekommen?

Es ist schon teils sehr schwer gewesen. Ich habe mit Menschen gesprochen, die auf keinen Fall öffentlich über ihren Fall sprechen wollten. Sie haben häufig Angst, dass dadurch die Verantwortung, die sie haben, unterminiert würde. Teils werden dann persönliche Gründe vorgeschoben, viele wollen sich einfach nicht die Blöße geben, was ja nachvollziehbar ist. Sehr schnell ist eben der Shitstorm dann noch größer als vorher. Aber glücklicherweise gab es schon auch zahlreiche Politiker, die mutig nach vorne gehen und bereit sind, das Thema nicht unter den Teppich zu kehren.  Das ist wichtig, denn ich habe den Eindruck, dass die Eskalation im Moment noch weiter zunimmt. Es wird gedroht, die Schreiber der Hassmails bleiben meist im Dunkeln und ich fürchte, dass das weiter um sich greift. Die Gesellschaft muss das aus meiner Sicht noch sehr viel ernster nehmen!

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KOMMUNAL: Was raten Sie Kommunalpolitikern, die jetzt in eine solche Situation kommen? 

Die Verantwortungsträger sollten ihre Fälle in aller Regel öffentlich machen. Natürlich gibt es in Einzelfällen auch gute Gründe, das nicht zu tun. Aber ich glaube, das hört auch nicht nach möglichen Rücktritten auf. Wenn man aus solchen Gründen sein Amt niederlegt, ist das auch für die persönliche Entwicklung etwas, womit man sehr lange hadern wird. Weil man Zukunft hat fremdbestimmen lassen. Ich denke, dass ein Öffentlich machen da auch helfen kann. 

KOMMUNAL: Wenn Sie nach der Reportage ein Fazit ziehen sollen: Was muss Politik, was muss Zivilgesellschaft tun? 

Es besteht die Gefahr, dass die Politik in vielen Bereichen eine Abgehobene wird. Ich selbst erkenne auch, dass Teile des Volkes sich abgehängt fühlen durch eine bestimmte Sprache und ein bestimmtes Gebaren von Politikern. Ich kann daher schon diejenigen verstehen, die sich nicht mehr in der Politik wiedererkennen. Und da muss sich einiges ändern. Aber das ist ja nicht der Kommunalpolitiker. Der ist ja nicht abgehoben, der ist nah am Volk, kann auch ein hartes Wort ertragen. Aber der Kommunalpolitiker sieht sich auch häufig eines politischen Diskurses in der Bundespolitik gegenüber, der ihn nicht gerade froh macht. Da gilt es, wieder etwas zu schließen, was sich verselbständigt hat. Politik muss buchstäblich „wieder runter kommen“. Runter zu den Bürgern.