Fusion
Gebietsreform: Selten effizient und bürgerfreundlich - aber es gibt Ausnahmen
Die kommunale Selbstverwaltung ist ein hohes Gut. Entsprechend kritisch können Gebietsreformen sein, bei denen ehemals eigenständige Gemeinen zusammengeschlossen und Ortsgrenzen neu definiert werden. Doch es gibt Fälle, in denen eine Gemeindereform Sinn macht, damit die Kommunen letztlich gestärkt weitergehen können. Dies ist zum Beispiel so in Heiligenstadt, wo zu Beginn dieses Jahres gleich fünf Kragengemeinden eingemeindet wurden.
Gebietsreform führt zu Verdoppelung der Ortsteile von Heiligenstadt
„Die Gebietsreform ist eine sehr große Herausforderung“, sagt Andrea Fröhlich, die Hauptamtsleiterin in Heiligenstadt. Zwar hätte man im Ort durchaus schon Erfahrung mit der Eingliederung von Ortsteilen, schließlich wurden nach der Wende bereits vier und 2019 nochmal ein weiterer Ortsteil aufgenommen. Die Erweiterung um gleich fünf Ortsteile aber bringt deutlich größere Anforderungen mit sich, wie auch Bürgermeister Thomas Spielmann unterstreicht.
Zehn statt fünf Ortsteile
Bestand die Kreisstadt Heiligenstadt bislang aus fünf Ortsteilen und 16.899 EinwohnerInnen, hat sich die Zahl der Ortsteile seit Beginn 2024 auf zehn verdoppelt. Die Anzahl der Einwohner ist um rund 1.400 angestiegen auf nun ca. 18.400 Einwohner. „Bei den neu hinzugekommenen Gemeinden handelt es sich um kleine Gemeinden in direkter Lage um die Kreisstadt herum“, sagt Spielmann. Dazu gehören die Gemeinde Glasehausen (mit 144 Einwohnerinnen und Einwohnern) und die Gemeinde Hohes Kreuz (mit 1.246 Einwohnerinnen und Einwohner), die beide aus der Verwaltungsgemeinschaft „Leinetal“ ausgegliedert, aufgelöst und in die Stadt Heilbad Heiligenstadt eingegliedert wurden. Die Gemeinde Hohes Kreuz wiederum setzte sich zuvor aus den Gemeinden Siemerode, Mengelrode, Streitholz und Bischhagen zusammen, die nun jeweils einzelne Ortsteile von Heilbad Heiligenstadt darstellen.
Gebietsreform schon lange geplant
Aus Sicht von Spielmann war die Eingliederung der weiteren fünf Ortsteile ein längst überfälliger und sinnvoller Schritt. „Die Kassen in den kleinen Gemeinden sind knapp und die Verwaltungsgemeinschaft war dadurch kaum mehr leistungsfähig“, so Spielmann. Dies zeige sich auch in der Infrastruktur der Orte, während in jenen Dörfern, die bereits zur Kleinstadt gehörten, deutlich mehr passiert sei. Entsprechend wurde vom Land Thüringen laut Spielmann schon lange versucht, die Gebietsreform in kleingliedrigen Regionen umzusetzen. In den betroffenen Gemeinden aber gab es laute Gegenstimmen und insbesondere die Ortsbürgermeister wehrten sich gegen eine Eingliederung.
Bürger stimmen für Eingliederung
„Das Gefühl zu haben, ich habe den eigenen Haushalt in der Hand, hat einen großen Wert und ich kann das lange Festhalten an der kommunalen Selbstverwaltung durchaus nachvollziehen“, sagt Spielmann. Letztlich aber habe sich die Situation in den ehemaligen Gemeinden so entwickelt, dass sich eine Eingliederung in die Kreisstadt für die Zukunft der Orte als „absolut sinnvoller Schritt“ erwiesen hat. Wesentlich unterstützt und mitgetragen wurde diese Entscheidung auch von den Einwohnern der verschiedenen Orte. So sagt Spielmann: „Es gab in allen fünf Gemeinden eine Bürgerbefragung und überall waren die Bürger für eine Eingliederung in die Kreisstadt – oft sogar mit großer Mehrheit“.
Finanzielle Vorteile durch Neugliederung
Die Befürworter der Eingliederung erhoffen sich laut Spielmann eine intensivere Weiterentwicklung ihrer Ortsteile. Möglich wird diese durch die Auszahlung der sogenannten „Neugliederungsprämie“, die im Fall von Heiligenstadt insgesamt 2.365.649,43 Euro beträgt und in Höhe von 1.000 Euro pro Einwohner an die neuen Ortsteile für Investitionen weitergeleitet wird. Der restliche Betrag wird laut dem Bürgermeister voraussichtlich zur Deckung der administrativen Kosten benötigt.
Große Umstellung in der Verwaltung
Mit der praktischen Umsetzung der Eingliederung einher geht ein enormer „organisatorischer und formaler Aufwand“, wie die Hauptamtsleiterin Fröhlich feststellt. So wenden sich die Bürger der eingegliederten Ortsteile ab sofort bei allen Belangen, etwa beim Melderecht, bei Bauanträgen oder der Beantragung von Führungszeugnissen statt an die Verwaltungsgemeinschaft nun an die Verwaltung in der Kreisstadt. Das Personal aus der Verwaltungsgemeinschaft wurde durch die Fusion übernommen. Konkret sichtbar wird die Eingliederung durch die neuen Ortsschilder, zudem mussten im Vorfeld doppelte Straßennamen bereinigt werden und kam es zu einigen Adressänderungen. „Das hat nicht jedem gefallen“, sagt der Bürgermeister, der Großteil der Bürger aber habe Verständnis für die Umstellungen gehabt.
Projekte in Ortsteilen geplant
„Es rappelt natürlich am Anfang und es ist ein Prozess, bis alles eingespielt ist“, sagt Spielmann. So wird die formale Umsetzung der Eingliederung wohl noch eine Weile dauern. Parallel dazu werden in der Kreisstadt aber bereits konkrete Projekte für die neu hinzugekommenen Ortsteile geplant. Hierzu wurden die einzelnen Räte der Orte im Vorfeld befragt, welche Bedarfe es vor Ort gibt und welche Dinge als Erstes in Angriff genommen werden sollen. Dabei ging es um die Sanierung von Sportplätzen ebenso wie um die Instandsetzung des Feuerwehrhauses oder der örtlichen Begegnungszentren. Diese Maßnahmen sind laut Spielmann dank der Neugliederungsprämie nun finanzierbar und sollen so bald wie möglich umgesetzt werden. In den neu hinzugekommenen Ortsteilen herrsche aktuell eine „positive, hoffnungsvolle Aufbruchsstimmung“ in der Bevölkerung. Auf dieser will Spielmann aufbauen. „Es ist wichtig, dass die Leute sehen, dass wirklich etwas passiert“, so der Bürgermeister.
Identität der Ortsteile soll erhalten bleiben
Auch wenn sich formal, finanziell und organisatorisch vieles ändert: Laut Spielmann bedeutet die Eingliederung der fünf Ortsteile in die Kreisstadt keineswegs, dass sich das Selbstverständnis und das Gemeinschaftsgefühl der Bürger in den einzelnen kleinen Ortschaften verändern soll. So stellt der Bürgermeister über die Rolle der Verwaltung in Heiligenstadt fest: „Wir sehen uns ausschließlich als Verwaltungs- und Dienstleister. Die Dorfstrukturen und die Identität in den Ortsteilen verlieren durch die Angliederung nichts an Bedeutung und sollen weiterhin unbedingt bestehen bleiben“.