Innenstädte Einkaufsmeilen retten
© Adobe Stock

Innenstädte

Hört auf, Deutschlands Einkaufsmeilen retten zu wollen!

Nur weil sie lange da waren, heißt das noch lange nicht, dass wir die Einkaufsstraßen unbedingt retten müssen. Im Gegenteil. Wenn die Innenstädte oder vielmehr die Einkaufsmeilen leerer werden, kann das Vorteile haben, meint Christian Erhardt.

Wenn einige in diesen Corona-Tagen vom Totenglöckchen für unsere Innenstädte sprechen, möchte ich ihnen entgegenwerfen: Das ist kein Glöckchen mehr, das ist mindestens schon der Dicke Pitter, die 24.000 Kilogramm schwere Petersglocke im Südturm des Kölner Doms und die größte freischwingende Glocke der Welt. Wer den brachialen Tieftöner noch immer nicht gehört hat, der hat nen Hörschaden. Entschuldigen Sie die harten Worte, aber es macht mich fassungslos, wenn uns Stadtplaner immer noch erzählen wollen, „das wird schon wieder, ihr braucht nur den richtigen Ankerkunden“. Nichts wird! Die großen Warenhäuser sind am Ende, die Kunden wollen online einkaufen, ein Drittel aller Büroflächen in Deutschland werden überflüssig, weil die Menschen immer mehr von daheim arbeiten. Weg von der Ladenfläche hin zu mehr Bürofläche ist also auch keine Lösung. Aber was dann?

Raus aus der Stadt, ab aufs Land

Die Innenstadt von morgen ist multifunktional. Mit Volkshochschule, Kino, Seniorenzentrum, Grundschule und Spielplätzen. Mit Kino, Bücherei und Kulturbühne. Mit StartUp-Unternehmern, Bürgerzentrum und Pop-Up-Store. Gucken gerne, kaufen per App. Und das gilt nicht nur für die Großstadt. Denn gerade die kleinen Gemeinden werden – so sie es richtig anstellen – massiv an Einwohnern gewinnen. Laut neuer Studie denken aktuell neun Prozent der Deutschen darüber nach, umzuziehen. Fast alle haben nur das eine Ziel: Raus aus der Stadt, ab aufs Land.

Einzig bei den Unter-30-Jährigen ist der Trend noch nicht so stark angekommen. Dafür liegt der Anteil derjenigen, die rauswollen aus den Städten bei den 30- bis 40-Jährigen laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Kantar/Emnid sogar bei 15 Prozent.

Das hat Auswirkungen auch und vor allem auf unsere Mittelstädte. Den Trend spüren wir selbst im traditionellen Deutschland deutlich. Lübeck etwa hat einen Teil des Rathauses in die Einkaufspassage verlegt, nämlich den Teil mit Publikumsverkehr. Den neuen Personalausweis gibt’s in der Mall. In Osnabrück hat ein Kaufhaus ein großes Bad mit stehender Welle zum Surfen integriert.

Zugegeben, alles noch nichts im internationalen Vergleich: Wer schon mal in Dubai war, kennt im größten Kaufhaus der Welt die Schlittschuhbahn und die atemberaubende Skihalle auf 23.000 Quadratmetern beschneiter Fläche mitten in der Wüste. Natürlich mit Skilift und allem, was dazu gehört.

Können Leerstandsmanager die Innenstädte wiederbeleben?

Die Innenstadt der Zukunft: Das sind Erlebnis­angebote und Begegnungsräume. In Hanau etwa vergibt die Stadt die Fläche eines insolventen Kaufhauses jeweils für drei Monate sehr kostengünstig an junge lokale Gründer. Damit sie sichtbar werden in der Stadt und so wachsen können. Auch der Kneippkurort Freudenstadt in Baden-Württemberg hat über die städtische Wirtschaftsförderung Pop-Up-Stores in der Innenstadt etabliert. Damit mehr Menschen in die Innenstädte kommen.

Noch wichtiger aber, damit die Räume zwischengenutzt werden und nicht leer stehen. Denn das ist die größte Gefahr für unsere Kernstädte. Erst steht ein Geschäft leer, dann sind es bald drei und immer mehr, ein sogenannter Trading-Down-Effekt. Ein leeres Geschäft wirkt wie ein Vernichter für das nächste Geschäft. Helmbrechts, ein 9000-Einwohner-Dorf im Landkreis Hof, hat daher einen Leerstandsmanager eingestellt. Er spricht mit den Besitzern leerstehender Gebäude, versucht Nachnutzer zu finden und zu vermitteln.

Die Menschen kaufen online

Trotzdem werden Geschäfte natürlich weiter zum Mix in unseren Innenstädten gehören. Und darum reicht es nicht, nur über andere Immobilien-Nutzungen nachzudenken. Wir müssen den Handel auch aktiv unterstützen. Aber auch hier ist klar: Die Menschen wollen online shoppen. Wer das nicht begreift, wird kein Unternehmen mehr wirtschaftlich betreiben können.

Die Stadt Ahaus im Münsterland hat das vorbildlich verstanden und in seine Wirtschaftsförderungs-Strategie eingebaut. Dort gibt es seit einem Jahr ein digitales Stadtquiz. Die Idee: Jeden Abend um 20.40 Uhr müssen die Bürger in einer App Fragen zur Stadt, zur Geschichte, zum kulturellen Leben oder Ähnlichem beantworten. Zu gewinnen gibt es Einkaufsgutscheine, einzulösen bei jedem Unternehmen in der Stadt.

Mit diesen Ideen wollen Kommunen die regionale Wirtschaft stärken

Während der Corona-Krise gab es noch eine Besonderheit: Die Gutscheine mussten innerhalb von 72 Stunden eingelöst werden. So kurbelten sie kurzfristig die Wirtschaft in der Stadt an. Weil online den Menschen eben Spaß macht und der Gutschein auch gleich über die App eingelöst werden kann, bezuschusst von der Stadt. Mit dem Quiz stärkt die Kommune die Unternehmen und gleichzeitig noch die Heimatverbundenheit der Bürger.

Der Landkreis Miesbach derweil versucht es mit der Punkte-Sammel-Leidenschaft der Bürger. Ähnlich den Systemen wie „Deutschlandcard“ und anderen. Punkte und Rabatte mit der Oberlandcard bekommt aber nur, wer bei heimischen Unternehmen einkauft.

Planen wir also die Innenstädte so um, dass sie wieder zum Lebensmittelpunkt der Menschen werden. Und Lebensmittelpunkt wird immer mehr das eigene Zuhause. Weil Pendeln keine so große Rolle mehr spielt. Eine riesige Chance für unsere Innenstädte vor Ort. Denken Sie dran: Handel heißt Wandel! Gestalten wir ihn aktiv!