Das Dorfleben neu beleben - eine Gemeinde im Sauerland macht es vor!
Das Dorfleben neu beleben - eine Gemeinde im Sauerland macht es vor!

neues Dorfzentrum

Dorfleben: Kleinen Orten neues Leben einhauchen

Ob erfolgreicher Dorfladen, neues Dorfzentrum oder umgebaute Kinderspielplätze – wie eine erfolgreiche Dorfinitiative gemeinsam mit Vereinen den Sprung in die Zukunft geschafft hat. KOMMUNAL vor Ort in Ottfingen im Sauerland.

Das Dorfleben in den 80er Jahren: Ein Kindergarten, eine Grundschule, Tante-Emma-Laden und eine Bäckerei. Doch das war einmal...Das Landleben heute muss immer häufiger ohne kleinen Supermarkt und vor allem ohne Metzger und Co auskommen. So im etwa war es auch in Ottfingen im Wendener Land. Olaf Arns, Daniel Halbe und Christian Arns können sich noch gut daran erinnern, wie es in ihrem Dorf damals aussah. Ottfingen, knapp über 2.000 Einwohner, beherbergte einst einen Kindergarten und eine Grundschule, drei Tante-Emma-Läden und zwei Bäckereien, ein Schuhgeschäft, eine Metzgerei, ein Haushaltswarengeschäft, zwei Deko- und einen Blumenladen, zwei Elektrofachgeschäfte, eine Volksbank und eine Sparkassenfiliale. Und natürlich auch vier dorfeigene Kneipen.

Aber schon in den 90er Jahren begann – wie in vielen Dörfern und Städtchen – das infrastrukturelle Sterben. Die großen Supermärkte machten den kleinen Händlern den Garaus und mit dem zunehmenden Online-Handel lohnten sich irgendwann auch die Fachgeschäfte nicht mehr. 2017 schloss – trotz guter Konzepte einer eigens gegründeten Dorfinitiative – auch die Grundschule ihre Pforten. Und selbst die letzte Kneipe gab im Dezember 2019 auf.

Das Dorfleben hat Zukunft - Optimismus macht sich im Ort breit...

Olaf Arns, Vorsitzender des Vereins Zukunfts-Werkstatt-Ottfingen e. V., hat dennoch Grund zum Optimismus. Denn die Ottfinger haben es in den vergangenen fünf Jahren als Team geschafft, dem Trend entgegen zu wirken und in Teilen wieder zurückzudrehen. Motor der Entwicklung ist der im März 2017 aus der Taufe gehobene Verein, kurz Z.W.O genannt. Die 350 Mitglieder bilden einen Pool von Menschen, der die Dorf-Entwicklung zügig vorantreibt. Und die Liste der Projekte ist für einen so kleinen Ort eindrucksvoll: Der Dorfplatz wurde neu gestaltet, in der geschlossenen Grundschule wurde ein neuer Kindergarten für derzeit 64 Kinder eingeweiht und ein zehn Kilometer langer Wanderweg mit Ruheplätzen lockt sogar auswärtige Besucher an.

„In den letzten 50 Jahren ging die Entwicklung hin zur Individualisierung. Dieser Trend kehrt sich gerade um.“

Daniel Halbe, Dorfinitiative Ottfingen

Bisheriges Prunkstück der Vereinsarbeit ist der neue Dorfladen. Dort gibt es mehr als 3.000 Produkte, die den Tagesbedarf der Dörfler locker decken. Viele davon aus der Region. „Und zwar nicht zu höheren Preisen als in den umliegenden Supermärkten“, betont Olaf Arns. „Als der letzte Lebensmittelladen in Ottfingen im August 2019 vor der Schließung stand, haben wir eine Dorfversammlung einberufen und gefragt: Was werdet ihr verlieren, wenn es bei uns gar keine Einkaufsmöglichkeit mehr gibt? Unser Vorschlag: Wir schaffen in Eigenregie einen Dorfladen. “ Das Echo war groß und das Engagement der Bürger auch. Die damals gegründete Genossenschaft hat heute 360 Anteilseigner, die zusammen 500 Anteile gezeichnet haben. Und dafür habe der Vorstand nicht etwa bettelnd um die Häuser ziehen müssen, erklärt Olaf Arns, der für die Inneneinrichtung zudem eine Förderung durch das „LEADER-Programm“ für den ländlichen Raum an Land zog. „Das Projekt Dorfladen hat uns gezeigt: Es ist vieles möglich, wenn man nicht darauf wartet, dass von Außen etwas geschieht. Jetzt, wo der Dorfladen auch ihr Laden ist, fahren viele Bewohner tatsächlich nicht mehr zum nächsten Discounter, um ein paar Euros zu sparen. Auch meine Familie kauft fast nur noch im Dorfladen Lebensmittel.“ Und Judith Fischer, derzeit unter anderem Mitglied der Projektgruppe „Kinderspielplätze“, ergänzt: „Ein besonderer Erfolg ist die Sitzgruppe mit Kaffeemaschine, die im Dorfladen eingerichtet worden ist. Für viele ältere Bürger, die nicht mehr so mobil sind, ist das der einzige Platz im Ort, wo sie sich spontan zu einem Plausch – an einem Tag in der Woche auch zu heißen Waffeln – treffen.“  

Trotz kleiner Schritte - das Dorfleben profitiert...

Besonders stolz ist der Verein aber auf die „Kultur-Werkstatt Wendener Land.“ Für den Westteil der ehemaligen Grundschule wird derzeit ein umfassender Umbau geplant, so dass anschließend eine Kleinkunstbühne, ein Kinobereich mit angeschlossenem Café sowie eigenständige Bereiche, die von Kindern und Jugendlichen genutzt werden sollen, vorhanden sein werden. Diese Räume können zudem für Seminare, Workshops und Tagungen – natürlich mit moderner, multifunktionaler Ausstattung – genutzt werden. Und auch das derzeit in Arbeit befindliche Dorfarchiv wird hier untergebracht werden.

Es ist vieles möglich, wenn man nicht darauf wartet, dass von außen etwas geschieht.“

Olaf Arns, Zukunftswerkstatt Ottfingen

Angst davor, große Summen in die Hand zu nehmen, hat der Vorstand des Vereins nicht. Im Mai 2020 beschloss der Wendener Gemeinderat, die Kultur-Werkstatt der Ottfinger mit 115.000 Euro zu unterstützen und dem Verein zusätzlich ein Darlehen in Höhe von 35.000 Euro zu gewähren. Bernd Clemens, der Bürgermeister der Gemeinde Wenden, hat keine Sorge, dass das finanzielle Engagement der Gemeinde sich nicht auszahlen könnte: „Die vielen Dörfer und ihre 17 Ortsvorsteher, die zu Wenden gehören, sind generell von starken Vereinen und einem großen ehrenamtlichen Engagement geprägt. Aber in kaum einem anderen Ortsteil geht es derzeit so kraftvoll und zielgerichtet voran. Der Verein macht ein derart gutes Marketing, dass die Ottfinger Projekte auch überregionale Strahlkraft entwickeln“, so Bernd Clemens. Olaf Arns lacht: „In der Zukunfts-Werkstatt-Ottfingen beziehen wir immer wieder alle Vereine mit ein und entscheiden vieles gemeinsam – und nicht nur nach Eigeninteressen. Dadurch entsteht noch einmal eine ganz andere Dynamik, als wenn wir bei jedem Verein einzeln Überzeugungsarbeit leisten müssten.“

Judith Fischer nickt: „Der Zusammenhalt ist in erster Linie durch die Dorfinitiative Grundschule Ottfingen entstanden, die zwei Jahre vor Z.W.O mega aktiv war und sehr viel Engagement und Initiative eingebracht hat, um die Schließung unserer Schule zu verhindern.“ Und Daniel Halbe, Projektleiter Breitbandausbau, ergänzt: „In den letzten 50 Jahren ging die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hin zu immer mehr Individualisierung. Ich glaube, dieser Trend kehrt sich gerade um – nicht nur durch Corona. Die Menschen suchen wieder den Zusammenhalt und das gemeinschaftliche Engagement.“

Die nächsten Projekte zur Aktivierung des Dorflebens sind schon in den Startlöchern

Darauf wollen die Ottfinger auch in Zukunft bauen, denn der Vorstand hat noch einiges vor. Olaf Arns: „Der Ärztemangel ist ein Thema. Unser Hausarzt – immerhin haben wir noch einen – ist auch schon jenseits der 70. Eine Gaststätte sollte es wieder geben und – wenn ich mir was wünschen dürfte und Geld keine Rolle spielt –, dann hätten wir auch bald wieder eine Grundschule im Ort.“ Judith Fischer sieht noch einen anderen Fokus für die Arbeit des Vereins: „Wir könnten und sollten viel mehr in Sachen Natur- und Klimaschutz machen. Einen Waldlehrpfad könnte ich mir zum Beispiel gut vorstellen.“ Christian Arns, Leiter der Projektgruppe „Dorfarchiv“, stimmt zu: „Im Bereich Ökologie müssen wir uns noch ganz anders aufstellen. Stichwort Steingärten contra wilde Wiesen.“ Und auch Bürgermeister Bernd Clemens hakt sofort ein: „Wir haben doch in Wenden eine Klimaschutzmanagerin installiert. Wir sollten ihre Anregungen sofort zum Anlass nehmen, ein gemeinsames Gespräch zu vereinbaren.“ Hoppla. Geht das im Wendener Land immer so schnell? Der Bürgermeister lacht: „Die Mitglieder von Z.W.O sind überragend gut vernetzt. Denen kann man in Sachen Konzeption, Planung und Umsetzung fast alles zutrauen.“ Das Vertrauen des Wendener Bürgermeisters in die Zukunftswerkstatt Ottfingen ist allerdings keine Einbahnstraße. Daniel Halbe: „Ohne eine offene und lösungsorientierte Zusammenarbeit mit den Fachleuten aus der Kommunalpolitik wären wir wohl kaum so weit gekommen.“