Demo gegen eine Gemeindefusion vor dem Landtag in Thüringen
Eine Gemeindefusion wünschen sich nur wenige Bürger - wie hier protestierten Gegner vor dem Landtag in Erfurt
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Studie: Gemeindefusion zerstört das Heimatgefühl

"Eine ausgeprägte Verbundenheit mit dem Wohnort ist ein wichtiger Kitt für den Zusammenhalt einer Gesellschaft". So steht es in einer Studie, die die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit beim Dresdner Institut für Wirtschaftsforschung in Auftrag gegeben hat. Die Studie geht soweit zu sagen, dass Bürger, die sich mit ihrem Wohnort verbunden fühlen, deutlich seltener populistische Parteien wählen.

Das Wort Gemeindefusion löst bei den Lesern von KOMMUNAL bekanntlich seit vielen Jahren zahlreiche Emotionen aus. Immer wieder haben wir uns vehement gegen die Zusammenlegung von Gemeinden und Landkreisen ausgesprochen. Unterlegt mit zahlreichen Studien haben wir immer wieder gewarnt, dass vor allem das Ehrenamt unter solchen Fusionen leidet. Nun gibt es wieder eine Studie zum Thema und sie geht sogar noch weiter. "Wo die Identifikation mit dem Wohnort fehlt, gedeiht ein feindseliges, intolerantes Klima, in dem bürgerschaftlichen Engagement verkümmert", heißt es in der Studie für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Und weiter: "Bürger, die sich mit ihrem Wohnort verbunden fühlen, wählen häufiger in Kommunalwahlen, interessieren sich mehr für Politik, sind stärkere Befürworter der Demokratie, wählen seltener populistische Parteien und engagieren sich stärker in sozialen Vereinen sowie im Ehrenamt vor Ort". 

Besser kann man kaum zusammenfassen, wie wichtig die Gemeinde für die Identifikation der Menschen mit ihrer Heimat ist. Erst vor wenigen Monaten hatte eine ähnliche Studie zudem ergeben, dass Gebietsreformen in der Regel auch finanziell keine positiven Effekte haben. Denn meist ist der Grund der Zwangsfusionen, dass Landespolitiker meinen, so könnten überschuldete Städte gerettet werden. Den Beweis jedoch konnte bisher kein Land antreten, in dem es eine Gemeindefusion gab. 

Gemeindefusion ist nicht gleich Gemeindefusion 

Interessant an der Neuauflage der Studie ist aber auch ein anderer Aspekt: Gemeindefusion ist nicht gleich Gemeindefusion. Es kommt zusätzlich darauf an, wie umfassend die Fusion ausfällt. Werden "nur" Landkreise fusioniert, sind die Auswirkungen zwar auch deutlich spürbar. Aber bei Weitem nicht so dramatisch, wie bei der Fusion von Gemeinden. In Zahlen drückt das Ifo-Institut das so aus: Wurden, wie in Sachsen im Jahr 2008 Landkreise fusioniert, so sank die Zahl der Menschen, die sich mit ihrer Heimatgemeinde identifizieren um 6 Prozent. Wurden aber Gemeinden fusioniert, so geschehen etwa im Jahr 2010/2011 in Sachsen-Anhalt, sank die kommunale Identifikation um gigantische 18 Prozent, also drei mal so stark. Für die Autoren ist der Grund logisch: "Fusionen auf der Gemeindeebene, die das unmittelbare persönliche Lebensumfeld bilden, wirken sich deutlich gravierender aus". Diesen Unmut hatte auch Forsa-Chef Manfred Güllner in seiner monatlichen Kolumne bei KOMMUNAL bereits vor zwei Jahren ausführlich beschrieben und mit Zahlen unterlegt. Das Ido-Institut bestätigt diese Dokumentation von KOMMUNAL nun erneut.

Gemeindefusionen sind zwar nutzlos aber auch gefährlich 

Noch eine Zahl hat das Ido-Institut jetzt erneut errechnet. Vergleicht man das Heimatgefühl der Menschen in Bundesländern, in denen Fusionen stattfanden mit denen, in denen es keine Gemeindefusion gab, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Einwohner eines Bundeslandes mit ihrer Gemeinde identifizieren um fast 10 Prozentpunkte niedriger als in Ländern, in denen es keine Gemeindereformen gab. 

Besonders ausgeprägt ist laut der Studie das Heimatgefühl übrigens auf dem Land und in Großstädten. Bewohner mittelgroßer Städte hingegen fühlen sich weniger stark mit ihrem Wohnort. verbunden. Auch die regionalen Unterschiede sind groß: Am ausgeprägtesten ist die kommunale Identität im Nordosten, allen voran in Mecklenburg-Vorpommern. Das ist insofern erstaunlich, als dass es dort eine große Kreisgebietsreform gab. Mecklenburg-Vorpommern hat inzwischen riesige Landkreise, die Fusion gilt als gescheitert. Das Leben in den Gemeinden hat es hingegen offenbar nicht beeinflusst. 

Trotz positiver Zahlen: Gebietsreformen sind nicht zeitgemäss 

Es gibt durchaus auch positive Ansätze in dem jüngsten Ifo-Bericht für die Naumann-Stiftung. So ist die Identifikation mit der Gemeinde im Bundesdurchschnitt in den vergangenen Jahrzehnten stabil geblieben. Immerhin vier von 10 Deutschen identifizieren sich demnach stark mit ihrer Gemeinde. Das hat auch viel mit der Identifikation in einigen Großstädten wie Köln zu tun, wo mit Souvenirs und eigenem Liedgut das Zusammengehörigkeitsgefühl besonders hoch ist. Somit sind es nicht nur Dörfer, die eine hohe Identifikation stiften können. Das zeigen die Zahlen des Ifo-Instituts deutlich, denn in den Westdeutschen Bundesländern ist die kommunale Identifikation in den letzten Jahren sogar leicht gestiegen, im Osten hat sie sich hingegen etwas abgeschwächt. Wie bereits beschrieben, hat es hier in den vergangenen Jahrzehnten auch die meisten Gemeindefusionen gegeben. Sie wurden besonders häufig entmündigt, nannte der Forscher und Dorfpapst Gerhard Henkel die Situation vor gut einem Jahr bei KOMMUNAL in einem Gastbeitrag und zeigte auch Alternativen auf.

Es gibt Alternativen zur Gemeindefusion 

Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kommen auch die Forscher des IFO-Instituts in ihrer jüngsten Untersuchung. "Angesichts der von uns dokumentierten Zusammenhänge zwischen kommunaler Identität und sozialen Aktivitäten beziehungsweise politischen Einstellungen ist zu befürchten, dass Gebietsreformen einen negativen Einfluss auf ehrenamtliches Engagement und politische Stabilität haben“, schreiben die Forscher.

Aber sie haben auch Alternativen im Gepäck: "Interkommunale Kooperationen sollten bevorzugt werden" heißt es in der Studie. Sie ermöglichten die Nutzung von Größenvorteilen und schonten gleichzeitig die kommunale Identität. Wie solche Kooperationen funktionieren, haben wir ebenfalls anhand von zahlreichen Beispielen mehrfach bei KOMMUNAL aufgegriffen. Die Ergebnisse zeigen vor allem, dass interkommunale Zusammenarbeit vor allem in kleineren Orten und in mittelgroßen Städten sehr erfolgreich funktionieren kann.