Wähler als grafische Darstellung
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Was der Bürger will

Bürgerumfragen sind meist sinnlos!

Kommunen sollten sich vor kommunalen Bürgerumfragen per Brief oder gar online hüten. Sie liefern faktisch nie repräsentative Ergebnisse, warnt Forsa-Chef Manfred Güllner im KOMMUNAL-Gastbeitrag.

Die Zahl der Nichtwähler bei kommunalen Wahlen ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Bei Wahlen zu den Gemeindevertretungen beteiligten sich flächendeckend meist nur noch die Hälfte oder noch weniger aller Wahlberechtigten. Und bei nicht mit der Wahl zur Gemeindevertretung gekoppelten Direktwahlen der Bürgermeister ist die Beteiligung noch deutlich geringer. Ein wesentlicher Grund für die steigende Zahl der Wahlverweigerer vor Ort ist, dass lautstark artikulierende Minoritäten mit ausgeprägten Partikular-Interessen immer öfter Gehör vor allem in den neuen, aber zunehmend auch in den klassischen Medien finden.

Bürgerumfragen als Lösung ungeeignet

Viele lokale Politiker lassen sich deshalb dazu verleiten, das als Meinung der Mehrheit der Bürger misszuinterpretieren und ihre Entscheidungen daran zu orientieren. Die eher schweigsame Mehrheit der Bürger aber wird dadurch verärgert und reagiert mit Wahlenthaltung. Um sich vor den zunehmenden Fehleinschätzungen zu wappnen, dass Minoritäten – wie etwa aktuell die „Querdenker“ in der Corona-Krise – die Meinung einer nennenswerten Zahl der Bürgerinnen und Bürger repräsentieren, sind hinreichende und valide Informationen über den eigentlichen Bürgerwillen für die politischen Akteure vor Ort deshalb notwendiger denn je, um den Unmut der Bürger nicht noch größer werden zu lassen.

Hirnrissiges Wahlverfahren in Hamburg



Dieser Unmut wird auch nicht durch die zunehmenden Angebote direkter Beteiligung der Bürger bei vor Ort anstehenden Entscheidungen gemindert; denn daran beteiligen sich – wie fast alle Plebiszite in den letzten Jahren

belegen – überwiegend auch nur die Gruppen mit Partikular-Interessen, aber nicht die „schweigende Mehrheit“, deren Interessen ganz anders gelagert sind. Beispiele finden sich zuhauf; erinnert sei nur an den Hamburger Bürgerentscheid zur Änderung des Wahlrechts, bei dem eine Minderheit von 21 Prozent der großen Mehrheit ein völlig hirnrissiges Wahlverfahren beschert hat, das zu höherer Wahlenthaltung und einer größeren Zahl ungültiger Stimmen geführt hat.

Stärker an Interessen der Mehrheit orientieren

Der Unmut über die Politik vor Ort kann nur abgebaut werden, wenn sich die politischen Akteure in den Städten und Gemeinden wieder stärker an den Interessen und Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen vor Ort orientieren. Dazu müssten aber diese Interessen und Bedürfnisse auch bekannt sein. Deshalb führen einige wenige Städte unter Federführung der jeweiligen statistischen Ämter der Stadt in statistischem Behördendeutsch „KBU’s“ genannte „Kommunale Bürgerumfragen“ durch.

So löblich dieser Ansatz ist, so scheint er doch zu viele Schwächen zu haben, um den tatsächlichen Informationsbedarf auch befriedigen zu können. So werden diese „Bürgerumfragen“ in aller Regel mithilfe eines schriftlichen, postalisch verschickten Fragebogens durchgeführt – zum Teil mit der zusätzlich angebotenen Möglichkeit, die Fragen auch online zu beantworten. Schriftliche Befragungen sind aber wie simple Online-Umfragen mit einer Vielzahl von methodischen Mängeln behaftet. Vor allem kann nicht kontrolliert werden, wer letztendlich die Fragen beantwortet oder wer in seinem Antwortverhalten von wem oder welchen Interessensgruppen beeinflusst wurde.

Zudem ziehen sich diese Befragungen über Wochen oder sogar Monate hin und für die Auswertung wird meistens fast ein Jahr benötigt. Doch was sind Daten über die Befindlichkeiten der Menschen von 2019 in der aktuellen Corona-Krise noch wert? Diese auch offiziell als „Informationen der Kommunalstatistik“ charakterisierten Daten sind alles in allem keine allzu hilfreichen Informationen für die politischen Entscheidungsträger einer Gemeinde oder Stadt – zumal wenn ein gerade in der CoronaKrise wichtiges Merkmal, nämlich die politische Orientierung, gar nicht erhoben wird.



Um der Realität entsprechende Informationen über das zu erhalten, was die Menschen in der jeweiligen Stadt oder Gemeinde bewegt und so die kommunale Politik bei der Umsetzung der Ergebnisse auch fundiert beraten zu können, sollte deshalb auf Institute oder Personen, die sowohl Erfahrungen mit empirischer Sozialforschung als auch in der Politikberatung haben, zurückgegriffen werden. Doch die Auswahl von Anbietern, die für die Aufgabe der Informationsbeschaffung und der Beratung politischer Akteure vor Ort geeignet sind, ist angesichts der Entwicklungen in der Institutslandschaft schwieriger geworden.

Datenerhebungen oft interessensgeleitet

So findet zum einem im Segment der Sozial- und Politikforschung ein extremer Konzentrationsprozess statt, so dass früher selbständig agierende Unternehmen heute von Konzernzentralen in Großbritannien, Frankreich oder den USA mit der Maxime der Profitmaximierung gesteuert werden. Zudem gibt es immer öfter interessengeleitete Datenerhebungen, die die Meinungsbildungsprozesse der Bürger in bestimmte Richtungen lenken sollen. So erhebt etwa der Digitalverband Deutschland („Bitkom“) regelmäßig selbst Daten, die regelmäßig große Unterstützung und Akzeptanz aller Tendenzen und Entwicklungen zur Digitalisierung suggerieren.

Forsa-Chef Manfred Güllner
Forsa-Chef Manfred Güllner: "Kommunale Bürgerumfragen ohne die schweigende Mehrheit."



Auf den Webseiten der verschiedenen Medien finden sich auch immer öfter als Umfragen getarnte Unterhaltungstools – so zum Beispiel von Start-Up-Unternehmen wie Opinary oder Civey. Während aber Opinary nicht behauptet, damit auch repräsentative Ergebnisse zu liefern, werden Ergebnisse von Civey auch von Medien

und anderen Nutzern als verlässliche, repräsentative Ergebnisse gewertet. Doch das ist eine grobe Irreführung; denn mithilfe solcher „Klick-Tools“ können – wie der Berufsverband der Deutschen Markt- und Sozialforscher zutreffend festgestellt hat – keine repräsentativen Ergebnisse ermittelt werden.

Selbst bei einfachen soziodemographischen Merkmalen wie dem Geschlecht gibt es bei derart „erhobenen“ Daten extreme Abweichungen. So gaben von 24.665 von Civey per „Klick-Tool“ Kontaktierten 17.192 (69,7 Prozent) „männlich“ und nur 6.043 (24,9 Prozent) „weiblich“ an. Die restlichen 5,8 Prozent gaben „divers“ an oder machten keine Angabe dazu, ob sie männlich oder weiblich sind. Bei solchen „Klick-Tools“ erreicht auch – wie die FAZ berichtet – „die rechts-populistische AfD gerne mal die Werte der Union“, weil Manipulationen durch AfD-Anhänger nicht nur möglich sind, sondern – wie die FAZ berichtet – auch stattfinden.

Klick-Tool-Ergebnisse überbewertet

Auf Basis solcher verzerrender und unzutreffender Daten können Entscheidungen der Politik noch mehr, als es heute schon der Fall ist, in die Irre geführt werden. Beim VKU (Verband der kommunalen Unternehmen) ist das etwa zu beobachten. Hier fließen solche „Klick-Tool“-Ergebnisse – wie der VKU verlautbart – „sofort in die redaktionelle und politische Arbeit“ des Verbandes ein, obwohl die als Meinung von „kommunalen Entscheidern“ ausgewiesenen Ergebnisse gar nicht auf der Meinung dieser Entscheider beruhen können. Laut Civey gibt es nämlich 6,8 Prozent oder hochgerechnet 4,2 Millionen „kommunale Entscheider“, obwohl es in Wirklichkeit maximal 540.000 wirkliche kommunale Entscheider gibt.



Der Ratschlag des Berufsverbands der deutschen Markt- und Sozialforscher, „in jedem Fall Anbieter und Methode genau zu prüfen und deren (Un-) Verlässlichkeit bewusst zu hinterfragen“, gilt insofern auch und gerade für die kommunale Politikebene. Die für die Entscheidungsprozesse vor Ort dringend erforderlichen Daten sollten nur von Anbietern erhoben und nicht auf undurchsichtige Weise „generiert“ werden, die die Zuverlässigkeit in jeder Hinsicht (Auswahl der Erhebungsmethode, Formulierung der Fragen, Auswertung und Interpretation der Ergebnisse, Beratung bei der Umsetzung der Befunde etc.) leisten.