Wie ein strahlender Sieger wirkte Emanuel Macron am Wahlabend nicht wirklich - und er hat auch keinen Grund dazu. Auch Politik in Deutschland sollte Lehren aus der Frankreich-Wahl ziehen, meint Christian Erhardt
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Abwehrwahl statt Siegeszug für Macron

Was wir in den Kommunen aus der Frankreich-Wahl lernen können

Eine Verbündete Putins mitten in Europa - das wäre die Wahl der rechts-extremen Präsidentschaftskandidatin Le Pen gewesen. Knapp ist Europa diesem Tiefpunkt entgangen. Zwar wäre ein solches Ergebnis bei uns aktuell noch undenkbar, aber trotzdem muss diese Wahl auch ein Warnzeichen für uns in Deutschland sein, meint Christian Erhardt.

Als ich vor fünf Jahren an dieser Stelle nach der damaligen Frankreich-Wahl in einem Leitartikel unter der Überschrift "Das Geheimnis moderner Wahlkampfführung" über den damaligen Sensationssieg von Emanuel Macron und die Gründe dafür berichtete, war ich zugegeben voll des Lobes. "Auf den Spuren des Erfolgsgeheimnisses des Shooting-Stars" ging ich - so der Originaltext aus dem Jahr 2017 - "in Paris der Frage nach, was deutsche Politiker von Macron lernen können." 

Von diesem Glanz und diesem Glamour der letzten Frankreich-Wahl ist wenig geblieben. Dieses Mal war die Wahl von Macron eine Abwehrwahl. Eine Abwehr, wie wir sie in letzter Zeit immer häufiger erleben. Etwa in den USA, wo Joe Biden nicht gewählt wurde, weil die Menschen ihm irgendetwas zugetraut hätten. Sondern nur, weil sie glaubten, er sei im Vergleich zu Donald Trump das geringere Übel. Inzwischen sieht eine Mehrheit der Amerikaner sich auch in diesem Glauben getäuscht. In den USA haben ebenso wie in Frankreich viele Menschen der Demokratie enttäuscht den Rücken zugewandt.

Der Grund zeigt sich in Frankreich besonders deutlich: 2 von 3 Franzosen halten die Politiker insgesamt für "korrupt", gar 80 Prozent sagen, die Regierung kümmere sich nicht um sie. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Situation in Frankreich mit der in Deutschland glücklicherweise nicht vergleichen lässt. Hierzulande vertrauen immerhin noch 57 Prozent der Menschen ihrer Regierung - mit der jüngsten Wahl haben sich die Zahlen kaum verändert. Ein durchaus stabiler, wenn auch nicht wirklich guter Wert. Jedoch ein Wert, der sich erklären lässt und der Hoffnung macht...

Frankreich-Wahl: Was Deutschland den zentralistischen Franzosen voraus hat 

Schaut man auf die Gründe für das erodierende Vertrauen in Frankreich, so zeigte sich schon bei meinem Besuch im Jahr 2017, dass die Menschen "Paris und ihre Regierenden" für "abgehoben", für "elitär", für "im Elfenbeinturm" halten. Gewiss, diese Schlagworte hören wir - zu Recht - auch über Politiker in Berlin häufig. Und doch erscheint den Menschen - ich zitiere wieder aus meinem Artikel aus dem Jahr 2017 - "das zentralistisch aufgestellte Paris mit minimaler Anbindung zur Bevölkerung in ihren Wahlkreisen hunderte Kilometer entfernt" fast wie ein Raumschiff aus einer anderen Galaxy. 

Der Webfehler Frankreichs liegt in seinem zentralistischen System. Mag man - gerade in der Corona-Krise - über das föderal aufgestellte Deutschland oft den Kopf geschüttelt haben. Am Ende sind es doch die Kommunen und die Regionen, die einen ganz anderen Stellenwert haben. Die eine "Politik zum Anfassen vor Ort" ermöglichen. Wo Entscheidungen oft (leider immer seltener) dort gefasst werden, wo die Menschen verankert sind. Dort gefasst werden, wo stadtbekannte Menschen ihre Politik noch direkt erklären müssen. Allein daher gehört jede Forderung verbal gegeisselt, die weniger Autonomie der Kommunen oder gar "Gebietsreformen" verlangt. Mehr Zentralismus führt zu mehr Politikerverdrossenheit. Weniger Zentralismus und mehr Autonomie der Kommunen muss die Antwort auf die Frage sein, wie wir es schaffen, Menschen zurückzugewinnen, die den Glauben an die Demokratie verloren haben, ihr den Rücken gekehrt haben. 

Bedenkliche Entwicklung: Die Ergebnisse der Frankreich-Wahl in ländlichen Regionen

Dabei muss vor allem das extrem gute Abschneiden von Le Pen bei dieser Frankreich-Wahl in den ländlichen Regionen aufrütteln. Zukunft, Wertschöpfung und Wohlstand dürfen auch bei uns nicht nur urban definiert werden. Auch hier hilft ein Blick in die USA. Nach der Wahl von Donald Trump etwa hatte ich in einem Leitartikel aufgezeigt, warum wir die ländlichen Räume in Deutschland stärken müssen, wollen wir nicht ähnliche Verhältnisse erleben, wie in den USA. Zitat: "Während die urbanen Städte wie New York oder Los Angeles im tiefen blau der Demokraten gefärbt waren, wurde die Karte der Wahlergebnisse mit jedem Kilometer tiefer in die Provinz immer tiefer rot, die Farbe der Trump-Anhänger." Die Gründe: "Als „White Trash“ wurden in Großstädten wie New York oder Washington die Trump-Fans im Wahlkampf oft bezeichnet. Vor allem in der US-Hauptstadt wird über die „Kleinstädter“ in der Provinz gelästert. „Hinterwäldler“ ist da noch einer der harmlosen Bezeichnungen." 

Wer die ländlichen Regionen abhängt, wird Hass aus ländlichen Regionen ernten. Politik, auch in Berlin, sollte sich immer wieder bewusst machen, dass 9500 der rund 11.000 Kommunen in Deutschland weniger als 10.000 Einwohner haben. Es wäre fatal, diese weiter abzuhängen.

Die "Bubble-Berlin" schaut aber fast immer "nur" auf diese gerade mal rund 190 Städte in Deutschland mit mehr als 50.000 Einwohnern. Aktuellstes Beispiel: Die Diskussion um das 9,-Euro Ticket. Schön, wenn das Bahnfahren in der Stadt günstiger wird. Auf dem Land geht es aber darum, dass überhaupt ein Bus fährt. Der Ticketpreis ist zweitrangig, wenn der Bus nur 2 mal am Tag fährt. Oder eben gar nicht. Und die Benzinpreis-Diskussion (sollen die Leute doch umsteigen) tut bei Pendlern ihr Übriges. Mit einer solchen Haltung sind wir auf dem besten Weg zu französischen und amerikanischen Verhältnissen. Wollen wir das wirklich?