Im kleinen Wunsiedel wird Zukunft Realität Blick auf den Ort
In Wunsiedel geht es mit der Energiewende zügig voran.
© Stadt Wunsiedel

Energiewende

Eine Kleinstadt produziert mehr Strom als sie benötigt

Wirtschaftsminister Habeck wurde in diesen Tagen viel gescholten, weil er den Diener vor Katar machte. Zum Abschied erklärte der Energiemininster aus Arabien ihm dann, nichts sei ausgemacht, viele wollten Gas kaufen. Ein Dilemma. Zwar gibt es auch in Deutschland Reserven an Öl, Gas und Kohle mindestens bis zum nächsten Winter - doch die Panik ist groß. Nicht so im oberfränkischen Wunsiedel. Die Kleinstadt produziert schon lange mehr Energie, als sie verbrauchen kann.

Der frühe Vogel fängt den Wurm. Man könnte auch sagen: Wer früher anfängt, ist eher fertig. Das gilt nicht nur für das tägliche Arbeitspensum, sondern auch für die Energiewende. Den "Wunsiedler Weg" nennt die Kommune mit ihren weniger als 10.000 Einwohnern im oberfränkischen Fichtelgebirge selbstbewusst ihre schon weit gediehene Entwicklung zur Klimaneutralität. Die bereits Anfang des Jahrtausends aufgestellten Ziele: Energieeffizienz erhöhen, Energie einsparen, erneuerbare Energien fördern. Seit 20 Jahren setzt Wunsiedel dabei auf eine dezentrale Versorgung aus regenerativen Quellen und der Zusammenarbeit von vielen kleinen Kraftwerken. Auch die Herausforderungen wurden klar benannt: Finanzierung, Akzeptanz schaffen, die soziale Gemeinschaft stärken, lokale Märkte einbinden und Marktanreize für neue Technologien setzen. 

Energieversorgung in Wunsiedel sichergestellt

Bereits im Jahr 2001 wurden in Wunsiedel die ersten Konzepte zur Energiewende abgesegnet. 2004 stand die erste Bürgersolaranlage. 2010 folgte das sogenannte Satellitenkonzept zur Nutzung des Rohstoffes Holz. Die Reste aus der Holzproduktion werden in einem Biomasse-Heizkraftwerk in Strom und Holzpellets umgewandelt. Letztere nutzen andere Kraftwerke, die Wunsiedel mit Wärme versorgen. 2016 entstand in der Kleinstadt ein Batteriespeicher - der größte in Bayern - mit einer Gesamtleistung von 10,3 Megawattstunden. In diesem Jahr folgt ein weiterer. Mit 100 Megawattstunden Kapazität wird die Anlage im kleinen Wunsiedel dann der größte in Europa sein. 

Haus der Energie in Wunsiedel

Wasserstoff? In Wunsiedel schon am Start

Im Sommer 2021 erfolgte im Wunsiedeler Energiepark der Spatenstich für Bayerns größte Elektrolyseanlage. In Zusammenarbeit mit einen Partner aus der Industrie und einem regionalen Gaslieferanten haben die Wunsiedeler Stadtwerke 2020 das ehrgeizige Projekt "WUN H2" auf den Weg gebracht. Gerade nicht benötigter Strom aus regenerativen Quellen wird hier zukünftig in Wasserstoff umgewandelt - und gespeichert. Nicht benötigter ÖKO-Strom gibt es in Wunsiedel  reichlich. An manchen Tagen wird hier bis zu 200 Prozent mehr Energie produziert, als Bürgerschaft und Industrie abnehmen. Aus den Überschüssen sollen zukünftig in der Endausbaustufe jährlich bis zu 2.000 Tonnen des begehrten Grünen Wasserstoffs erzeugt werden, die bei den großen Industriebetrieben in Nordbayern, Thüringen, Sachsen sowie im Westen Tschechiens die Dekarbonisierung voranbringen sollen. Beginn des Probebetriebs: dieses Frühjahr.

Zusätzlich wird eine Agri-Photovoltaik-Freiflächenanlage mit bis zu 45 MW errichtet. Der Geschäftsführer der Stadtwerke, Marco Krasser erklärt: "Der jährliche Einsparungseffekt auf die CO2-Emissionen beträgt etwa 13.500 Tonnen. Ebenfalls wichtig für die positive Bilanz: Die bei der Wasserstoffproduktion anfallende Abwärme sowie der Sauerstoff werden von unseren heimischen Industriebetrieben genutzt." Ebenfalls im Aufbau befindlich: eine H2-Tankstelle in Wunsiedel. Damit wollen die Verantwortlichen Anreize für Unternehmen schaffen, auch ihre Schwerlaster auf den Brennstoffzellen-Betrieb umzustellen.    

Wasserstofflösungen

Investitionen lohnen sich

Etwa 150 bis 200 Millionen Euro war der kleinen Kommune und der Bürgerschaft ihre neutrale und im Notfall auch autarke Energieversorgung bislang wert. Dabei ist die Autarkie nicht die Triebfeder der Wunsiedeler Initiativen. Ziel sei es vielmehr, sagt der Geschäftsführer, ein aktiver Teil eines effizient arbeitenden Verbundsystems zu sein - und das möglichst ohne Fremdmittel.  "Abgesehen von unseren Nahwärmenetz haben wir alle Projekte ohne Fördermittel finanziert. Jedes einzelne arbeitet wirtschaftlich und auch die Bürger haben die Notwendigkeit der Veränderung und auch ihren Vorteil erkannt", meint Marco Krasser. Er bezeichnet seine Kommune stolz als einen möglichen Baukasten für die Blaupause einer gelungenen Energiewende in Deutschland. "Alle Elemente einer sektorübergreifenden, CO2-neutralen und dezentralen Energiezukunft werden bei uns umgesetzt und sie werden, sofern die Skalierbarkeit gegeben ist, auch anderswo funktionieren", so der Geschäftsführer. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der ZukunftsEnergie Nordostbayern GmbH (ZENOB), in der mehrere Kommunen vertreten sind, verstärkt Wunsiedel nun auch die interkommunale Zusammenarbeit, um die Energiewende in der Region voranzubringen. 

"Die Welt hat kein Energieproblem"

Eigentlich, sagt Marco Krasser, gebe es weltweit überhaupt kein Energieproblem. "Das größte Kraftwerk ist die Sonne. Der praktisch nutzbare Teil beträgt etwa das 3.100-fache des derzeitigen Weltenergieverbrauchs. Die technische Herausforderung einer sicheren Versorgung mit Energie liegt in deren zuverlässiger Bereitstellung in geeigneter Form, am gewünschten Ort und zur richtigen Zeit." Die Frage ist eher, zu welchen Kosten das möglich ist. Gerade in der hochverschuldeten Kleinstadt Wunsiedel durchaus ein Thema. Jahrelang stand die Stadt wegen der hohen Schulden unter der Finanzhoheit des Landkreises. Fast 200 Millionen Euro Investitionen waren daher alles andere als ein Pappenstiel - aber wichtig, um langfristig nicht von Russland, Katar oder anderen undemokratischen Staaten abhängig zu sein. 

 

In der ZDF-Mediathek: Terra Xpress-Sendung über Wunsiedel

Fotocredits: Stadt Wunsiedel