Nach den Kommunalwahlen wird es in vielen Gemeinden keinen Bürgermeister mehr geben
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Hunderte Kommunen bald ohne Bürgermeister

So dramatisch war die Situation in Deutschland noch nie. Am 26. Mai finden in insgesamt 10 Bundesländern Kommunalwahlen statt. In zahlreichen Orten stehen zeitgleich Bürgermeisterwahlen an. Die Frist zur Anmeldung ist inzwischen überall abgelaufen. Damit ist klar: In Hunderten Orten können keine Bürgermeisterwahlen stattfinden. Es gibt keinen einzigen Kandidaten.

Traumjob Bürgermeister? Das war vielleicht einmal. Wenn am 26. Mai in vielen Bundesländern neue Bürgermeister gewählt werden, können zahlreiche Bürger keine Kreuze mehr machen. Der Wahlzettel ist leer. so etwa in Rheinland-Pfalz. Betroffen sind hier Orte mit ehrenamtlichen Bürgermeistern, also mit Menschen, die ehrenamtlich neben ihrem eigentlich Beruf als Vorsteher des Ortes agieren. Das ist im südwestlichen Bundesland mit seiner Struktur aus über 2200 Ortsgemeinden zumeist in Gemeinden mit weniger als 4000 Einwohnern der Fall.

In mehr als 400 Gemeinden hat sich aber bis zum Ablauf der Frist niemand gemeldet, der das Amt übernehmen möchte.

Wie nun doch noch Bürgermeister gefunden werden sollen 

Agneta Psczolla vom Gemeinde- und Städtebund in Rheinland-Pfalz sieht trotzdem noch Hoffnung für diese Gemeinden. Schon bei den Kommunalwahlen im Jahr 2014 habe es die Situation gegeben, dass zahlreiche Bürgermeister-Posten nicht besetzt werden konnten. In der Praxis sei ein Dorf ohne Bürgermeister aber bisher trotzdem die absolute Ausnahme. Denn notfalls könne ein Gemeinderatsmitglied beauftragt werden, die Geschäfte zu führen. Im Extremfall könne dafür auch der Bürgermeister der jeweiligen Verbandsgemeinde einspringen. 

Der Gemeindebund hofft zudem auf die finanzielle Anreize. Das Land hat eine Erhöhung der Aufwandsentschädigungen um fünf Prozent zugesagt. Aktuell bekommt ein ehrenamtlicher Bürgermeister in Rheinland-Pfalz eine monatliche Pauschale von knapp 300 Euro. Die Summe gilt für Gemeinden mit bis zu 150 Einwohnern. Größere Gemeinden mit Einwohnerzahlen zwischen 3000 und 4000 erhalten fast 1700 Euro Aufwandsentschädigung. 

Rheinland-Pfalz ist kein Einzelfall - ungewöhnliche Aktionen zur Bürgermeister - Suche 

Auch weiter südlich in Bayern ist der Mangel an Bürgermeistern immer deutlicher sichtbar. Zwar wird im Freistaat erst im Frühjahr kommenden Jahres gewählt, die Suche hat aber auch hier bereits begonnen. In Unterpleichfeld im Würzburger Land zum Beispiel gibt es zwar einen Amtsinhaber. Die CSU würde hier aber gerne einen zweiten Kandidaten auf dem Stimmzettel sehen. So steht in fetten Buchstaben in der Dorf-Zeitung die Anzeige "Bürgermeister gesucht". Der Ort hat gut 3000 Einwohner. Einen ähnlichen Einfall hatten auch bereits SPD, Grüne und eine Bürgergruppe im mitelfränkischen Dinkelsbühl. Bayernweit suchten sie per Annonce einen Bewerber für das Amt des Oberbürgermeisters. Vorteil dabei: Laut bayerischem Gesetz muss der Bürgermeister eines Ortes nicht in dem Ort wohnen, sprich: Nicht seinen Hauptwohnsitz vor Ort haben. So gab es in Oberaurach viele Jahre einen Bürgermeister, der dort nicht gewohnt hat. Der aktuelle Bürgermeister von Theres - einem 2700 Einwohner Dorf im Landkreis Haßberge - wohnt in Knetzgau. 

In Dinkelsbühl jedenfalls war die parteiübergreifende Anzeige erfolgreich. Es hätten sich bereits Interessenten gemeldet, heißt es von Seiten der Aufgeber der Anzeige in der Süddeutschen Zeitung. Insgesamt sollen fünf schriftliche Bewerbungen vorliegen. 

Besonders trostlos ist die Situation in Ostdeutschland 

Von Erfolgen wie in Bayern können zahlreiche Orte in Mecklenburg-Vorpommern nur träumen. So gibt es zum Beispiel im Kreis Vorpommern-Greifswald in gleich mehreren Orten keinen einzigen Kandidaten für die Wahlen am 26. Mai. Betroffen sind etwa Heinrichswalde mit seinen 500 Einwohnern oder auch Krugsdorf oder im Kreis Mecklenburgische Seenplatte Sarow und Verchen, sowie Altenhagen und Bartow. 

In diesen Orten finden aber zeitgleich Gemeinderatswahlen statt. Das bedeutet dann, dass die Gemeindevertretung einen Bürgermeister aus ihrer Mitte wählen muss.

Auch im Oderbruch in Brandenburg kennen die Bürger die Probleme. In Neulewin etwa, einer Gemeinde mit gut 1000 Einwohnern, geht Amtsinhaber Horst Wilke nun mit 66 Jahren in den Ruhestand. Auch er hat das Amt seit vielen Jahren neben seinem Beruf ausgeführt. Genauer gesagt seit 29 Jahren, sprich: Seit dem Zusammenbruch der DDR. Einige Hundert Euro Aufwandsentschädigung bekommt er neben seinem eigentlichen Beruf als Eisenbahner. Vor 4 Jahren ging er in Rente, nun würde er liebend gern auch das Amt des Bürgermeisters an einen jüngeren weitergeben. Doch der findet sich nicht. Die Hoffnung auch hier: Nach der Kommunalwahl - es gibt immerhin genügend Bewerber für den Gemeinderat - soll dort ein Nachfolger gewählt werden, wenn sich denn jemand findet. Ansonsten wird die Wahl nach 6 Monaten wiederholt. Findet sich dann immer noch keiner, müsste der stellvertretende Bürgermeister das Amt wahrnehmen. 

Das sind die Gründe für fehlende Bürgermeister - Kandidaten 

Horst Wilke macht aus seinem Frust keinen Hehl. In einem Interview mit der Tageszeitung taz erläutert er kürzlich die Situation in seinem Dorf. "Die Hälfte der Kommunen hier im Kreis steht finanziell auf dem Schlauch", sagt er. "Da ist was faul". Verantwortlich macht er die Bundes- und Landespolitik. Etwa beim Stichwort Kreisumlage. Der Landkreis an der Berliner Stadtgrenze habe einen Überschuss von 46 Millionen Euro angehäuft, "aber die Dörfer darben". Gut 700.000 Euro seines Haushalts wandern weiter in die Amts- und in die Kreisverwaltung, rechnet er vor. Denn neben der Kreisumlage muss das Dorf auch einen Beitrag an das Amt Barnim-Oderbruch zahlen, die den Ort mit verwaltet. Unterm Strich machten die freiwilligen Ausgaben - also die Summe dessen, worüber im Ort entschieden werden könne - weniger als 3 Prozent des Gemeindehaushalts von 1,2 Millionen Euro aus. 

"Wenn es schon Zeit kostet, sollte es zumindest hin und wieder Spaß bereiten, beim Dorffest was reinzubuttern, 

der Feuerwehreinen Scheck zu überreichen, für die Jugend den Sportplatz herzurichten. 

„Das ist das Salz in der Suppe, das macht das Dorfleben schön", so der scheidende Wilke. 

Eine Begründung, die tatsächlich landauf, landab zu hören ist. Viele Bürger scheuten einerseits den Zeitaufwand, sagt auch Agneta Psczolla vom Gemeindebund in Rheinland-Pfalz. Der Grund: "Die Arbeitsbelastung wächst, weil das Aufgabenspektrum zunimmt". Immer häufiger beklagten Interessierte aber auch die mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten. "Es bleibt zu oft neben der Erfüllung der Pflichtaufgaben nicht mehr viel Geld für Dinge übrig, die Spaß machen, zum Beispiel Spielplätze", so Psczolla. 

Deutlich wird auch Gerhard Henkel. Er ist Humangeograph und emeritierter Universitätsprofessor der Uni Duisburg-Essen. Spätestens seit seinem Buch "Rettet das Dorf" aus dem Jahr 2016 wird er in den Medien auch der "Dorpapst" genannt. im KOMMUNAL Interview erklärte er unlängst: "Viele Dörfer und Kommunen fühlen sich „von oben“ gegängelt und entmündigt, weil ihnen alle Freiräume der Selbstbestimmung abgenommen werden und Kommunalpolitiker an Einfluss verlieren."

Er fordert ein Umdenken von Bund und Ländern. So könnte das Dorf in die Bezeichnung von Ministerien und Bundesbehörden aufgenommen werden. Zudem ist er der Meinung, das Dorf solle als inmaterielles Weltkulturerbe genannt werden. Not tue zudem ein Dorf-Ermutigungsprogramm mit einer Einmalzahlung an jedes deutsche Dorf. 

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