Freizeitlärm - Biergärten stoßen immer wieder auf den Widerstand von Anwohnern

Freizeitlärm - Freizeit ist Lebensqualität

Mehr Toleranz für Freizeitlärm – auf Drängen von Kommunen und Ländern wird sich der Bundesrat damit in den nächsten Wochen befassen. Christian Erhardt über genervte Anwohner, Nachtbürgermeister, Pantomime-Künstler und Menschen auf der Suche nach Freiräumen.

Wer hat sie in diesem Sommer nicht genossen? Die (leider wenigen) lauen Sommerabende in Biergärten, beim Rudelgucken während der Fußball EM oder beim Grillen im Garten. Doch manche fühlen sich durch den Freizeitlärm gestört und klagen. Restaurantbesitzer etwa bemängeln, dass manchmal ein einzelner Kläger ein ganzes Lokal in die Knie zwingen kann. Für das Gröhlen vor der Kneipe gibt es zwar Regeln, spätestens beim örtlichen Schützenfest wird es aber schwierig, wenn durch einstweilige Verfügungen Traditionsfeste nicht mehr stattfinden können. Konzerte und Stadtfeste sind zudem oft wichtige Einnahmequellen für Kommunen. Und dann gibt es noch die zahlreichen neuen Formen von Veranstaltungen. Alternative Konzerte, Partys im Wald oder Jugendliche, die sich vor Supermärkten treffen. Letztere häufig, weil ihnen immer häufiger Freiräume und Rückzugsmöglichkeiten fehlen.

NRW will Freizeitlärm per Bundesratsbeschluss stärken

NRW hat nun eine Initiative in den Bundesrat eingebracht. Zentrale Forderungen: Freizeitlärm soll genauso toleriert werden müssen, wie etwa Kinderlärm. Klagen sollen zudem erst zugelassen werden, wenn sie mindestens fünf Unterstützer haben, Stadträte sollen die Möglichkeit bekommen, in ihrem Ort sogenannte „Ausgehquartiere“ auszuweisen. Dort soll dann die Nachtruhe nicht zwingend um 22 Uhr, sondern erst um Mitternacht gelten. Ausnahmegenehmigungen wären dann nicht mehr nötig.

Nachtbürgermeister - eine Idee auch für kleine Kommunen

Immer wieder verweisen die Befürworter der Initiative auf das Modell des sogenannten „Nachtbürgermeisters“. In der Tat lohnt sich ein Blick nach Amsterdam, wo diese ehrenamtliche Funktion, die inzwischen mehrere Städte übernommen haben, entstanden ist. 2003 hatten die Amsterdamer Stadtväter beschlossen, dass sie jemanden brauchen, der ihnen erzählt, was los ist in der Stadt, während sie längst im Bett liegen. Es war dort lange ein Ehrenamt, inzwischen ist ein ehemaliger Event-Manager hauptberuflich dort tätig. Die Stadt beteiligt sich zur Hälfte an seinem Gehalt - die andere Hälfte wird durch Spenden vor allem von Clubbesitzern finanziert. Gewählt wurde der Nachtbürgermeister in einer offenen Online-Abstimmung, an der sich alle Bürger beteiligen konnten. Seine Aufgabe neben der Erstellung von Partykonzepten: Die Interessen von Anwohnern, Partywilligen und Betreibern zusammenzubringen, zu vermitteln, Bindeglied zu den Behörden zu sein und so vor allem auch für Sicherheit zu sorgen. Ein Modell, dass sich problemlos auch auf kleine Orte übertragen lässt. Wobei für die Akzeptanz aus meiner Sicht wichtig ist, dass es sich nicht um einen Mitarbeiter der Verwaltung handelt, sondern um jemanden, der von Anwohnern, Gewerbetreibenden, Verwaltung und Vereinen gemeinsam ausgesucht und getragen wird. Nur so kann er wirklich zur Autorität werden.

Freizeitlärm auf der Kirmes - bis zu 18 solcher Feste im Jahr sollen laut der Bundesratsinitiative künftig erlaubt sein

Das Beispiel des Nachtbürgermeisters zeigt, dass die Kommunen vor Ort sehr viel tun können, damit es wegen des Freizeitlärms gar nicht erst zu Klagen von Anwohnern kommt. Der Kreativität sind dabei kaum Grenzen gesetzt. In Freiburg etwa sorgte das Modell einer „Toleranzsäule“ vor Jahren für Schlagzeilen. Sie zeigt auf einem zentralen Platz an, wenn es zu laut wird und springt von Grün auf Rot. Ähnlich also dem Modell der Smileys in Tempo 30 Zonen, die bei Einhalten der Geschwindigkeiten lächeln und sonst einen traurigen Smiley zeigen. In Berlin gab es einen Versuch, in einem Kneipenviertel mit Pantomime-Künstlern den Lärmpegel zu senken. Nach dem Motto: Ruhige Pantomimen laden zum leiseren Gespräch ein, der Freizeitlärm wird so geringer.

Drastische Maßnahmen gegen Freizeitlärm in Großbritannien

Die Briten sind mal wieder deutlich ausgefallener mit ihren Ideen: Hier werden laute Jugendliche in der Nacht mit einem optischen Jugendzerstreuer, der die Pickel der Minderjährigen rosarot ausleuchtet, gnadenlos vergrämt. Schmunzeln musste ich auch beim Lesen eines Forums über „Nachbarschaftslärm“ – dort schrieb ein Blogger: „Wenn ich nachts von meinem Nachbarn gestört werde, rufe ich nicht die Polizei. Ich revanchiere mich mit einem morgendlichen Querflöten-Konzert ab 7 Uhr. Das hat bisher immer geholfen.“

Traditionelle Feste wie der Karneval stehen heute gleichrangig mit neuen Veranstaltungsformen - Freizeitlärm wird somit häufiger

Bitte nicht falsch verstehen: Das ist garantiert nicht die Lösung. Aber vielleicht denkt der Herr mal darüber nach, warum ihn der Lärm stört. Natürlich hat das auch etwas mit der demografischen Situation zu tun. Viele ältere Menschen haben früher den Lärm in ihrem Haus vielleicht gar nicht mitbekommen, weil sie selbst arbeiten waren und dann den Abend mit Freunden genießen wollten. Heute sind sie tagsüber daheim, können ihre eigenen Freizeitaktivitäten auf den Vor- oder Nachmittag schieben, wollen abends lieber ihre Ruhe haben. Ein Gespräch über die unterschiedlichen Lebensweisen und Wünsche wäre da vielleicht sinnvoller als eine Breitseite mit der Querflöte. Oder eine Erinnerung an die eigene Jugend mit Rolling Stones und Beatles, die von den Eltern auch als „Krach“ empfunden wurden.

Freizeit im Wandel bedeutet Freizeitlärm neu definieren

  Die Zeiten, zu denen Menschen Freizeit haben durch gesellschaftliche und berufliche Veränderungen ebenfalls. Freizeitlärm und die Zeitfenster müssen entsprechend neu definiert werden. Zudem sind die Freizeitaktivitäten der Bürger für Gewerbetreibende und Kommunen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, für die Kommunen zudem ein wichtiger Standortfaktor. Nun darf in unserem Rechtsstaat zum Glück jeder klagen. Aber die Regeln, unter denen eine Klage erfolgreich ist, müssen auf den Prüfstand. Wenn ein Einzelner ein ganzes Schützenfest verhindern kann, kann das weder im Sinne der Kommunen, noch im Sinne der vielen Feierfreudigen sein. Ich bin gespannt, welche gesellschaftlichen Debatten die Bundesratsinitiative auslöst. Wir vor Ort in den Kommunen dürften davon profitieren!