Deutschland läuft auf ein Ende der Volksparteien zu, meint Forsa-Chef Manfred Güllner
Deutschland läuft auf ein Ende der Volksparteien zu, meint Forsa-Chef Manfred Güllner

Forsa Aktuell

Das Ende der Volksparteien? Spannende Zahlen vor der Bundestagswahl

Das Ende der Volksparteien wird immer deutlicher sichtbar. „Auf kommunaler Ebene zeigt sich, wohin der Trend geht“, meint Forsa-Chef Manfred Güllner mit Blick auf die anstehenden Bundestagswahlen.

Die Volksparteien haben es schwer. Der stetige Abwärtskurs der SPD zeigt dieses besonders deutlich. Nicht nur deshalb dürfte die Bundestagswahl im September dieses Jahres daher eine tiefe Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik markieren. Vor allem für viele Jugendliche und junge Erwachsene, die bislang nur Merkel als Kanzlerin kannten, ist es eine neue Erfahrung, dass das Kanzleramt kein Erbhof ist, sondern an sich immer wieder durch andere politische Akteure besetzt wird. Zudem wird das Land nach dem 26. September von einem Parteienbündnis regiert werden, das es so bislang noch nicht gab: entweder von einer schwarz-grünen Koalition, einer „Ampel“ aus Grünen, SPD und FDP, einer Koalition aus CDU, CSU, SPD und FDP oder einer Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, Grünen und FDP. Doch noch dramatischer und nachhaltiger dürften die Auswirkungen des Wahlergebnisses für das gesamte politische System – und somit auch für die kommunale Politikebene – dadurch sein, dass mit dem 26. September das oft beschworene Ende der einstmals zu Recht als Volksparteien bezeichneten Parteien – Union und SPD – nun endgültig Realität werden könnte.

Die Volksparteien im Abwärtstrend

Rechnet man die in den Umfragen Anfang Juni ermittelten Werte für die Union und die SPD auf die Gesamtheit der Wahlberechtigten hoch, dann würden sich knapp vier Monate vor dem Wahltermin nur noch rund 30 Prozent aller Wahlberechtigten für eine dieser beiden Parteien entscheiden. Damit erreicht die seit Mitte der 80er Jahre zunächst schleichende, dann immer stärker werdende Zersplitterung der Parteienlandschaft ihren bisherigen Höhepunkt. Wurden 1976 Union und SPD noch von 82 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt schrumpfte der Anteil beider Parteien bis 2009 – also schon bevor die AfD existierte – auf 40 Prozent. Ob der Niedergang von Union und SPD mit dem Ergebnis vom 26. September zum Stillstand kommt, ist fraglich; denn ein weiterer Schrumpfungsprozess ist nicht auszuschließen.

In den Kommunen zeigt sich der Trend weg von den Volksparteien noch deutlicher

Auf kommunaler Ebene zeigt sich: Auch ein fast völliges Verschwinden der einstigen Volksparteien ist möglich. Beispiel: Monheim am Rhein. Hier wurde die lange Jahrzehnte in der Stadt dominierende politische Kraft, die SPD bei der letzten Kommunalwahl 2020 nur noch von 5 von 100 Wahlberechtigten gewählt. Die CDU erhielt in Monheim 2020 nur noch die Stimmen von 13 Prozent aller Wahlberechtigten. Damit hatte noch nicht einmal jeder fünfte der Monheimer Wahlberechtigten einer der beiden früheren Volksparteien seine Stimme gegeben. Dominierende politische Kraft in Monheim ist jetzt die 1999 zum ersten Mal für den Rat der Stadt kandidierende einstige Jugendpartei „PETO“, die 2020 von über 33 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt wurde.

Ob es Union und SPD gelingt, in den verbleibenden Wochen und Monaten bis zur Wahl im September doch noch etwas mehr Wähler als Anfang Juni zur Stimmabgabe für sich zu bewegen, hängt im Wesentlichen davon ab, welchen Bewerber für das Kanzleramt die Wahlbürger am ehesten für kanzlerfähig halten und welcher Partei die größte politische Kompetenz zugebilligt wird.

Die Volksparteien verlieren

Anfang Juni waren die Präferenzen für die beiden männlichen Bewerber und die weibliche Bewerberin eher verhalten. 43 Prozent haben, Stand Juni,  Zweifel, ob Baerbock, Laschet oder Scholz ein geeigneter Kanzler oder eine geeignete Kanzlerin sind. Über die Hälfte aller Wahlberechtigten hält Anfang Juni auch keine der politischen Parteien für politisch kompetent und in der Lage, mit den Problemen im Land fertig werden zu können.

Hinzu kommen schlechte Kompetenzwerte für die Kandidaten der ehemaligen Volksparteien

Mangelnde Kompetenz und ein eher schwacher Kanzlerkandidat dürften somit der SPD keinen nennenswerten Wählerzulauf bis zum September bringen. Auch das schlechte Abschneiden der SPD bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt macht der SPD wenig Hoffnung, bis zum Herbst noch viele neue Anhänger zu gewinnen. Die Union darf – vor allem auch nach dem guten Ergebnis in Sachsen-Anhalt - darauf hoffen, dass ihr politischer Kompetenzwert stabil bleibt und Laschet einige der Vorbehalte gegen seine Person abbaut. Die grüne Kanzlerkandidatin hat seit ihrer Nominierung in der Beliebtheit 8 Prozentpunkte eingebüßt. Durch ihre schwindende Attraktivität und die im Vergleich zur Union geringere politische Kompetenz liegen die Grünen Anfang Juni anders als unmittelbar nach der Nominierung von Baerbock und Laschet wieder hinter der Union. Und das Ergebnis in Sachsen-Anhalt hat erneut gezeigt, dass die Grünen im Osten des Landes ein großes Akzeptanzproblem haben.

Die Themen der Volksparteien

Unabhängig davon, wie sich die Präferenzen für die einzelnen Parteien in den letzten Wochen bis zur Wahl im September noch ändern: Das Ende der Volksparteien dürfte nach dieser Bundestagswahl mit großer Wahrscheinlichkeit eingeläutet werden. Dafür spricht auch, dass auf den Vertrauens- und Bedeutungsverlust hinweisende Warnsignale in der Vergangenheit meist ignoriert wurden. Nach schlechten Wahl- oder Umfrageergebnissen waren immer Verdrängungshilfen gefragter als realistische Analysen über die Gründe des Vertrauensschwundes. So aber konnte und kann die Abwanderung der einstigen Wähler von SPD und Union nicht eingedämmt oder verhindert werden.