Steine als Symbol
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Bildungspolitik

Deutschland droht die Versteinerung

Der Staat gibt immer mehr Geld für die Reparatur des anhaltenden Versagens in der Bildungspolitik aus. Wir brauchen einen neuen Bildungsföderalismus, meint daher unser Zukunftsforscher Daniel Dettling.

In meiner letzten Kolumne an dieser Stelle habe ich über den Fachkräftemangel geschrieben, der zur größten Krise der Zukunft wird. Das Echo war größer als sonst. Besonders gefährlich wird der Mangel an Fachkräften in den Bildungsberufen, weil er nicht nur den Wohlstand unseres Landes, sondern auch den Zusammenhalt bedroht. Bund, Länder und Gemeinden benötigen hunderttausende Lehrer und Erzieher. In den Kitas fehlen über 340.000 Plätze. 40 Prozent der Kinder werden in einzelnen Bundesländern nicht betreut, obwohl ihre Eltern dies wünschen. Ein politisches Armutszeugnis mit weitreichenden ökonomischen und sozialen Folgen.

90 Prozent des Bundeshaushalts "versteinert"

Erst vor wenigen Wochen attestierte das Institut der deutschen Wirtschaft dem deutschen Bildungssystem einen Rückfall. Der Lernerfolg der Schüler liege heute im Durchschnitt aller Bundesländer auf dem Niveau, den 2011 das damals schlechteste Bundesland Bremen erreicht hat. Kurz darauf warnt der Bundesrechnungshof vor der finanziellen Handlungsunfähigkeit des Staates. 90 Prozent des Bundeshaushalts seien bereits „versteinert“.

Der Grund: Pensionspflichten des Staates gegenüber Beamten, Steuerzuschüsse an die gesetzliche Rentenversicherung und weitere Sozialausgaben. Bis zum Jahr 2040 würden allein die Ausgaben für altersbedingte Vorhaben auf jährlich 282 Milliarden Euro steigen. Für das kommende Haushaltsjahr hat Bundessozialminister Heil bereits 121 Milliarden Euro als Zuschuss für die gesetzliche Rente, Grundsicherung und Erwerbsminderung reserviert – 4,5 Milliarden Euro mehr als im laufenden Jahr. Der Staat gibt immer mehr Geld aus für die Reparatur des anhaltenden Versagens in der Bildungspolitik.

Früh in Erziehung und Bilder investieren

Je früher und massiver in Erziehung und Bildung investiert wird, desto höher ist später die Rendite für Wirtschaft, Gesellschaft und den Einzelnen. Betroffen sind vor allem zwei Gruppen: Frauen und Kinder. Mütter, die ihre Erwerbswünsche nicht erfüllen und auf Beruf und Karriere verzichten müssen. Deutschland ist europäischer „Teilzeitmeister“. Mehr als zwei Drittel der Frauen mit minderjährigen Kindern arbeiten hierzulande Teilzeit. Im EU-Durchschnitt ist es nur jede Dritte. Die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen hat hierzulande für die Bundesregierung das größte inländische Potenzial.

Studien zufolge liegt es bei derzeit nicht erwerbstätigen Müttern bei rund 840.000. In einem ansonsten reichen Land wie unserem ist „alleinerziehend“ inzwischen das größte Armutsrisiko. Kinder, die eine Kita besuchen, entwickeln sich besser, sind als Schüler erfolgreicher und verdienen später mehr und leben gesünder. Umgekehrt machen Kinder, die keine Kita besucht haben, seltener eine Berufsausbildung, sind eher kriminell und leben ungesund. Investitionen in Kitas lohnen sich ökonomisch und sozial am meisten.

Sprach-Kita-Programm beendet

Bund und Länder investieren zu wenig in die ersten Jahre.Fatal ist insbesondere die jüngste Entscheidung der Ampel-Koalition, das Programm der Sprach-Kitas zu beenden. Die 240 Millionen Euro im Jahr sind gut angelegtes Geld. Von dem vor sieben Jahren vor dem Höhepunkt der „Flüchtlingskrise“ gestarteten Bundesprogramm haben bislang mehr als 500.000 Kinder profitiert. Gefördert wurden zusätzliche Kitafachkräfte, die ausschließlich für sprachliche Förderung in den Einrichtungen zuständig sind. Jede achte Kita ist heute eine Sprach-Kita. Begründet wird die Entscheidung mit dem Hinweis, dass die Zuständigkeiten für Kitas bei den Ländern liegen und diese doch nun die Finanzierung der Sprachförderung übernehmen können. Damit dreht der real existierende Föderalismus eine neue absurde Runde. Der Bund finanziert ein wichtiges Programm vor, ohne sicherzustellen, dass die Länder die erfolgreich installierten Strukturen später weiterfinanzieren können.  

Im föderalen Bundesstaat gehört Bildung zu den Kernaufgaben der Bundesländer. Die politischen Weichen stehen in Zukunft eher auf eine Ausweitung des kooperativen Föderalismus und eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. So erwarten Wirtschaft und Gesellschaft in einer vom Fachkräftemangel geprägten Zukunft mehr Bildungsgerechtigkeit und -qualität. Bildung, Integration und Zuwanderung gehören politisch zusammen.

Wer allein bezahlt, bestimmt am Ende alles

Warum sollen künftig Hunderttausende ausländische Fach- und Arbeitskräfte nach Deutschland kommen, wenn Bund und Länder bereits in den Kitas auf Sprach- und Integrationsförderung verzichten?  Von den beiden weltoffenen und liberalen Integrationsparteien Grüne und FDP haben Wähler und Wirtschaft mehr erwartet. Die Unionsparteien laufen zu Recht Sturm, nachdem sie zuvor jahrelang das Kooperationsverbot in Bildungsfragen wie eine Monstranz vor sich hertrugen. Kooperativer Föderalismus heißt aber nicht, dass der Bund alles bezahlt. Wer allein bezahlt, bestimmt am Ende alles. Eine Alleinfinanzierung des Bundes würde zu einer schleichenden Aushöhlung des Föderalismus führen, der zur Zentralisierung von Macht und Ohnmacht führt.

Kooperativer Wettbewerbs-Förderalismus

Bildungsföderalismus ist per se nicht Mist, wie viele Bundestagsabgeordnete und Bundesbeamte behaupten. Ein föderaler Flickenteppich schon. Es braucht beides: mehr Investitionen des Bundes und mehr Commitment der Länder. Ein kooperativer Wettbewerbsföderalismus der besten Ideen braucht einheitliche Ziele und Standards, Monitoring und Evaluation. Der Bund macht die Finanzierung von der Erreichung gemeinsam definierter Ziele abhängig, die eine unabhängige Instanz wie etwa eine Stiftung überprüft und veröffentlicht. Ein Netzwerk und Bündnis von erfolgreichen erfolgreichen Kitas wäre die Folge.  

Vor gut 200 Jahren leiteten Karl Freiherr vom Stein und Karl August von Hardenberg Staatsreformen ein, die zur Transformation des absolutistischen Stände- und Agrarstaates Preußens zum aufgeklärten National- und Industriestaat führten. Zu den drei Säulen der Reformen gehörten die Selbstverwaltung der Städte, eine weitreichende Bildungsreform und die Modernisierung des Heeres. Auf die Reformen folgte die wachstumsstärkste Phase in der deutschen Geschichte. 100 Milliarden haben die Ampel-Parteien für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr in Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine angekündigt, 20 Milliarden Euro für Tankrabatt und 9-Euro-Ticket bereits ausgegeben. Für die Zukunft ist das zu wenig. Deutschland droht die Versteinerung.