Die digitale Ratssitzung bleibt umstritten - erste Bundesländer ändern ihre Gesetze
Die digitale Ratssitzung bleibt umstritten - erste Bundesländer ändern ihre Gesetze
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Gesetz in Bayern

Digitale Ratssitzung: Gremien dürfen weiter nicht rein virtuell tagen

In vielen Bundesländern sind im Moment vorübergehend wegen der Corona-Krise digitale Ratssitzungen möglich. Doch die meisten Gesetze sind befristet. Die Skepsis in den Bundesländern ist weiter hoch. Brandenburg und Bayern sind auf dem Weg zu einem neuen, modernen Gesetz mit virtuellen Ratssitzungen. In Bayern ist aber schon eine wichtige Vorentscheidung gefallen. Ergebnisse aus Baden-Württemberg zeigen die große Skepsis auch vor Ort. Die Gesetzesvorlagen im Überblick.

Digitale Ratssitzungen waren in der Pandemie ein Weg, um möglichst die Kontakbeschränkungen auch in den Gemeindeparlamenten durchzusetzen. Anfangs hatten viele Kommunen auf größere Sitzungssäle und mehr Abstand gesetzt. Dann kamen in vielen Bundesländern die Möglichkeiten für digitale Ratssitzungen beziehungsweise sogenannte Hybridsitzungen. Das bedeutet: Nur ein Teil der Gemeinderäte ist "live" vor Ort, die anderen werden zugeschaltet. Die Zuschaltung ist aktuell in vielen Bundesländern auch noch an enge Bedingungen geknüpft. Etwa muss in einigen Bundesländern derjenige, der per Video teilnehmen will erklären, dass er Risikogruppe ist oder sich in Quarantäne befindet oder ähnliches. Nun ist aber die Diskussion für die Zeit nach der Corona-Krise entbrannt. 

Digitale Ratssitzung - Brandenburg ja, Bayern nein? 

In Brandenburg hat die Regierungskoalition vor zwei Wochen angekündigt, man arbeite an einem Gesetz für virtuelle Sitzungen auch nach der Pandemie. Konkret soll die Kommunalverfassung geändert werden. In der Mitteilung des Landes heißt es wörtlich: 

In diesem Zuge sollen auch Erfahrungen aus der Corona-Pandemie Berücksichtigung finden, so der zuständige Innenstaatssekretär, Markus Grünewald. „Mit dem Änderungsentwurf der Kommunalverfassung schaffen wir mehr Spielraum für die Kommunen und ermöglichen mehr unmittelbare Bürgerbeteiligung. Ganz wesentlich sind dabei vereinfachte Regeln für Bürgerbegehren, verpflichtende Orteilbudgets und die dauerhafte Rechtsgrundlage für Hybridsitzungen der kommunalen Gremien. Brandenburg wird durch diese Anpassungen auch in Zukunft eine der modernsten Kommunalverfassungen in der Bundesrepublik Deutschland haben.“

Auf Nachfrage wollte uns ein Sprecher jedoch nicht sagen, ob auch rein virtuelle Ratssitzungen oder "Nur" Hybridsitzungen künftig möglich sind. Der Entwurf sei noch im Entstehen und müsse danach noch abgestimmt werden. Wörtlich sagte Grünwald: "Mir ist es wichtig, frühzeitig ein erstes Feedback der Abgeordneten einzuholen und eventuelle Verständnisfragen zur teils komplexen Verwaltungsthematik klären zu können." Einschränkend ist inzwischen ein Entwurf im Umlauf, wonach nur maximal ein Drittel (in einer Fassung ist die Rede von 30 %)  der Abgeordneten zugeschaltet werden dürfen. Das ist zumindest die Diskussionsgrundlage, ob es diese massive Einschränkung später ins Gesetz schafft, ist unklar. Vor allem wäre dann auch unklar, nach welchen Kriterien entschieden werden müsste, wenn mehr als ein Drittel der Abgeordneten sich zuschalten lassen wollen. 

Die Frage der Präsenzsitzung scheint in Bayern ohnehin schon geklärt zu sein. Auch hier bereitet das Innenministerium aktuell nach eigenen Angaben einen Gesetzesentwurf vor, der es Gemeinderäten ermöglichen soll, sich digital zuschalten zu lassen und abzustimmen. "Mindestens der Vorsitzende muss aber im Sitzungsraum körperlich anwesend sein, so dass rein virtuelle Sitzungen ausgeschlossen sind", sagt ein Ministeriumssprecher jedoch einschränkend. Der Grund: Es solle kein Ratsmitglied gezwungen sein, auf körperliche Anwesenheit zu verzichten.

Argumente gegen digitale Ratssitzungen sind tiefergehend 

Hört man dem Sprecher des Innenministeriums in Bayern jedoch länger zu, offenbaren sich schnell zwei andere Argumente, die immer wieder die Runde machen und dann doch erstaunen. Bei Videokonferenzen könne man nicht so einfach sicherstellen, dass sich neben den Gremienmitgliedern keine weiteren Menschen im Raum befänden, ist eines davon. Dabei geht es um den nichtöffentlichen Teil der Sitzung. Im Rahmen der Corona-Pandemie hatten Juristen mehrfach darauf verwiesen, dass es ausreichend sei, wenn die Gemeinderäte einmalig eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben mit dem Zusatz, dass sie eben auch daheim dafür sorgen, dass niemand weiteres im Raum ist. Das Schließen der Tür des Arbeitszimmers würde dafür ausreichen. Dass Familienmitglieder die Vorlagen der Tagesordnung im nichtöffentlichen Teil nicht zu Gesicht bekommen dürfen, ist auch seit Jahrzehnten die Regel, kontrollierbar ist das ähnlich wenig. Wenn die Gemeinderätin sie auf dem Schreibtisch liegen lässt, kann natürlich ihr Ehemann Einblick nehmen, rein theoretisch... 

Das zweite Argument geht in eine ähnliche Richtung. Es gelte das Öffentlichkeitsprinzip, heißt es aus dem Innenministerium in Bayern. Sprich: Sitzungen von kommunalen Gremien müssen  für Bürger und Medien in einem der Allgemeinheit zugänglichen Raum wahrnehmbar sein. Hier gibt es zwei Lösungsansätze. Der moderne wäre ein Livestream, den jeder ebenfalls von daheim mitverfolgen kann. Der zweite wäre eine Übertragung der Sitzung per Livestream in einen Raum im Rathaus. Dort könnten sich Bürger dann einfinden, zuschauen und in der Bürgerfragestunde ebenfalls Fragen stellen - was natürlich auch rein virtuell möglich wäre im Rahmen des Livestreams. 

Möglichkeiten der digitalen Ratssitzung wurden in Baden-Württemberg und Brandenburg nur schleppend angenommen 

In Bayern setzt das Innenministerium ganz offenbar darauf, dass die Möglichkeit der digitalen Ratssitzung - beziehungsweise dann der Hybridsitzung - nicht häufig von Kommunen und Gemeinderäten angenommen werden. Selbst beim Städtetag heißt es, man gehe davon aus, dass Präsenzsitzungen der Regelfall bleiben. Auch das Innenministerium in Bayern verweist dabei auf Zahlen aus dem Nachbar-Bundesland Baden-Württemberg. Dort dürfen wegen der Pandemie Gemeinderäte seit Mai 2020 virtuell tagen. Jedoch haben bisher erst 26 von rund 2000 Gemeinden die Möglichkeit auch längerfristig in ihre Satzungen aufgenommen. In Baden-Württemberg gibt es in den bisherigen Verordnungen ohnehin noch ein ganz anderes Problem: Rein rechtlich ist es so, dass nur nur Gegenständen „einfacher Art“ virtuell beschlossen werden dürfen -und die machen in vielen Ratssitzungen den wesentlich kleineren Teil aus. Kurzum: Es kann virtuell bisher nicht alles beschlossen werden - am Ende steht dann doch wieder die Präsenzsitzung. Auch hier müssen die Verordnungen noch angepasst werden, ob und wann das geschieht, ist in Baden-Württemberg bisher nicht absehbar. Das dürfte erst nach der Landtagswahl (Mitte März) Thema im Landtag werden. 

In Bayern tagen derweil zahlreiche Gemeinderäte - vor allem in größeren Städten - als Rupfparlamente. Das bedeutet, dass nur ein Teil der Gemeinderäte zur Sitzung kommen und abstimmen. Das ist erlaubt, solange die Mehrheitsverhältnisse gewahrt bleiben. Treffen sich also ein Drittel aller Stadträte, ist eine sechsköpfige Fraktion dann nur mit 2 Fraktionsmitgliedern vor Ort, eine dreiköpfige Fraktion mit einer Person. Allerdings sagen die Satzungen zumeist, dass auch dies nur in "Notfällen" möglich ist. Meist müssen alle Abgeordneten einverstanden sein. Denn es gilt das freie Mandat. Ein gewählter Gemeinderat darf nicht von einer Beschlussfassung ausgeschlossen werden, zumal es gerade auf Ortsebene keinen Fraktionszwang gibt. 

In Bayern bleibt die Regelung mit den Rumpfparlamenten aber vorhanden. So sieht es zumindest das jüngste Rundschreiben des Ministeriums vor, das KOMMUNAL vorliegt. Dort heißt es wörtlich: 

  1. Verkleinerte Besetzung der Gremien; Bildung von Ausschüssen

    1. a)  Wir halten es für zulässig, falls sich die Mitglieder eines Stadtrates, Ge- meinderates, Kreistages oder Bezirkstages darauf verständigen, in einer bis zur Grenze der Beschlussfähigkeit nach Art. 47 Abs. 2 der Gemeinde- ordnung (GO), Art. 41 Abs. 2 der Landkreisordnung (LKrO), Art. 38 Abs. 1 Satz 2 der Bezirksordnung (BezO) verkleinerten Besetzung zu tagen. Mit- glieder, die wegen der gegenwärtigen Ansteckungsgefahren entsprechend der Verständigung nicht an den Sitzungen teilnehmen, gelten nach unse- rem Verständnis als ausreichend entschuldigt im Sinn von Art. 48 Abs. 2 GO, Art. 42 Abs. 2 Satz 1 LKrO, Art. 39 Abs. 2 BezO.

    2. b)  Stadt- und Gemeinderäte, Kreistage und Bezirkstage können Entschei- dungsbefugnisse weiterhin möglichst weitgehend auf einen oder mehrere beschließende Ausschüsse übertragen (vgl. Art. 32 Abs. 2 Satz 1 GO, Art. 29 Abs. 1 Satz 1 LKrO, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BezO).

Auch die umstrittene Regelung, dass ein Gemeinderat nicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Maske verpflichtet werden kann, wird in dem Rundschreiben erneut angesprochen. Wörtlich heißt es: 

 

  1. Für die Mitglieder kommunaler Gremien ist eine Pflicht zum obligatorischen Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung während der Sitzung im Sitzungs- raum nicht abstrakt-generell geregelt.

    Allerdings kann eine Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bede- ckung für alle Sitzungsteilnehmer während der Sitzung im Rahmen der Ausübung des Hausrechts und der Sitzungsordnung durch den Vorsitzen- den durch Art. 53 Abs. 1 Satz 1 GO, Art. 47 Abs. 1 Satz 1 LKrO, Art. 44 Abs. 1 Satz 1 BezO zulässig oder sogar geboten sein.

Digitale Ratssitzung: Auch der Livestream bleibt ein Zankapfel 

Immer mehr Kommunen in Deutschland gehen derweil dazu über, Liveübertragungen aus dem Ratssaal einzuführen. In der Pandemie hatten viele Kommunen einen solchen Stream vorübergehend eingerichtet, damit möglichst weniger Zuschauer in den Ratssaal kommen. Doch die langfristige Einführung wird in vielen Kommunen durch die Gemeinderäte selbst oft verhindert. So läuft die Diskussion auch in Herford in Ostwestfalen, NRW. Dort hatten die Grünen schon im Sommer vergangenen Jahres eine dauerhafte Übertragung beantragt. Sie wollten so mehr Transparenz schaffen. Hier hatte sich vor allem der Bürgermeister kritisch geäussert aber auch viele Ratsmitglieder. In Mühlheim an der Ruhr ist ein ähnlicher Antrag der FDP erneut gescheitert. In Falkensee und Eberswalde, beide in Brandenburg wird der Livestream in diesem Februar derweil erstmals starten, dort hatten sich Mehrheiten gefunden. Und so gibt es einen Flickenteppich quer durch Deutschland.