Online-Sitzung von Ehrenamtlichen in einem Gemeinderat - hier in Tübingen
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Kommunalpolitik

Kommissionsbericht: So sollen Rahmenbedingungen für Ehrenamtliche verbessert werden

Ehrenamtliche in der Kommunalpolitik werden in vielen Gemeinden immer mehr zur "Mangelware". Ein wichtiger Grund: Der enorme Zeitaufwand gepaart mit einem hohen Frustrationspotential. In NRW hat sich eine Kommission des Landtags mit der Frage auseinandergesetzt, wie ein Demokratie-Update aussehen könnte. Ein Kapitel beschäftigt sich auch explizit mit Gemeinderäten und Ehrenamtlichen. Wir zeigen Ihnen das Papier und die Handlungsempfehlungen.

Ehrenamtliche wenden mitunter in Deutschlands Gemeinderäten nicht selten 10 Stunden und mehr pro Woche auf, um ihrer Tätigkeit gerecht zu werden. Eine Bezahlung gibt es nicht, maximal eine Aufwandsentschädigung. Selbst die Bürgermeister sind in großer Zahl in Deutschland ehrenamtlich tätig, mehr als 8.000 der gut 11.000 Bürgermeister machen das neben ihrem eigentlichen Beruf, wie KOMMUNAL in dieser Woche bereits berichtete.  Je schwieriger die Themenfelder werden, desto größer der Zeitaufwand. In größeren Städten ist es längst üblich, dass die Fraktionen hauptberuflich Mitarbeiter beschäftigen müssen, damit diese ihnen die Vorlagen vorbereiten kann. Von faktischen "Halbtagsmandaten" ist etwa in diversen NRW-Großstädten schon die Rede.

Der NRW-Landtag hatte vor über zwei Jahren eine Kommission eingesetzt, die sich des Themas annehmen soll. Die Kommission wurde thematisch deutlich größer gefasst und sollte auch das Thema "Beteiligung an Kommunalpolitik insgesamt" in den Fokus nehmen. Herausgekommen ist nun ein mehr als 140 Seiten langer Abschlussbericht mit insgesamt 85 Handlungsempfehlungen. Viele der Empfehlungen sind nur als Vorschläge formuliert, da sich meist nicht alle Landtagsfraktionen einigen konnten, ob sie die Vorschläge gut finden. Gerade für Kommunalpolitiker finden sich aber doch spannende Hinweise, die häufig auch in den Gremien vor Ort umgesetzt oder in der jeweiligen Hauptsatzung verankert werden können. 

Sitzungen für Ehrenamtliche zeitlich begrenzen 

Immer wieder diskutiert und in dem Papier nun auch konkret vorgeschlagen wird, die Sitzungsdauer zu begrenzen. Es sei sinnvoll, eine klares Ende zu definieren, etwa, dass nach 21.30 Uhr keine neuen Tagesordnungspunkte mehr aufgerufen werden dürfen. Eine weitere Idee zur Verschlankung der Sitzungen ist, dass Fragen zu Tagesordnungspunkten im Vorfeld der Sitzung (z.b. minimal 24 Stunden vor der Sitzung) schriftlich bei der Verwaltung eingereicht werden können - dann werden diese gleich mit dem Aufrufen der Tagesordnung erläutert, so dass die Debatte insgesamt kürzer ausfallen kann. Fragen und Antworten können etwa in den Ratsinformationssystemen eingebunden werden und so alle Abgeordneten vorher besser auf die Sitzungen vorbereiten. 

Ein weiterer wesentlicher Vorschlag bezieht sich auf das Thema Präsenzsitzungen. In einigen Bundesländern wurde während der Corona-Pandemie auf "Hybridsitzungen" umgestellt. Das heißt, dass die Abgeordneten von daheim per Video zugeschaltet werden können und so mindestens Fahrtzeiten sparen. Die Kommission weist aber auch darauf hin, dass so beispielsweise Eltern besser Beruf, Ehrenamt und Familie miteinander verbinden können. Überhaupt ist  die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt ein wichtiger Punkt in dem Abschlussbericht der Landtagskommission. Repräsentationsaufgaben, Kontakte zu Bürgern, Vereinen oder Initiativen und der Besuch von Veranstaltungen steigerten das Belastungsempfinden zusätzlich.

Die Aufhebung der Anwesenheitspflicht hat im Bericht daher breiten Raum bekommen und wird immer wieder empfohlen. Dazu gehört auch das Recht für Ehrenamtliche auf eine Stimmrechtsübertragung. Konkret schlägt die Kommission vor, dass ein verhinderter Abgeordneter für eine begrenzte Zeit einem Fraktionskollegen seine Stimme übertragen kann. Dieser hätte dann zwei Stimmen. Als Beispiel nennt die Kommission Schwangerschaft, Krankheit oder die Pflege von Angehörigen. 

Ehrenamtliche profitieren von der Digitalisierung 

Auch die Digitalisierung sieht der Bericht als Möglichkeit, die Arbeit in der Kommunalpolitik für Ehrenamtliche wieder attraktiver zu machen. Neben der Aufhebung des Anweseneheitsprinzips und der Übertragung des Stimmrechts geht das Papier auf zahlreiche technische Möglichkeiten, etwa über Informationsaustausch im Ratsinformationssystem, ein. Das Stichwort "Open Data" etwa taucht (zum Nachlesen auf Seite 87, das Dokument haben wir unten verlinkt) mehrfach auf. 

Eine Handlungsempfehlung betrifft auch die immer schlechter werdende lokale Berichterstattung über Politik vor Ort. Stichwort: Zeitungsterben vor allem in ländlichen Regionen. Die Kommission empfiehlt daher eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für gemeinnützigen Journalismus. KOMMUNAL hatte mehrfach über das Zeitungssterben und die Auswirkungen berichtet.

Auch das Thema Live-Stream von Ratssitzungen wird deutlich angesprochen. Wörtlich heißt es (Seite 89 im Papier): 

"Die Enquetekommission stellt zudem fest, dass äquivalent zur Übertragung von Plenardebat- ten auf Bundesebene und der darauf aufbauenden Berichterstattung auch landespolitische Themen in Funk und Fernsehen sowie im Rahmen neuer digitaler Formate eine größere Rolle spielen sollten. Die Kommission appelliert ferner an die kommunalen Gremien, die Voraussetzungen für digitale Rats-TV- und Kreistags-TV-Formate zu ermöglichen."

Wie das technisch aussehen kann, welche Rahmenbedingungen es gibt, dazu haben wir Ihnen bei KOMMUNAL ebenfalls mehrere Artikel mit konkreten Tipps zusammengestellt: 

So können Ehrenamtliche für die Zukunft gewonnen werden

Ein spannendes Thema im Bericht ist zudem die Frage, wie in den Kommunen Nachwuchs gewonnen werden kann. Eine Idee der Kommission sind Videospiele. Hier ein Auszug aus dem Bericht: "Gaming ist schon seit längerer Zeit kein Nischenthema mehr. Jenseits der reinen Unter- haltung entsteht mit den Serious Games – sogenannte „ernsthafte Spiele“ – ein Videospiel- bereich, der darauf ausgelegt ist, mithilfe einer Vermischung von Spiel- und Lerninhalten komplexe Themen erlebbar zu machen. Mit Blick auf die politische Bildung können so- nach Serious Games als Tool dazu genutzt werden, das Verständnis für politische Sachver- halte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Partizipation zu stärken."

Ein _Beispiel für solch ein Spiel ist etwa "Papers, please": Es thematisiert ziviles Engagement aus der Perspektive eines kleinen Bürokraten, der Pässe stempeln muss, der dabei aber sehr viel Macht besitzt über das Schicksal von Menschen und sich dann zwischen seiner Pflicht und Widerstand gegenüber einem autoritären Regime bewegt."

Ansonsten finden sich in dem Papier aber auch die Klassiker wieder - etwa die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre, oder direktdemokratische Modelle wie etwa die Senkung der Hürden für Volksbegehren. Aus Sicht von KOMMUNAL überraschenderweise lobend erwähnt wird auch unser Vorschlag, den wir seit Jahren Kommunen immer wieder mit auf den Weg geben: "Die Demokratie per Lotterie retten". Das Papier erwähnt explizit die Möglichkeit, auf kommunaler Ebene freiwillige Beratungsgremien einzusetzen, die Politik beraten. Die Mitglieder können sich aus zufällig ausgewählten Bürgern zusammensetzen. Wie das in der Praxis funktionieren kann, ohne dass nur ein einziges Gesetz geändert werden muss, haben wir Ihnen HIER zusammengestellt. 

Zukunft für Ehrenamtliche - alle 85 Empfehlungen im Wortlaut 

Das Papier gibt auf rund 150 Seiten zudem viele Anregungen, die nicht immer explizit als Empfehlung gekennzeichnet sind. Denn am Ende musste der Bericht ja mehrheitsfähig werden, so dass viele Formulierungen vage blieben, aber dennoch Anhaltspunkte bieten. Es geht etwa um Broschüren speziell für Kinder und Jugendliche um sie an Kommunalpolitik heranzuführen oder auch um Informationskampagnen im Vorfeld von Kommunalwahlen. Wir stellen Ihnen den kompletten Abschlussbericht als pdf zum Herunterladen zur Verfügung. HIER geht es zum Bericht und allen Empfehlungen: