Menschen, die für die Multinternationalität stehen
Aus mehr Ausländern sollen mehr Deutsche werden.
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Zukunftsforscher

Doppelpass - Deutschland braucht mehr Deutsche!

Migration schafft Wohlstand, sagt unser Zukunftsforscher Daniel Dettling. Das Vorhaben der Bundesregierung, den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft mit dem „Chancenaufenthaltsgesetz“ zu beschleunigen, reicht nicht aus. Der Doppelpass wird zum wichtigen Instrument gegen die Demografie.

„Deutschland, wie krass hast du dich verändert“, schrieb die BILD-Zeitung Ende November. Während die Bevölkerung wächst, schrumpft die Zahl der Deutschen. Allein in den letzten acht Jahren ist die Zahl der Ausländer um 4,4 Millionen auf heute 12,8 Millionen. gestiegen. Dagegen sank die Zahl der Einwohner mit deutschem Pass um 1,1 Millionen auf 73,3 Millionen. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen auch: Die Zuwanderer sind jünger als die Deutschen und deutlich mehr sind im erwerbsfähigen Alter. Ohne Einwanderung wird Deutschland seinen Wohlstand nicht halten können. Das Wirtschaftswachstum wird deutlich sinken, prognostiziert die Bundesbank. Bis 2035 wird die Zahl der erwerbsfähigen Menschen um sieben Millionen zurückgehen, fast zwei Millionen Stellen sind bereits heute nicht besetzt.

Aus Ausländern sollen mehr Deutsche werden - so wichtig ist der Doppelpass

Aus mehr Ausländern sollen mehr Deutsche werden. Das ist das eine Ziel des neuen Einbürgerungsrechts. Das andere: Deutschland muss attraktiver werden für externe Fach- und Arbeitskräfte. Der deutsche Pass ist für viele unattraktiv, das zeigen die bisherigen Greencard-Programme. Zu bürokratisch, zu hohe Hürden. Wer nicht fließend Deutsch spricht und über kein hohes und sicheres Einkommen verfügt, hat es bislang schwer, nach Deutschland zu kommen. In den Beliebtheitsrankings internationaler Expats belegt das Land einen der hinteren Plätze.

Migration schafft Wohlstand. Fast 40 Prozent der amerikanischen Wissenschaftler kommen aus dem Ausland, vor allem aus China und Indien. Fast die Hälfte der 500 erfolgreichsten Unternehmen wurden von Einwanderern gegründet. Das Potenzial für die Zukunft ist noch größer. Während heute in den USA mehr als 20 Millionen Amerikaner asiatischer Abstammung leben, sind es in Europa nur vier Millionen. Die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Welt vor wenigen Jahren. 2015 mussten mehr als 65 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen. Gut eine Million von ihnen kamen nach Deutschland. Die Arbeitslosigkeit sank in den Folgejahren auf ein Rekordtief. Auch weil die Berufsprofile der neuen Zuwanderer denen der Deutschen glichen.

Zitat zur Migrationspolitik Fachkräftemangel Zukunftsforscher Daniel Dettling

Ausländische Arbeitskräfte sichern Wirtschaft

Viele Branchen sind heute ohne ausländische Arbeitskräfte nicht mehr überlebensfähig. Der Anteil ausländischer Arbeitnehmer aller sozialversicherungspflichtiger Beschäftigten hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt (von 1,9 Millionen im Jahr 2010 auf 4,1 Millionen im Jahr 2020) und beträgt beispielsweise in der Fleischindustrie fast 40 Prozent, in der Landwirtschaft fast 30 und bei LKW-Fahrern mehr als 17 Prozent. Auch bei den MINT-Berufen wie Elektrikern oder Ingenieuren ist die Beschäftigungsdynamik fast viermal so hoch wie bei den deutschen Fachkräften. Die Mehrheit der Unternehmen sieht im Fachkräftemangel inzwischen das größte Risiko.

Schneller, attraktiver, einfacher: Drei Wege zum Aufstieg in Deutschland

Das Vorhaben der Bundesregierung, den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft mit dem „Chancenaufenthaltsgesetz“ zu beschleunigen, ist notwendig, aber nicht ausreichend. Einbürgerung ist der wichtigste Schritt einer nachhaltigen sozialen und politischen Integration. Daran gemessen ist Deutschland Entwicklungsland. Von rund 11 Millionen Ausländern und Ausländerinnen, die aktuell in Deutschland leben, wurden zuletzt 131.600 Menschen eingebürgert – etwas mehr als ein Prozent. Damit liegt Deutschland weit unter EU-Durchschnitt (2 Prozent). Ursache ist eine veraltete Identitätspolitik, die von Einbürgerungskandidaten die Aufgabe ihrer Herkunftsidentität verlangt. Auf der Webseite des Bayerischen Staatsministeriums des Innern heißt es: „Mit der freien Entscheidung, die deutsche Staatsangehörigkeit unter gleichzeitiger Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit anzunehmen, kommt die erfolgte Hinwendung zu Deutschland und Identifikation mit der neuen Heimat zum Ausdruck.“ Neudeutscher kann demnach nur werden, wer sich von seiner alten Heimat abwendet.

Zum Motto einer neuen Einwanderungspolitik muss „schneller, attraktiver, einfacher“ werden -   Erstens: Ausländische Berufsabschlüsse sollten von vornherein als gleichwertig gelten (es sei denn, es bestehen erhebliche, begründete Bedenken). Wer ein Arbeitsplatzangebot hat, soll nach Deutschland kommen können – unabhängig von Sprachkenntnissen. Zweitens: Willkommenspolitik braucht eine Willkommensverwaltung. Aus Botschaften, Visabehörden und Ausländerbehörden werden Anwerbe- und Eiwanderungsberatungsagenturen, die auf Basis von Standards digital zusammenarbeiten. Drittens braucht es einen neuen Mindset: Statt erschwert, sollte die Einwanderung von Arbeitskräften erleichtert werden. Wenn Mehrfachstaatsangehörigkeiten auch in Deutschland erlaubt wären, würde Einwanderung attraktiver, hat der Sachverständigenrat erst vor kurzem dargelegt.

Wenige Menschen mit Migrationshintergrund in Spitzenpositionen

In den USA werden Einbürgerungen oft am nationalen Unabhängigkeitstag gefeiert. Einbürgerungsfeiern sind hierzulande noch die Ausnahme und nicht die Regel. Die erste Feier fand 2009 im Bundeskanzleramt unter Angela Merkel statt. Zu wenige sind ihr bislang gefolgt. Ein bundesweiter Tag der Einbürgerungen am 23. Mai könnte für viele Kommunen ein Ansporn sein. Nichts ist attraktiver als Aufstieg. Das hebräische Wort für Einwanderung heißt übersetzt „Aufstieg“. Spitzenpositionen und Führungskräfte mit migrantischem Hintergrund sind hierzulande noch die Ausnahme und nicht die Regel. 

Der Blick in die Pflegeheime, Krankenhäuser und Restaurants oder Forschungsabteilungen der Unternehmen belegt den Trend: Deutschland wird bunter. Die meisten der Herkunftsländer, aus denen heute Migranten stammen, werden innerhalb von nur einer Generation ökonomisch zu uns aufschließen. Das gilt vor allem für Afrika. Der Kontinent hat das größte demografische Potenzial in diesem Jahrhundert. Seit 2005 haben jedoch nur 120.000 Afrikaner und Afrikanerinnen eine Aufenthaltserlaubnis wegen Arbeit oder Ausbildung erhalten. Den allermeisten Menschen bleiben daher nur Flucht und Asyl als Möglichkeit der Einreise.

In den Städten und Gemeinden entscheidet sich echte Integration

Je schneller wir über eine gut funktionierende Migrationspolitik, Integrationskultur und -verwaltung verfügen, umso besser. Länder und Kommunen brauchen mehr Befugnisse und Mittel im Integrationsbereich. Das gilt vor allem für Sprachförderung und Integrationskurse. In den Städten und Gemeinden entscheidet sich, ob aus Migration echte Integration und aus Gastarbeitern wirklich Bürgerinnen und Bürger werden. Integration gelingt fern der großen Ballungszentren in der Regel besser. Die beste Waffe gegen Identitätspolitik ist das Zulassen von mehreren Identitäten. In Zukunft werden mehrere Pässe normal sein. Der Doppelpass wird zum wichtigen Instrument gegen den demografischen Wandel.

Fotocredits: Daniel Dettling: Laurence Chaperon