Unterbringung
Hilferuf der Kommunen: Wohin mit den Flüchtlingen?
Aktualisiert am 22.September 2022
"Die Gemeinde beschlagnahmt die Räume" schreibt die Lokalzeitung. "Knapp zwei Wochen haben die Holzwickeder Vereine Zeit, ihre Räume im Montanhydraulikstadion auszuräumen. Die Kommune erwartet Geflüchtete – und weiß nicht mehr, wo sie diese unterbringen soll." Auch wenn Bürgermeisterin Ulrike Drossel nicht von Beschlagnahme sprechen will, so macht sie im Gespräch mit KOMMUNAL doch deutlich, dass die Gemeinde Holzwickede dringend Platz für die zunehmende Zahl an Flüchtlingen benötigt - und es ohne Verzicht bei den Vereinen nicht gehen wird. Menschen werden auch im Sportlerheim auf einem anderen Sportplatz untergebracht. "Wir haben derzeit neun verschiedene Unterkünfte und Wohnungen belegt", berichtet die Bürgermeisterin, "61 der aktuell 222 Geflüchteten kommen aus der Ukraine. Viele sind auch privat untergekommen." Als nächstes müsse neben kurzfristig angemieteten Containern eine Mehrzweckhalle umgebaut werden, dort finden bislang Ausschusssitzungen, Sportkurse und kulturelle Veranstaltungen statt.
Kommunen fehlen Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge
Die 17.500-Einwohner-Gemeinde in Nordrhein-Westfalen setzt auf interkommunale Zusammenarbeit und auch auf die Kirche. "Wir haben uns auch an die Bezirksregierung gewandt, doch auch die ist ebenfalls am Limit bei der Unterbringung", so Drossel. "Bei uns im Landkreis Unna haben alle Gemeinden die gleichen Probleme, sie sind am Rand der Kapazitäten angekommen", sagt die Kommunalpolitikerin. "Die Situation ist schwieriger als 2015, als syrische Flüchtlinge zu uns kamen, denn Frauen und Familien mit Kindern sollen zentrumsnah untergebracht werden." Mit Sorge gehe man dem Winter entgegen. Im Januar oder Februar werde ein von einer Behörde genutztes Gebäude frei, doch wo sollen die Menschen bis dahin unterkommen?
Bürgermeister schlagen Alarm
Die Situation im Kreis Unna ist kein Einzelfall. Viele Kommunen wissen tatsächlich nicht, wie sie den Flüchtlingsanstieg bewältigen soll. In Ravensburg (Baden-Württemberg) wird die Kreissporthalle als Behelfsunterkunft genutzt. Die Stadt Fellbach (Rems-Murr-Kreis) sucht dringend zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten für weitere ukrainische Flüchtlinge. Dabei will die Stadt unbedingt vermeiden, Flüchtlinge in Turnhallen unterzubringen, wie Oberbürgermeisterin Gabriele Zull unterstreicht. Die Flüchtlingslage in der Gemeinde Eslohe im Hochsauerlandkreis ist so angespannt, dass Bürgermeister Stephan Kersting Alarm schlägt.
Flüchtlingsgipfel gefordert
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert - wie auch der Deutsche Städtetag und der Landkreistag- einen baldigen Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen. "Der Gipfel ist notwendig, denn die Lage ist angespannt und wir brauchen gemeinsame Lösungen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, auf Anfrage zu KOMMUNAL. "Zurzeit sind 1.008.635 ukrainische Flüchtlinge registriert. Nach der Aufhebung vieler coronabedingter Reisebeschränkungen steigt auch die Zahl der Asylbewerber aus anderen Ländern deutlich an. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres wurden 113.171 Asylanträge in Deutschland gestellt. Das sind rund 17 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum", so Landsberg.
Landsberg: Flüchtlinge gerechter verteilen
Der Andrang von Flüchtlingen bereitet in vielen Bundesländern zunehmend Probleme. Teilweise sind Standorte überlastet, mancherorts werden sogar Hotelzimmer knapp. "Wir brauchen eine gesicherte und gerechte Verteilung zwischen den Bundesländern, aber auch innerhalb der Bundesländer zwischen den Kommunen. Bei der Zuweisung von Asylbewerbern muss auch die Zahl der aufgenommen Ukraineflüchtlinge berücksichtigt werden", fordert Landsberg. Zur Entlastung der Kommunen sollten die Bundesländer sich verpflichten, ihre Erstaufnahmekapazitäten weiter auszubauen. "Das ist auch deshalb notwendig, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass in Winterzeiten – möglicherweise auch durch eine zusätzliche Verschärfung des Krieges in der Ukraine – die Zahlen deutlich steigen. Eine Entspannung der Lage ist deshalb kurzfristig nicht zu erwarten. Das gilt umso mehr, als in Folge des Ukraine-Krieges auch in anderen Herkunftsländern die Versorgungslage sich verschlechtern hat."
Kita- und Schulplätze fehlen
Der Vertreter des kommunalen Spitzenverbandes fordert: "Gleichzeitig brauchen wir eine deutlich bessere Finanzausstattung, auch der Kommunen, die die Hauptlast der Unterbringung, Versorgung und Integration tragen. Es werden zusätzliche Kita-Plätze, zusätzliche Plätze in den Schulen benötigt. Auch der Bau von zusätzlichen Unterkünften wird nötig sein. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe muss von Bund und Länder auskömmlich und nachhaltig finanziert werden. Gleichzeitig brauchen wir eine Verstärkung der Sprach- und Integrationskurse." Gerade wegen des enormen Fachkräftemangels könne das Potenzial, insbesondere der Flüchtlinge aus der Ukraine, noch besser genutzt werden.
Auch im nordrhein-westfälischen Holzwickede und in den umliegenden Kommunen gibt es schon lange Wartelisten für die Kitas, in den anderen Kommunen sieht es genauso aus. "Die Frage ist auch, wo die Kinder beschult werden sollen", sagt Bürgermeisterin Ulrike Drossel.
Auf dem Flüchtlingsgipfel sollten die Ziele verbindlich vereinbart werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte sich zu einem Spitzentreffen bereit, verwies aber auch auf die vom Bund bereits geleistete Hilfe. „Mehr als eine Million Geflüchtete aufzunehmen und zu versorgen ist ein großer humanitärer Kraftakt“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Allen, die in Bund, Ländern, Kommunen und zahllosen Initiativen für die Geflüchteten aus der Ukraine da sind, verlangt diese Aufgabe sehr viel ab. Es ist klar, dass diese Belastung noch größer wird, je länger dieser Krieg andauert.“
Austausch zu Flüchtlingen mit Kommunen
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums teilte auf Anfrage von KOMMUNAL mit, dass die Ministerin die kommunalen Spitzenverbände zu einem Austausch eingeladen habe. Der Termin werde voraussichtlich im Oktober sein. Sie wies darauf hin, dass der Bund die für Fragen der Unterbringung zuständigen Länder im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstütze. Als Beispiel nannte sie die Überlassung von Bundesimmobilien. Aktuell stünden den Ländern über 300 Liegenschaften mit einer Kapazität von rund 57.000 Unterbringungsplätzen zur Verfügung.